Gesellschaft | Gastkommentar

Die Indispensabile

An diesem Samstag, 1. Juli, halten die Grünen wieder Landesversammlung. Zwecks Wahl weiterer Landtagskandidaturen. Die von Madeleine Rohrer vor allem.
Rohrer, Madeleine
Foto: Dachverband
Überraschung oder Vortäuschung einer solchen? Als letzte Woche zum Johannistag (Stichtag, die Nüsse für den Nusseler anzusetzen) der Grünen-Generalstab die Sprecherin im Meraner Gemeinderat, Madeleine Rohrer, als ihre Landtagskandidatin vorstellte, war die erste Polemik schon vom Zaun gebrochen. Auslöser war eine zugegeben kryptisch formulierte Aussendung der Grünen vom Tag zuvor. Darin luden die regierende und der scheidende Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba zusammen mit Rohrer zu einer Pressekonferenz nach Meran. Ohne Angabe eines Zweckes. Was das grüne Dreigestirn wohl mitzuteilen habe? Einzig die Meraner Dolomiten-Redakteurin schaltete flugs: Es könne doch nur bekannt gegeben werden, dass Madeleine Rohrer für den Landtag kandidiert. Dass sie nicht kandidiere, dafür würden die Grünen keine Pressekonferenz halten.
 
 
Dass sie nicht kandidiere, dafür würden die Grünen keine Pressekonferenz halten.
 
 
madeleine_rohrer.jpg
Pressekonferenz der Grünen am vergangenen Freitag (23. Juni 2023), auf der die Bekanntgabe der Kandidatur von Madeleine Rohrer erfolgte. (Foto: Grüne)
 
Richtig geraten. Die Nachricht, die auf der Pressekonferenz dann feierlich verkündet wurde, las Südtirol so schon frühmorgens aus den Dolomiten. Andere, den Grünen vorgeblich näher stehende Medien waren die Gelöcherten. Entsprechend pikiert reagierte die Konkurrenz. Ob das der neue Kuschelkurs der Grünen mit der Großen sei. Die solcherweise Verdächtigten wiesen den Vorwurf entrüstet zurück. Müsse doch für jeden einigermaßen politisch denkenden Menschen verständlich gewesen sein: eine Pressekonferenz mit Madeleine Rohrer. Worüber sonst als für die Landtagskandidatur?
 
Schon gut, aber trotzdem. Für ganz so blauäugig darf eine Redaktion auch wieder nicht gehalten werden, wenn sie aus derselben Einladung das Gegenteil herauslas. Allemal wäre es überraschender und also die ergiebigere Nachricht gewesen, hätten die Grünen mitgeteilt, dass Madeleine Rohrer nicht kandidiere. Es wäre die Erschütterung einer allgemeinen Gewissheit gewesen. Denn wer wollte ernsthaft behaupten, er oder sie habe nicht gehofft oder nicht befürchtet, die Frau von Meran würde in den Landtag wollen? Dass sie es nicht wolle, wäre der eigentliche Clou dieses an Namen und Namensvorstellungen reichen Vorwahlkampf-Sommers gewesen. Spätestens seit ihrem grandiosen Vorzugsstimmen-Ergebnis bei der ersten Runde der Meraner Gemeinderatswahlen 2020 und dann definitiv nach dem fulminanten bei der Wiederholung im Jahr drauf. Keine Frau im Land kam der grünen Neuen nahe. Von überall her flogen ihr Bewunderungserweise zu. Die benachbarte SVP-Bürgermeisterin und künftige Mitbewerberin um den Landtag, Rosmarie Pamer in Passeier, verbreitete Solidaritätsadressen. An der Person Madeleine Rohrer scheiterte eine zweite Amtszeit Paul Rösch, weil dieser sie als seine Stadträtin zur Conditio sine qua non machte. Rohrer o morte. Italienische Rechte und SVP ergriffen ihre Chance und blockten: Es gibt keine Indispensabile. Hintennach-Gescheite wollen gar verstanden haben, Meran wäre heute noch grün regiert, hätten die Grünen nicht den gescheiterten Rösch ins Wiederholungsrennen ums Bürgermeisteramt geschickt, sondern die Überfliegerin Madeleine.
 
 
madeleine_rohrer_gemeinderat.jpg
Madeleine Rohrer: Gemeinderätin und Sprecherin der grünen Fraktion im Meraner Gemeinderat. (Foto: Gemeinde Meran)
 
 
Das war Herbst 2021, und seither ist Madeleine Rohrer im Gespräch als Landtagskandidatin. Bald zwei Jahre, lang genug, um Gegenargumente in Umlauf zu setzen. Die 40-jährige Rohrer ist Sprecherin der 10-köpfigen Grünen-Fraktion im Meraner Gemeinderat. Eine mächtige Opposition, aber halt nur Opposition. Darf so eine ihre Aufgabe aufgeben? Auch wenn Landtag einen politischen Aufstieg bedeutet, die Hinterbliebenen haben ein Recht darauf, ihn als Absprung zu empfinden. Seit anderthalb Jahren ist die grüne Gemeinderatssprecherin Geschäftsführerin des Dachverbandes für Natur und Umweltschutz. Der Verband hat seither unstrittig an Schwung und Sichtbarkeit gewonnen. Ist der Sache deshalb nicht mehr gedient, dass …?  Oder nutzt die Ehrgeizige Südtirols größte Umweltschutz-Organisation gar nur „als Sprungbrett“: Oh, die böse Politik! Es ist keine gute Zeit für Kandidaten.
 
 
Oh, die böse Politik! Es ist keine gute Zeit für Kandidaten.
 
 
Nur wer bisher nichts war oder nichts getan hat, ist frei von jedem Verdacht. Vorleistungen sind verdächtig. Gewählt zu werden, eine Schande. Obacht! Madeleine Rohrer könnte eine Lobbyistin für Natur- und Umweltschutz sein. Für Gegner die letzte Möglichkeit, sie zu verhindern: an diesem Samstag, 1. Juli, Landesversammlung der Grünen. Diese beschließt, was letzte Woche in Meran nur „vorgeschlagen“ wurde.

 

Bild
Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Do., 29.06.2023 - 20:45

Meran ist ein Beispiel, wie es politische Grüne wohl nicht machen sollten. Die Realpolitik der „Grünen/Liste Rösch“ hieß nicht nur Maulkörbe, sondern vor allem, keine Rechte der Natur (vgl. Wesche), keine Rechte der künftigen Generationen, keine Mitwirkungsmöglichkeit für betroffene Anrainer-innen, keine Mitentscheidung der Bürger-innen beim autogerechten, aber klimafeindlichen Umbau der Altstadt Merans durch die Kavernenparkgarage auf über sechs Ebenen unterhalb des Tappeinerwegs mit Weltkulturerbeanwärter-Status. Da stellt sich nach allgemeinen Verständnis von „Glaubwürdigkeit“ in der Politik zurecht die Frage: Haben die politischen Grünen, diese Realpolitik und Praxis in Meran (selbstkritisch) auf Gemeinde- und Landesebene hinterfragt oder gar aufgearbeitet?
Madeleine Rohrers Absetzung in den Dachverband und nun mit der Landtagskandidatur ja hat eher was von: „Ich bin dann mal weg!“
Und das bei 1689 Vorzugsstimmen bei der Gemeindewahl, die ihr persönlich das Vertrauen ausgesprochen haben.
Es braucht Rechte der Natur (vgl. Wesche), Rechte der künftigen Generationen und jedenfalls nicht Selbstvermarktung, Ersatz- und Symbolpolitik, Rhetorik und Methaphern à la Rösch.
„Südtirol steht an einer Weggabelung: Gehen wir mutig den Weg hinauf zum Gipfel und sorgen wir mit Weitblick für echte Nachhaltigkeit und die gerechte Verteilung des Wohlstands? Oder stolpern wir auf dem scheinbar einfachen Weg weiter, weil wir den Überblick und unser Ziel aus den Augen verloren haben? Ich will diesen Weg nach oben gehen. Er ist anstrengend und er erfordert Mut. Aber ich weiß, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler bereit für diesen steilen Weg und ein neues Panorama sind."(M. Rohrer) gegenüber der STZ vom 23.06.23)
Entzückend. Ebenso wie das Bild von "Dirndl und Bier"(Salto, vom 26.06.23) . In Südtirol werden also nun bald schon über 500.000 mutige Bewohner-innen gleichermaßen und zeitgerecht mit der Bergführerin Madeleine den Ortler erklimmen und ins Land gucken. Rohrer als Messner 2.0.
Ökosysteme aber, dazu gehören nämlich auch jene in der Tiefe, rettete Rohrer mit Berggipfel-Metaphorik in Meran jedenfalls nicht.
Na dann, „Berg frei!“

Do., 29.06.2023 - 20:45 Permalink