Gesellschaft | Salto Gespräch

Wir leben in einer Make-up-Gesellschaft

Der Autor Matthias Vesco über sein neues Buch, Feng-Shui, die Suche nach dem Glück, ein Leben querfeldein und den konservativen Grundtenor in diesem Land.
Vesco. Matthias
Foto: Privat
Ein Augustabend in Meran. In der Sommerresidenz des Ost West Clubs im Marconi Park stellte der Autor Matthias Vesco sein neues Buch vor und sorgte mit einer gelungen musikalischen Untermalung durch Moritz Brunner für einen intensiven ersten Einblick. Matthias Vescos „Feng-Shui: Impossible“ kündigt sich an als humorvoll erzählte pervertierte Suche nach dem Glück. Ohne Blätter vor dem Mund und gerade ins Gesicht.
 
Salto.bz: Herr Vesco, geben Sie eine kurze Inhaltsangabe Ihres Buches in eigenen Worten?
 
Matthias Vesco: Es geht um das Thema der Unzufriedenheit, welches in der westlichen Gesellschaft weit verbreitet ist, trotz materiellen Überflusses. Wünsche, Träume, Erwartungen, Hoffnungen. Vergangenheit und Zukunft dominieren und die Gegenwart kommt häufig zu kurz. Protagonistin Barbara spürt, dass ihr Leben nicht vollständig ist. Durch einen Zufall stößt Sie auf Feng-Shui, eine alte chinesische Lehre, die darauf beruht, den Menschen mit seiner Umgebung in Einklang zu bringen. Barbara versucht, mehr Balance ins eigene Leben zu bringen, um zufriedener und ausgeglichener zu werden. Aber diese Suche nach Balance gerät immer mehr aus dem Gleichgewicht und entwickelt sich zu einer chaotischen Irrfahrt.
 
Wie aber kommen Sie gerade auf Feng-Shui?
 
Ich denke, das Thema ist literarisch betrachtet sehr interessant, da es sich gut eignet, einen Plot aufzuziehen, der eine starke psychologische Komponente hat. Ich bin durch Zufall darauf gekommen. Natürlich habe ich mich informieren müssen. Eines der anfänglichen Kapitel beschreibt die Informationssuche der Protagonistin, welche meinen eigenen Rechercheprozess widerspiegelt. Ich stand ziemlich lange ratlos vor dem Rechner. Mittlerweile meine ich, von einer Schule des Feng-Shui die Grundlagen verstanden zu haben. Aber mein Wissen kann sicher nicht mit dem eines Experten verglichen werden.
 
 
Ich stand ziemlich lange ratlos vor dem Rechner.
 
In Ihrem Buch geht es auch um die Adaption von östlichem Gedankengut in unserer westlichen Welt.
 
Das ist ein wichtiges Thema. Die Protagonistin arbeitet im Duty-free-Bereich eines Flughafens. Ein skurriler Ort, der die Vernetzung Welt darstellt. Von allen Ländern kommen Leute zusammen und brechen in alle Richtungen auf. Und im Mittelpunkt dieses Niemandslandes stehen Parfums und bestimmte Alkohol- oder Tabaksorten – sinnbildliche dafür, wie eine westliche Lebensweise der Welt ihren Stempel aufdrückt. Barbara versucht zwar, das originale Feng-Shui umzusetzen, um zu einem neuen Menschen zu werden. Sie möchte sich gewissermaßen häuten, doch diese Mission – oder wie man es nennen will – ist irgendwie verhext. Wie Kindheitstraumata, die sich ständig wiederholen. Wie eine bestimmte kulturelle Prägung in Form von nicht abwaschbarem Blut.
 
Eine Art Krankheitsbild, eine Diagnose. Doch gibt es auch Alternativen?
 
Was ich mir vorstelle und wünsche: Obwohl sich einige Dinge gebessert haben, steht das Soziale nach wie vor zu sehr im Hintergrund. Dabei ist es überaus wichtig, darauf zu achten, wie man auf zwischenmenschlicher Ebene reagiert und interagiert. Leider wird oft mehr darauf Wert gelegt, sich selbst so stark wie möglich zu zeigen und Schwächen zu überschminken. Eine „Make-up-Gesellschaft“, in der man sich besser darstellt, als man ist. In der es zum Teil tabuisiert ist, über die eigenen Probleme und Schwächen zu reden. Ich würde mir eine empathischere Gesellschaft mit weniger Leistungsdruck wünschen. Das würde uns allen guttun und zu unserer Zufriedenheit beitragen.
 
Ich würde immer ein Leben querfeldein bevorzugen, zwischen Brennnesseln und Brombeeren hindurchmarschieren und versuchen, einen eigenen Weg zu gehen.
 
Kann nicht gerade hier Kunst etwas verändern?
 
Ich glaube, dass Kunst, egal, in welcher Form, das Potential hat, die Gewohnheit und das Monotone des Alltags zu sprengen und neue Erfahrungen zu vermitteln. Und ich habe glücklicherweise in meinem Leben auch schon Erfahrungen gesammelt, wo ich ins kalte Wasser geschmissen wurde und über mich selbst hinausgewachsen konnte. Aber erst, indem ich meine eigenen Schwächen erkannt und akzeptiert habe. Und diesbezüglich kann Kunst einem ganz viel geben. Individuell als Reflexionsprozess, aber auch für die Gesellschaft. Das ist für mich sehr wichtig. Egal, wie hart es sein mag, nicht zu allem einfach Ja und Amen zu sagen. Eine Gegenstimme zu deponieren. Natürlich muss ich mich aber auch in Bescheidenheit üben, und nicht der ganzen Welt meinen prophetischen Hammer auf den Kopf schlagen.
 
 
 
 
Die ausgefahrenen Bahnen gefallen Ihnen nicht?
 
Ich habe mal einen Dokumentarfilm zur Zukunft des Bergtourismus gesehen, wo sie eine Brücke zwischen zwei Alpengipfeln bauen wollen oder gar gebaut haben. Und in der Mitte dieser Hängebrücke befindet sich ein Selfie-Point. Der Ablauf besteht darin, mit der Seilbahn hochzufahren und dann inmitten dieser Brücke ein Selfie zu schießen, genauso wie hundert andere Leute. Ich würde immer ein Leben querfeldein bevorzugen, zwischen Brennnesseln und Brombeeren hindurchmarschieren und versuchen, einen eigenen Weg zu gehen.
 
Ich will die Farbe genießen, das Graue hinter mir lassen.
 
Was bedeutet für Sie Glück?
 
Verantwortung übernehmen. Mich um das Miteinander kümmern, bei der Familie oder bei der Arbeit, mir selbst treu bleiben und gut mit anderen kommunizieren und mich inspirieren lassen. Natürlich hat jeder seine Laster zu tragen, aber ich versuche gerade relativ gezielt und effektiv durch das Leben zu gehen und meinen Ausgleich zu finden. Seit meine Zwillinge geboren sind, schätze ich die guten Momente noch mehr. Ich will die Farbe genießen, das Graue hinter mir lassen.
 
Wie lebt es sich als Autor in Südtirol?
 
Ich habe in Wien studiert, war immer darauf bedacht, mit Reisen verschiedene Orte kennen zu lernen, und ich habe ein Jahr lang in Neapel gelebt. Dann bin ich aus familiären Gründen zurückgekommen. Was die Kunst anbelangt, versuche ich dann auch, diesen regionalen Kontext zu nutzen und das Netzwerk an Leuten, die ich kenne. Ich bin auch sehr dankbar für die Kunstförderungen, nicht nur in Bezug auf meine eigenen Projekte. Dennoch möchte ich nicht leugnen, dass ich dem konservativen Grundtenor, der hier vorherrscht, eher kritisch gegenüberstehe. Ich möchte alternative Inputs setzen, um zu zeigen, dass es auch andere Realitäten gibt. Aber alles in allem bin ich echt zufrieden und dankbar, da ich auch wirklich viel Unterstützung erhalten habe.