Kultur | Salto Afternoon

Libanesisches Vorbild

Während sich Europa auf Kompromisse in der Flüchtlingspolitik einigt, informieren Vereine und Organisationen in Bozen über legale Fluchtwege. Ein Lokalaugenschein.
Libanon
Foto: Foto: Salto.bz

Pro Borders?

Österreich drohte Europa vor wenigen Tagen mit dem von Innenminister Herbert Kickl peinlich inszenierten Szenario Pro Borders am Grenzort Spielfeld, an der Grenze zu Slowenien. Die Veranstaltung war (s)ein Spielfeld der Angstmache, eine Angstmache wie sie auch Italiens Innenminister Matteo Salvini betreibt, der am laufenden Band mit unüberlegten und unmenschlichen Schnellschüssen, die sozialen Netzwerke flutet und Likes erntet, die (s)eine irrtümliche und egoistische Haltung bestätigen.
Während die als jung und dynamisch angesehenen Rechtsparteien, Europa in Sachen Asylpolitik vor sich hertreiben und viele Intellektuelle aus Kultur und Wirtschaft es vorziehen sich beobachtend zurückzuhalten, gilt es umso mehr jene Initiativen aufzuzeigen, die in ihrer "Flüchtlingsarbeit" ohne Schwarzweißmalerei auskommen und sich durch positives Handeln hervortun.

Humanitäre Korridore

„Es geht um den legalen Weg aus dem Krisengebiet in friedliches Gebiet...“, erzählte Elisabetta Libanore, eine der drei Referentinnen, im Rahmen der Veranstaltung Vie di fuga legali (organisiert vom Verein Donne Nissà) am Dienstag im Semiruralipark in Bozen: „Wir hier in Westeuropa können frei entscheiden, wohin wir uns aufmachen, wohin wir uns hinbewegen. Dieses Recht haben nicht alle Menschen.“ In dem von ihr betreuten Projekt steht eine Kultur des sich freien und legalen Bewegens im Vordergrund. „Die Menschen sollen an ihrem neuen Ort entscheiden“, sagt sie, „wie und wo sie weitermachen oder auch neu anfangen möchten.“
Libanore sprach über Schwierigkeiten, die vielen Hindernisse der Bürokratie und natürlich über die nötigsten Dinge für Menschen welche auf der Flucht sind: Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf!

Das Projekt der humanitären Korridore begann Ende 2015 und ermöglichte seitdem rund 1000 Menschen auf legale Weise in Italien einzureisen. Als Beispiel für eine gute Zusammenarbeit, nannte Libanore den Libanon: „Es geht hier in erster Linie um den sicheren Weg für Verletzte, Kinder und Frauen aus Syrien. Die geflüchteten Personen werden kontrolliert, führen ein Aufnahme-Gespräch und kommen dann in der Regel legal mit dem Flugzeug in das neue Gastland, in welchem sie sich vorübergehend aufhalten können.“
Das Projekt für welches Libanore von Turin aus arbeitet wird zur Gänze von der Evangelischen Kirche der Waldenser finanziert und es fördert den legal eingereisten Personen, dass sie ihr Leben selbstbestimmt weiterführen können - in Freiheit und Autonomie: „Es sind Menschen von einem Tag auf den anderen ihr Land verlassen müssen, die sich das sehr gut überlegen, bevor sie alles hinter sich lassen und sich ins Ungewisse aufmachen.“

Aufklärung und Protest

Libanore und ihre Projektpartner begleiten und setzen auf Information. Und sie unterstützen die Menschen vor allem beim Aufbau von privaten Netzwerken im Gastland.
Im Anschluss sprachen Federica Dalla Pria und Ermira Kola über aktuelle Flüchtlingsszenarien an der Brenner-Grenze und in Bozen. Es war für das Publikum bitter mitanzuhören wie unprofessionell Politik und Polizei in Zeiten von opportunem Populismus und Rechtsruck agieren - etwa wenn über den Brenner geflüchteten Menschen die Hälfte ihres Bargeldes und das Mobiltelefon abgenommen und ihre Weiterreise dadurch erschwert wird. Der Staat bleibt als Dieb zurück, der jene beschuldigt, die er bestiehlt. 

Nach der Gesprächsrunde wurde der Film Portami Via von Marta Santamato Cosentino gezeigt. Es ist ein Porträt über eine Familie, die im Libanon auf einen Neuanfang in Turin wartet und die Brücke der humanitären Korridore in Anspruch nimmt, für eine Zukunft, „die mit einer Bordkarte beginnt“.

Portami Via [Official Trailer]

Brücken statt Mauern

Positive Vibrations gab es auch einen Tag später am Waltherplatz in Bozen. Hier versammelten sich knapp 200 Personen, um – wie in vielen anderen Städten Italiens und Europas – eine neue europäische Solidarität zu fordern, die Brücken und nicht Mauern baut. Nur wenige Politiker und Politikerinnen ließen sich blicken.

Europa läuft Gefahr einem riskanten "autoritären Populismus" und einem wiedererstarkten Rassismus hinterherzuhecheln. Jede aufklärende Aktion dagegen ist wichtiger denn je.