Kultur | Salto Afternoon

Theater auf der Couch

Das Südtiroler Kulturinstitut hat den Regisseur Ulrich Waller zur Vorstellung der neuen Spielzeit geladen. Ein Gespräch über seine deutsch-italienischen Theaterprojekte.
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Foto: Salto.bz

Salto.bz: Sie feiern heuer ein kleines Jubiläum, denn vor 40 Jahren haben Sie mit dem Stück „Ella“ von Herbert Achternbusch Ihr erstes Stück inszeniert. Hab ich richtig recherchiert?

Ulrich Waller: Ja, das stimmt. Eigentlich hatte ich in Frankfurt bereits vorher was gemacht, das lief aber als Gemeinschaftsproduktion. Die erste Produktion, wo ich als Regisseur genannt wurde, war „Ella“ in Bremen. Mit dem Schauspieler Ignaz Kirchner.

Warum ein Stück von Herbert Achternbusch?

Das hatte auch mit den persönlichen Vorlieben des Schauspielers zu tun. Wir hatten bereits vorher einen Abend in Frankfurt über Karl Valentin gemacht – das war das Stück Zwangsvorstellung. Ignaz Kirchner – er ist vor kurzem verstorben –, hatte damals ein Faible für alles was mit Psychiatrie zu tun hatte. Ignaz hatte eigentlich immer das Gefühl, dass er wahnsinnig ist, was nicht stimmte. Er hatte aber damals für sich ein Label erfunden und unterschrieb beispielsweise immer mit Der verrückte Ignaz. Ignaz interessierte sich extrem für diese Geschichte einer Mutter, die durch die psychiatrischen Anstalten Oberbayerns wandert. Das Stück spielte in einer Kneipe, Ignaz war ein Transvestiten-Sänger, der sich die Kleider vom Leibe reißt, sich an den Tisch setzt und mit dem Publikum zu sprechen beginnt. Man fühlte sich, wie in einer Anstalt.
Im Vorfeld der Produktion bin ich sogar zu Achternbusch gefahren, um nachzuspüren wie der Autor lebt. Ich habe vorher und nachher in meinem Leben nie mehr so viel Weißbier getrunken.

Wie fand Achternbusch – der auch einen Film in Südtirol gedreht hat – Ihre „Ella“-Inszenierung?

Er sah sich das gar nicht an, sondern ging in eine Kneipe und betrank sich. Am Ende kam er in die Vorstellung und verbeugte sich. Und er sagte zu uns, er hätte gehört, dass es ganz schön gewesen wäre...

 

Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Ich habe eigentlich angefangen als Barkeeper eines Kleintheaters in Tübingen. Dort war ich einmal mit meiner Mutter gewesen und ich ärgerte mich darüber, dass ich im Anschluss einer Premiere nicht auf die Premierenfeier durfte. Ich lernte dann den Leiter des Theaters kennen. Und dann hat alles angefangen: ich schmierte die Brötchen für die Schauspieler und habe sie abgefüllt. Mich interessierte was sie mir erzählten. Gleichzeitig wurde mir angeboten, für eine Regionalzeitung Theaterkritiken zu schreiben  und so hab ich dann die Leute interviewt, die ich vorher betrunken gemacht hatte...

Wann ging es dann mit Ihren Arbeiten für die Bühne los?

Ich begann – nach einigen Mitarbeiten für diverse Stücke , Germanistik, Philosophie und Geschichte zu studieren, später ging ich nach München, um auch noch Theaterwissenschaften zu studieren. Ich hab dann aber gemerkt: Theaterwissenschaft ist überhaupt nicht das, was ich will. In dieser Zeit kam dann ein Anruf mit der Frage, ob ich denn Pyrotechnik beherrsche, denn das bräuchte es für ein Stück wo alles Mögliche angezündet werden würde. Da habe ich einfach frech behauptet: Klar! Es stellte sich aber bald heraus, dass das nicht stimmte, aber die Leute für diese Produktion fanden mich interessant und bereits ein Jahr später musste ich meinen Eltern erklären, dass ich mein Studium abbreche und zum Theater gehe.

Schauspielerei hat Sie nie interessiert?

Als Schüler hab ich Theater gespielt. Etwa Biedermann und die Brandstifter, die Sätze kann ich heute noch...

...das passende Stück für einen"angehenden" Pyrotechniker…

Genau. Dann gab es aber auch noch ein anderes fürchterliches, reaktionäres Stück, wo ich als König in einer weißen Strumpfhose auf der Bühne stand. Da merkte ich: Das machst du nie wieder! 

Das geht nur im Theater: Ein mögliches, anderes Ende.

Sie leben und arbeiten auch in Italien…

Ja, ich habe ein Haus in der Nähe von Siena, das ich als Ruine gekauft habe. Vor fünf Jahren hab ich dort im Dorf mein erstes deutsch-italienisches Projekt gemacht, über ein Massaker, welches deutsche Soldaten einst in dem Dorf verübt hatten, als sie am Tag ihres Abzuges – als "Sühneaktion"  neun Frauen und Kinder erschossen haben.

Wie ist Ihnen diese Geschichte zugefallen?

Auf dem Dorffriedhof liegt meine erste Frau begraben, mit der ich auch das Haus gemeinsam gebaut habe. Sie starb an Krebs, wollte aber unbedingt in Italien bleiben. Am Dorffriedhof befindet sich ein Mahnmal dieser neun Märtyrer und ich habe dazu immer wieder die Leute im Dorf befragt, aber jeder erzählte mir eine andere Geschichte. Ich dachte mir: Das kann nicht sein, dass jeder diese Geschichte anderes beschreibt.

Sie hatten es mit verschiedenen Sichtweisen zu tun?

Genau. Mit meiner zweiten Frau habe ich dann das Stück gemacht, mit einem Regisseur, der im Ort eine Laien-Theatergruppe führte. Wir haben es genau zum 70. Jahrestag des Massakers aufgeführt. Meine Frau sagte vor der Aufführung: Wenn das schief geht, können wir das Haus verkaufen.

Wie ist das Stück angekommen?

Die Reaktionen waren entsprechend dem Phänomen: La memoria divisa. Das Dorf war einfach gespalten, da seit diesem Ereignis vor 70 Jahren, die einen nicht mehr mit den anderen darüber geredet haben. Über das Projekt ging das Gespräch wieder los. Wir haben dazu auch einen Dokumentarfilm gemacht.

 

Italien spielte auch im Stück „La grande gelata – Der große Frost“ eine Rolle, in welchem Sie die Geschichte der Gastarbeiter erzählen…

Ich habe da mit der italienischen Schauspielerin Daniela Morozzi und mit Adriana Altaras gearbeitet. Ich wollte einfach etwas über die deutsche Willkommenskultur machen und erzählen, wie es damals war, als vor über einem halben Jahrhundert die ersten Migranten nach Deutschland gekommen sind und wie sie damals empfangen wurden. Es war schon erschütternd nachzulesen, auf welche Ablehnung die Italiener damals gestoßen sind.
Die beiden Schauspielerinnen spielen die Töchter eines Migranten aus der Toskana, der nach Deutschland ging, um für VW zu arbeiten. Die Töchter stellen fest, dass ihr Vater zwei Familien hatte, eine in Italien, eine in Deutschland. Es ist eine Geschichte, die es offensichtlich ganz oft gegeben hat. Wir haben nun aus dieser Geschichte auch eine Doku-Soap für Arte gemacht.

 

Ihre Inszenierung „Monsieur Claude und seine Töchter“ wird im November in Südtirol zu sehen sein…

Die Geschichte versucht das Thema Integration und den Umgang mit fremden Kulturen auf komische Weise zu entkrampfen.
Mein großes Vorbild ist Dario Fo, der immer sagte, dass Vorurteile und Strukturen, die sich verfestigt haben – auch Herrschaftsstrukturen , wenn man die lächerlich macht, ihren Schrecken verlieren…

Theater als Therapie?

Ich finde schon, dass es gut an einem Theaterabend ist, wenn man etwas über sich selber versteht. Das ist schon mein Ansatz. Ich arbeite nun auch an einem neuen Stück des Schriftstellers Florian Zeller, wo die Geschichte des Sohnes eines getrennten Ehepaars erzählt wird, der keinen Bock mehr auf die Schule hat und unter einer Depression, einer sehr tiefen Lebenskrise, leidet. Bis zu dem Moment, wo er sich umbringt. Dann macht der Autor aber einen irren Kniff: Man glaubt, der Sohn erschießt sich und das Stück nimmt ein ziemlich trauriges Ende, aber dann geht die Tür auf, der Sohn kommt wieder rein und sagt: Papa, ich hab ein Buch geschrieben. Das geht nur im Theater: Ein mögliches, anderes Ende.