Kultur | Salto Weekend

Gedanken zum Kino

Eine Liebeserklärung an den schönsten Ort der Welt.
Cinema Paradiso
Foto: Cinema Paradiso

Das Kino ist ein wunderbarer Ort.

Es ist ein Ort der Magie, der Zeitlosigkeit und der letzte Hort für all die verlorenen Seelen, die sich nicht mit den dramaturgischen Schwächen des Lebens zufriedengeben wollen. Sie nehmen den Weg auf sich, hin zum Lichtspielhaus, egal ob bei Regen oder Sonnenschein, egal zu welcher Tageszeit. Sie treten durch die schweren Türen und kaufen sich eine Karte. Sie nicken den Mitarbeitern zu, schlendern durch das Foyer des Kinos und betrachten alte Plakate. Gesichter voll regungsloser Nostalgie starren sie von den Wänden herab an. Man schaut verträumt zurück, mit der sich anbahnenden Vorfreude auf den Film und der Hoffnung, für einige Stunden in einen tatsächlichen Traum einzutauchen. Die Menschen lehnen gedankenverloren an den Säulen vor dem Saaleingang, darauf wartend bis er sich öffnet, und sie merken gar nicht, wie Gleichgesinnte sich dazugesellen. Wem werden sie an diesem Abend begegnen? Welche Geschichte werden sie erleben, welches Schicksal kennenlernen? Spannung liegt in der Luft und sie ist zum Schneiden dicht. Dann ertönt ein Gong und die Türen gleiten geräuschlos auf. Man tritt ein in den düsteren Saal, sucht emsig seinen Sitz und lässt sich seufzend nieder. Weich sinkt man ein, wirft Blicke nach links und nach rechts, es sind nur wenige Menschen hier, wie schön ist doch die Melancholie eines halb leeren Kinos. Und wie sich die Türen schließen, das letzte Glimmen der Lichter erlischt und der Vorhang die Sicht auf die Leinwand freigibt, verlässt man die reale Welt und tritt durch ein Portal in das Reich der Fiktion. Die Menschen staunen und sind fasziniert davon, wie sich die erst unschuldig weiße Leinwand plötzlich mit Farben und Formen füllt, und Worte und Musik aus den Lautsprechern fliehen wie die Räuber in dem Film von Godard, oder die Liebe in einem tragischen Scheidungsdrama von Ingmar Bergman. Die Menschen sehen den Menschen zu und erleben sie an den Orten und Kulissen unserer Alltäglichkeit, oder an solchen, die den kühnsten Träumen entsprungen sind, doch selbst ihnen wohnt die niemals verschwindende Präsenz der menschlichen Existenz inne. Kunst ist menschengemacht und somit immer menschlich, und so ist es auch jeder Film, egal ob hundert Menschen, egal ob ein Mensch auf der Leinwand zu sehen ist, ja sogar wenn nur leere Landschaften das Bild füllen, ist doch der Geist des menschlichen Denkens stets zu spüren.

Wer denkt, das Kino wäre lediglich eine Flucht vor der Realität, der unterschätzt die Macht des Mediums. Denn es weiß den Zuschauern in diesem Belangen nur Spiegelbilder vorzuhalten, dystopische Entwürfe ihres eigenen Lebens zu präsentieren, oder, umgekehrt gedacht, desillusionierende Utopien eines Daseins, welches nichts mit der Realität zu tun hat, und verglichen mit eben jener, wie eine niederschmetternde Faust in den Köpfen der Zuschauer wirken kann.

Ein kluger Film gibt dem Publikum keine einfache Flucht, keine Antworten, sondern nur Fragen, anhand derer man sich selbst und das eigene Dasein hinterfragen und reflektieren, und im besten aller Fälle zu neuen Erkenntnissen finden kann.

Nur wer dies erkennt, hält den Schlüssel zur unerschütterlichen Macht des Kinos in den Händen. Dann zieht es den Menschen immer wieder in den dunklen Saal, für wenige Stunden mit einer Handvoll Fremder ausharrend, gebannt sehend was vor ihm geschieht. Und wenn die Lichter angehen, dann blinzeln die Menschen verwirrt umher, sie fallen sanft zurück in die Realität und erheben sich ächzend und ungelenk aus den Sitzen, wanken wie betäubt aus dem Saal, die Stufen hinauf, den Mitarbeitern müde zuwinkend, hinaus in die kalte Nacht, hin über den Bürgersteig, blind nach Hause, sie kennen den Weg, und dann in den Schlaf, wo die Menschen aus dem Film zu besten Freunden werden, und man die Orte ihrer Abenteuer bereist, in Abgründe blickt und höchste Glückseligkeit empfindet, und man dann am Morgen erwacht und diese tiefe Sehnsucht nach einem Wiedersehen verspürt. Und so wartet man, bis der Tag verstreicht, und bis die Stunde gekommen ist, und dann tritt man durch die Tür auf die Straße, und spaziert hin zum Kino, der Zeitlosigkeit entgegen, hin zum wunderbarsten aller Orte.