Wirtschaft | Interview

"Im Zentrum steht die Mitsprache"

Die neue Präsidentin des Coopbund Alto Adige Südtirol über Genossenschaftsvertretung, die Anpassungsfähigkeit des Geschäftsmodells und ihre Rolle als Frau an der Spitze.
Monica Devilli
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Salto.bz: Frau Devilli, Sie wurden im Oktober zur Präsidentin des Coopbund Alto Adige Südtirol gewählt und vertreten seitdem 220 Genossenschaften in ganz Südtirol. Worin sehen Sie Ihre Aufgabe?

Monica Devilli: In erster Linie möchte ich Kontinuität gewährleisten. Ich bin seit zehn Jahren Vorstandsmitglied und war auch Stellvertreterin des ehemaligen Präsidenten Heini Grandi. Für uns ist es wichtig, öffentliche und private Stakeholder zu vertreten, neue und innovative genossenschaftliche Modelle zu fördern und auch die Bevölkerung darüber zu informieren, welche Möglichkeiten das Genossenschaftsmodell in den verschiedenen Bereichen - von Kultur bis zur Sanität - anbietet. Das ist die erste Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Der austretende Vorstand hat zudem ein Zehn-Punkte-Manifest für die nächsten fünf Jahre ausgearbeitet, an das ich mich weitgehend halten werde und aus dem wir im Januar einige Prioritäten für die nächste Zeit auswählen werden.

Sie haben es selbst angesprochen: Es gibt ganz verschiedene Genossenschaftsmodelle in ganz verschiedenen Bereichen. Eine Tatsache, die eine gemeinsame Vertretung derselben nicht ganz einfach macht. Was ist es, das die Genossenschaften unter sich vereint?

Was die Genossenschaften vereint, ist das Mitwirken der Mitglieder. Das heißt, sich Teil des Unternehmens zu fühlen und auch die Möglichkeit haben, sich einzubringen und mitzubestimmen. Das ist der Unterschied zu anderen Kapitalgesellschaften. Genossenschaften sind letzten Endes ja auch Unternehmen, aber es sind Unternehmen ohne Gewinnabsichten und der Aufgabe, in erster Linie die Bedürfnisse der Mitglieder zu decken. Bei Sozialgenossenschaften sind es Bedürfnisse sozialer Art, bei Arbeitsgenossenschaften ist es das Bedürfnis, eine Arbeitsstelle zu schaffen und diese beizubehalten.

 

Können die Genossenschaften durch dieses vereinende Element - das Mitwirken der Mitglieder - eine eigene Stimme im öffentlichen Diskurs finden?

Ja. Es geht hier um eine neue Art und Weise, ein Unternehmen zu führen. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen durch die vielen Einschränkungen täglich neue schwierige Situationen entstehen, hat sich das Genossenschaftsmodell unter Beweis gestellt. Die Genossenschaften konnten sehr gut auf diese Situationen reagieren, weil hier - im Unterschied zu anderen Unternehmen - die Personen im Mittelpunkt stehen.

Die Anpassungsfähigkeit der Genossenschaften wurde im öffentlichen Diskurs immer wieder hervorgehoben. Warum haben Genossenschaften in dieser Hinsicht einen Vorteil?

Das hat damit zu tun, dass jedes Mitglied ein großes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den anderen Mitgliedern verspürt. Das heißt, man fühlt sich nicht Mittelpunkt der Genossenschaft, sondern Teil davon. Die Genossenschaft gehört einem nicht, sondern gehört allen Mitgliedern. Das bringt eine größere Anpassungsfähigkeit mit sich, aber auch einen Willen, sich mehr einzusetzen, weil man etwas für sich und für die Kollegen macht.

Gleichzeitig kann genau diese Tatsache, dass sehr viele Personen in die Entscheidung einbezogen werden, ein Hindernis darstellen.

Das Gesetz regelt ganz genau, bei welchen Entscheidungen der Vorstand oder das Führungspersonal eine Rolle spielt und welche Entscheidungen der Vollversammlung zu unterbreiten sind. Die Genossenschaften selbst können zusätzliche Geschäftsordnungen erstellen, um festzulegen, wie und wann die einzelnen Mitglieder mit einbezogen werden. Das heißt, die einzelnen Mitglieder werden nicht bei jedem Ankauf von Rohmaterialien gefragt, sondern nur dann, wenn es einen Sinn ergibt und somit durch die Beteiligung kein Hindernis, sondern ein Mehrwert entsteht.

 

Durch die Beteiligung entsteht kein Hindernis, sondern ein Mehrwert.

 

Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, spielt auch der Führungsstil eine wichtige Rolle. Sie sind seit Kurzem Präsidentin des Coopbund: Wie würden Sie Ihren eigenen Führungsstil beschreiben?

Ich werde sicherlich versuchen, die Vorstandsmitglieder mehr zu involvieren, die ja die 18 bedeutendsten Genossenschaften unseres Verbandes vertreten. Das heißt, ich möchte die Genossenschaftsvertretung nicht alleine führen, sondern partizipative Prozesse innerhalb des Coopbund pflegen. Zudem werde ich versuchen, die Genossenschaften selbst - auch jene in der Peripherie mehr - zu involvieren. Wegen der vielen Kilometer, die zwischen uns und den einzelnen Genossenschaften liegen, ist das nicht immer einfach, aber genau diese Verbindung zu den einzelnen Genossenschaften ist mir wichtig. Wichtig ist auch, dass unsere Dienstleistungen die aktuellen Bedürfnisse der Genossenschaften decken. Hier müssen wir uns weiterentwickeln: Wir haben zwar über 1.000 Genossenschaften in Südtirol, die in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen; eine gesunde Genossenschaftskultur bedeutet aber nicht nur eine große Anzahl sondern auch, Vorzeigeunternehmen zu haben.

Sie haben vorhin den Aspekt der Kontinuität angesprochen. Wo braucht es diese Kontinuität im Genossenschaftswesen und wo hingegen einen Bruch?

Uns ist es wichtig, dass nur jene Genossenschaften weitergeführt werden, die die Prinzipien der Genossenschaften auch wirklich beachten. Wir möchten keine Schachteln haben, die auf Förderungen und Steuervorteile hinarbeiten. Um das zu erzielen, müssen wir eine sehr strenge Kontrolltätigkeit ausüben. Auf der anderen Seite müssen wir auch versuchen, die Genossenschaften zu begleiten und sie auch vor den öffentlichen Stakeholder zu unterstützen. Für viele öffentliche Bereiche und Institutionen ist das Genossenschaftsmodell noch immer etwas Unbekanntes und wird deshalb manchmal ausgegrenzt. Das möchten wir ändern.

 

Ich möchte die Genossenschaftsvertretung nicht alleine führen, sondern partizipative Prozesse innerhalb des Coopbund pflegen.

 

Sie sind die erste weibliche Präsidentin des Coopbund Südtirol Alto Adige. Glauben Sie, dass die Tatsache, dass Sie eine Frau sind, Ihren Führungsstil beeinflusst?

Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass mit einer Frau in Führungsposition ein wichtiger Schritt und auch ein wichtiges Zeichen gesetzt wird: Eine Frau in einer Führungsposition kann genau das gleiche - wenn nicht noch mehr - erreichen wie ein Mann in Führungsposition. Hier gibt es keine Unterschiede.

Hat Ihr “Frausein” zu Ihrer Wahl als Präsidentin des Coopbund beigetragen - oder vielleicht im Gegenteil - diese hinausgezögert?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin seit 18 Jahren im Verband tätig, wobei ich von der Revision bis zur Start-up-Begleitung verschiedene Rollen eingenommen habe. Seit zehn Jahren bin ich im Vorstand und seit fünf Jahren stellvertretende Präsidentin. Ich bin mit dem Weg, den ich im Verband gemacht habe, zufrieden. Ich glaube nicht, dass die Tatsache, dass ich eine Frau bin, diesen beeinflusst hat.

Werden Sie die Rolle der Frauen im Genossenschaftswesen aktiv fördern? 

Auf jeden Fall. Das habe ich eigentlich immer schon gemacht. Wir sind auch sehr stolz darauf, dass wir im Genossenschaftswesen relativ viele Frauen in Führungspositionen haben - und zwar nicht nur in Sozialgenossenschaften, sondern auch in Arbeitsgenossenschaften. Das ist wichtig, um das Klischee einer “typischen Frauengenossenschaft” zu brechen.

 

Frauen müssen sich mehr trauen, Führungspositionen einzunehmen.

 

Wie wollen Sie diese Rolle im Genossenschaftswesen stärken?

Frauen müssen sich mehr trauen, Führungspositionen einzunehmen. Sie müssen aber auch dazu ermutigt und begleitet werden. Im Beirat für weibliches Unternehmertum der Handelskammer, dem ich seit drei Jahren angehöre, sind wir beispielsweise dabei, vermehrt Dienstleistungen für die Kinderbetreuung anzubieten. Das ist aber nicht das einzige Thema. Was es braucht, ist vor allem auch ein gesellschaftlicher Wandel: Die Akzeptanz muss von der Bevölkerung ausgehen. Die erste Frage, die man einer Frau in Führungsposition stellt, ist: “Wie machen Sie das, Sie haben ja zwei Kinder zu Hause?” Einem Mann wird diese Frage nicht gestellt. Hier müssen auch die Journalist*innen einen Schritt machen und diese Fragen gar nicht mehr stellen.

Zurück zum Genossenschaftswesen selbst: Sie kommen aus München und haben in Trient studiert. Wie sehen sie das Genossenschaftswesen im Vergleich zwischen Deutschland und Italien?

Ich bin in Italien geboren, im München aufgewachsen und habe dann in Deutschland und in Trient studiert. Ich kenne das deutsche Genossenschaftswesen eigentlich erst, seit ich in diesem Bereich tätig bin, das heißt seit 18 Jahren. Wir betreuen viele Gruppen aus Österreich und Deutschland, die eine ganz andere Erfahrung im Genossenschaftswesen haben. Ich muss sagen, dass Italien hier in vielen Aspekten einen Schritt voraus ist, vor allem im Bereich der Sozialgenossenschaften. Wir haben viele Initiativen gestartet und auch Weiterbildungen geleitet. In anderen Bereichen, wo Deutschland vielleicht etwas weiter ist - im Bereich der Seniorengenossenschaften zum Beispiel - versuchen wir hingegen Studien und Forschungstätigkeiten durchzuführen.

Wie drückt sich dieser "Schritt voraus", den Sie angesprochen haben, aus?

Indem man sich traut, Veränderungen durchzusetzen. Hier geht es nicht nur darum, eine Frau an die Spitze zu setzen, sondern vor allem auch darum, das Modell der Genossenschaften unter der Bevölkerung bekannt zu machen. Wir haben beispielsweise einen Schalter für Start-Up-Beratung: Wenn Personen daran interessiert sind, eine unternehmerische Tätigkeit im Rahmen des Genossenschaftmodells durchzusetzen, bieten wir eine kostenlose Beratung mit einer Reihe von Experten an. Dabei geht es nicht nur um Steuervorteile und Förderungen, sondern vor allem darum, die Interessierten über ein ganz anderes Modell, ein Unternehmen zu führen, zu informieren. Italien hat hier einerseits mehr Erfahrung in diesem Bereich, gleichzeitig aber auch ein sehr innovatives Genossenschaftsmodell.