Gesellschaft | Sozialarbeit

„Stärken uns gegenseitig“

In der Zeit der Pandemie entstand mit Jungle Music Incubator ein innovatives Musikprojekt für junge Menschen – auch für die, die es nicht so leicht haben.
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Foto: Fabian Heidegger

In Meran startete während der Lockdowns und zahlreichen Corona-Maßnahmen ein außergewöhnliches Jugendprojekt mit dem Titel „Jungle Music Incubator“, gefördert vom Südtiroler Amt für Jugendarbeit. Innerhalb eines Jahres nahmen an den verschiedenen Workshops des Projekts über 300 junge Menschen teil. Allerdings laufen die Fördergelder vom Amt für Jugendarbeit mit Ende April für das Pilotprojekt aus. Die weitere Finanzierung ist noch unklar.

„Ich hoffe und wünsche mir, dass die öffentliche Hand, aber auch private Unternehmen wie zum Beispiel Hoteliers verstehen, dass wir Gewalt im öffentlichen Raum dauerhaft nur über Präventionsprojekte wie den Jungle Music Incubator verhindern können und nicht, indem wir im Drei-Monatstakt Sicherheitstische einberufen und dabei noch mehr Polizei und Sicherheitskräfte sowie Videoüberwachung im öffentlichen Raum fordern“, sagt Thomas Kobler von dem Jugendprojekt im Jugendzentrum Jungle in Meran angesichts der jüngsten Vorfälle von Jugendgewalt in Südtirol.

 

Ich brauchte eine Person, die mich zu 100 Prozent versteht – auch meine Vergangenheit - Gabriele Hasan alias Hasso

 

Als vor zwei Jahren ein Video der Sinicher Rapper La FV1000 südtirolweit für Aufregen sorgt, entschloss sich eine Gruppe aus dem Feld der Sozialarbeit zum Handeln. In dem Video sind eine Spielzeug-Pistole und Drogen zu sehen – es hatte Zeitungsberichte und eine Landtagsanfrage des Abgeordneten Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) zur Folge. „Wir wollten die Jungs in den Mittelpunkt stellen, um soziale Dynamiken zu verstehen und uns aktiv in die Gemeinschaft einbringen“, erklärt Shakira Casin vom Jungle Music Incubator.

 

Lockerer Rahmen

 

Das Ergebnis ist ein soziokulturelles Pilotprojekt mit jungen Menschen, das sich wirklich für die Teilnehmer:innen interessiert und sie dort abholt, wo sie gerade stehen. Die ersten Teilnehmer waren drei Rapper von La FV1000. „Wir stärken uns gegenseitig und wir haben Zeit, in einem lockeren Rahmen miteinander zu sprechen“, erklärt Fabian Heidegger.

 

 

Der Musiker und Sozialarbeiter gibt im Rahmen von Jungle Music Incubator Workshops für Jugendliche mit dem Titel „4 Stufen eines Künstlers“. Darunter sind viele junge Menschen, die als Kinder von Menschen mit Migrationshintergrund in der zweiten oder dritten Generation in Südtirol aufwachsen. Einer der Teilnehmer der zurzeit laufenden Workshops heißt Gabriele Hasan (Künstlername Hasso). Jungle Music Incubator half dem mehrfach angezeigten 20-Jährigen aus Leifers, seinen Fokus auf seine Musik und seine Ausbildung zu legen.

 

Identitätsfindung

 

Fabian Heidegger, der 2008 an den Olympischen Sommerspielen in der Disziplin Segeln teilgenommen hat, hat diese Stufen eines Künstlers selbst durchlebt. Die vier Stufen konzentrieren sich auf die Identität der Person, ein Ziel in der Zukunft, die Schritte zur Zielerreichung und den Beitrag für die Gesellschaft, den der junge Mensch mit seinem Talent geben kann. „Das ist die Struktur der Workshops. Dabei ist es wichtig, sie und ihr Talent wertzuschätzen, da viele Teilnehmer:innen zu wenig Wertschätzung erfahren“, erklärt Heidegger.

„Ich brauchte eine Person, die mich zu 100 Prozent versteht – auch meine Vergangenheit. Eine Person, der ich vertrauen kann, die keine falschen Versprechungen macht und dir wirklich bei allem hilft. Und Fabian hilft dir bei allem, auch bei wichtigen Lebenslektionen“, sagt Hasan. Der junge Mann war als kleines Kind von Mazedonien nach Südtirol gekommen und gehört der Minderheit der Roma und Sinti an.

 

 

Textauszug von einem Song von Gabriele Hasan alias Hasso:

I valori si abbassano 
Il mondo resta uguale 
Anche se l’uguaglianza non c’è mamma piange ogni sera da anni 
Cerco perdono nelle sue mani 
Asciugherò le sue lacrime con i money 
Perché le sue lacrime valgono più di sti fazzoletti fra tempo dammi tempo le asciugherò con pezzi da cento 
Sai che ho messo solo i soldi e la famiglia al centro 
Con questa gente giuro che non centro 
Voglio fare sti soldi per asciugare le lacrime di mamma versate per me 
Ho un debito per ogni suo pianto 
Ogni volta dicevo di farla piangere la pianto 
Non mi accorgevo di farla soffrire finché non lo vista piangere con la mia foto nelle mani 

 

Seine Eltern bekamen Hasan, als sie sechszehn und siebzehn Jahre alt waren. „Meine Oma hat mich aufgezogen. Meine Eltern waren nicht sehr präsent und wenn sie da waren, benahmen sie sich nicht wie Eltern. Aber wer weiß schon mit 17 Jahren, wie man sich als Eltern verhalten soll? Das ist eine verständliche Sache“, sagt er. Hasan hat drei jüngere Brüder und findet sich oft in der Vaterrolle wieder. „Als mein Vater verhaftet wurde, wurde meine Mutter depressiv. Du fängst an, Blödsinn zu machen, wenn du auf niemandem zählen kannst“, sagt er.

 

In der Sozial-, Jugend- und Kulturarbeit gibt es noch sehr wenig Zusammenarbeit - Thomas Kobler

 

Heute macht er das letzte Ausbildungsjahr als Elektriker und würde gerne auch in der Öffentlichkeit singen. Dank Jungle Music Incubator könnte dieser Traum bald Wirklichkeit werden. Da die Fördergelder sich bereits dem Ende zu neigen, hängt die weitere Umsetzung aber nun auch davon ab, auf welche Projekte die Gelder des Nachtragshaushaltes beim Amt für Jugendarbeit verteilt werden. Das Ansuchen für die weitere Förderung wird vom Jugendzentrum Jungle in Kürze eingereicht. Für die Finanzierung des Projekts zieht Jungle zudem in Erwägung, auch Gelder der Gemeinde und der EU zu beantragen sowie Private um Unterstützung zu bitten.

 

Neu denken

 

 

Neben den Workshops von Fabian Heidegger war unter anderem auch der Female DJ Workshop im Museion Bozen im Dezember 2021 sehr gut besucht. Der DJ Fabian Carano alias Toni Telefoni bot gezielt jungen Frauen einen Workshop an. „Das große Interesse für diesen Workshop zeigt auf eindrückliche Weise, wie wichtig solche geschützten Räume und Angebote vor allem für junge Frauen sind“, sagt Thomas Kobler.

Laut Fabian Heidegger hätte das Format des Jungle Music Incubator das Potential, die Zukunft der Sozialarbeit in Südtirol zu werden: „In diesen Jahren habe ich viele Dinge gesehen, die nicht funktionieren und das hier funktioniert.“ Auch Thomas Kobler ist überzeugt, dass frühere Methoden der Sozialarbeit heute an ihre Grenzen stoßen. Deshalb müsse weitergedacht werden. „In der Sozial-, Jugend- und Kulturarbeit gibt es noch sehr wenig Zusammenarbeit, das wollen wir ändern“, sagt Kobler. Die Vision ist ein Netzwerk, das junge Menschen in der Persönlichkeitsentwicklung durch kreative Beschäftigung unterstützt.