Gesellschaft | salto Gespräch

“Ich muss lernen, Nein zu sagen”

Norbert Rier ist ein rastloser Mann. Der Sänger der Kastelruther Spatzen spricht über seine Musik, die Karriere, den Erfolg ... und die Schattenseiten.
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Foto: norbert-rier.com

Er ist ein ganz Großer, der den Blick für die kleinen Dinge im Leben nicht verloren hat. Mit ehrlicher Begeisterung weist Norbert Rier auf den prachtvollen Ausblick hin, den er von seinem Küchenfenster aus auf den bunt gefärbten Laubwald am Hang gegenüber des Fuschg-Hofes hat. Im Laufe des Gesprächs wird es draußen dunkel, doch die Augen des “Oberspatz” blitzen immer wieder auf während er über seine Musik, den Erfolg der Kastelruther Spatzen und über seine Heimat spricht. Es ist ein kluger Mann mit bescheidenem Gemüt, der an diesem Abend ganz offen von sich, seiner Karriere, den Fans erzählt. Am Samstag hat der 56-Jährige gemeinsam mit den Spatzen seinen langjährigen Bandkollegen Andreas Fulterer auf seinem letzten Weg begleitet. “Es war sein Wunsch, dass wir ihn zu Grabe tragen”, sagt Rier über den Schlagersänger, der am Mittwoch seinem Krebsleiden erlegen ist. Und einen auch nachdenklichen Norbert Rier zurück lässt.

salto.bz: Herr Rier, Sie stehen seit über 30 Jahren mit den Kastelruther Spatzen auf der Bühne. Erinnern Sie sich daran, wie alles angefangen hat?

Norbert Rier: Meinen ersten Auftritt mit den Spatzen hatte ich Silvester 1979. Da gab es die Gruppe bereits seit zwei, drei Jahren. Früher spielten wir vor allem auf kleineren Veranstaltungen: Hochzeiten, Bälle und in Tanzlokalen wie dem Schlernkeller in Kastelruth. In den Jahren danach hat sich das Ganze schön langsam entwickelt, 1983 nahmen wir die erste Kassette und Langspielplatte auf. Die waren aber eher als Erinnerung gedacht. Damit wir, sollten wir einmal nicht mehr spielen, etwas in der Hand haben und sagen können, das haben wir einmal gemacht.

Die Dinge liefern anders. 38 Alben und elf Kompilationen umfasst die stolze Diskografie der Kastelruther Spatzen heute. Haben Sie damit gerechnet?

Nun ja, die Dinge haben sich nach und nach entwickelt. Bereits das erste Album war ein Mords-Erfolg. Wenige Jahre später bekamen wir bereits eine Goldene Schalplatte verliehen. Was vor uns noch niemand in Südtirol geschafft hatte. Dann folgten Auftritte in Österreich, nach und nach auch in Deutschland. Damals spielten wir hauptsächlich zum Tanzen auf, was auch mal sechs, sieben Stunden dauerte. Mitte der 1980er hatten wir unseren ersten Fernseh-Auftritt in der ARD – etwas ganz Außergewöhnliches für uns. 1990 nahmen wir am Grand Prix der Volksmusik teil. Südtirol war zu dieser Zeit noch nicht vertreten, wir durften aber für Deutschland antreten.

Ein einschneidendes Erlebnis in der Geschichte der Spatzen? Sie haben den Grand Prix mit dem Lied “Tränen passen nicht zu dir” ja schließlich gewonnen.

Der Sieg beim Grand Prix hat uns viele Tore geöffnet. Das war die Zeit der Grenzöffnung in Deutschland und man spürte, dass es in den neuen Bundesländern viel Nachholbedarf gab. Auch dort lief es für uns super. Die Nachfrage stieg und stieg und wir beschlossen schließlich, alleine auf Tournee zu gehen. Vorher waren wir immer gemeinsam mit anderen Gruppen unterwegs gewesen. Und so hat sich das schön langsam entwickelt. Niemand von uns hatte je geglaubt, dass es soweit kommt und so gut läuft.

 

Wie hat man in Südtirol auf den wachsenden Erfolg reagiert?

Früher wurden wir wie der Prophet im eigenen Land stets etwas belächelt. Uns war der Erfolg anfangs selbst gar nicht bewusst. Wie auch der erste Echo, den wir 1993 erhielten. Mittlerweile sind wir ja schon bei 13 Echos und waren bis vor Kurzem einsamer Spitzenreiter. Wir sind ja jetzt doch alle in einem relativ hohen Alter, und staunen, dass es noch so läuft wie es läuft.

Es läuft also noch?

Klar, es wird uns immer häufiger die Frage gestellt, wie lange wir noch vorhaben, weiterzumachen. Früher habe ich stets gesagt, ich kann mir vorstellen, bis 50 weiterzumachen. Tja, mein 50. Geburtstag ist jetzt doch schon einige Jahre her (schmunzelt). Aber es ist einfach wichtig, dass man mit dem Herzen dabei ist und voll hinter dem steht, was man macht.

Musik ist immer etwas, was verbindet, was die Menschen zusammenführt

Die Welt hat sich in den Jahren seit Beginn Ihrer Karriere stark gewandelt. Wie hat sich die Musik der Kastelruther Spatzen verändert?

Wir haben das Glück, es geschafft zu haben, einen eigenen Stil aufzubauen. Eines unserer Markenzeichen sind etwa die Bläser, die in jedem Lied vorkommen. Für jeden Sänger, jeden Künstler, jede Band ist es wichtig, dass, wenn die ersten Töne erklingen, man gleich erkennt, von wem ein Lied stammt. Um jetzt weit vorzugreifen – das war schon bei den Beatles so, bei ABBA, den Rolling Stones… Und wir hatten eben das Glück, auf unsere Art.

Sind die Themen, über die Sie singen, dieselben geblieben?

Es ist unsere Art, Lieder zu Themen zu machen, die aus dem Leben gegriffen sind, die im Alltag vorkommen. Damit sich der eine oder andere angesprochen fühlt. Natürlich, das Hauptthema ist nach wie vor die Liebe. Wobei wir aber stets darauf geachtet haben, dass sich nicht zu viel Kitsch in unserer Musik einschleicht. Die Lieder sollen schon ein gewisses Niveau haben. Viel und immer singen wir von der Heimat, der Bergwelt. Ein bisschen erwarten sich die Leute das von uns. Bei Konzerten werden immer Bilder von Daheim eingeblendet, da kommen viele zu uns und sagen: Kein Wunder, dass ihr von den Sachen singt, in diese schöne Gegend müssen wir unbedingt einmal hin. In diesem Sinn können wir uns auch als musikalische Botschafter sehen.

Wie ‘echt’ ist die Musik der Spatzen?

Uns war immer wichtig, dass das, was wir aufnehmen, zumindest annähernd, auch live auf der Bühne so gespielt werden kann. Im Studio lässt sich ja heute wahnsinnig viel machen. Und wir legen immer noch großen Wert darauf, dass wir bei den Konzertauftritten alles live spielen.

Welche Musik hört Norbert Rier?

Ich bin ein großer Country-Fan. Aber eigentlich gefällt mir jede Art von Musik gut, wenn sie gut gemacht ist. Was mir nicht gefällt, ist Techno, das ist mir zu aggressiv. Und ich bin ein ganz großer Fan von Enya. Ihre super Stimme und das Klavier im Hintergrund… Wirklich beruhigend. Musik soll ja unterhalten, und beruhigen.

Ist nicht der Reiz da, auch mal etwas Neues auszuprobieren?

Wir versuchen, unsere Linie durchzuziehen und ihr treu zu bleiben. Sicher, man weicht dann schon auch ab und versucht Neues. Wie zum Beispiel beim Lied “Ich schwör”, bei dem wir mal etwas Anderes probiert haben. Das war etwas gewagt, aber es ist extrem gut angekommen. Durch dieses Lied haben wir speziell auch viel junges Publikum bekommen.

Sind die Fans der Kastelruther Spatzen im Laufe der Zeit dieselben geblieben?

Wir haben das Glück, dass uns viele Fans über die Jahre die Treue gehalten haben. Aber klar, die Zeit bleibt für niemanden stehen. Das Publikum hat sich mittlerweile schon etwas verändert, es sind Gott sei Dank immer junge Fans nachgekommen. Mittlerweile haben wirklich wir viele junge Anhänger, die sich trauen, zuzugeben, dass ihnen diese Art von Musik gefällt.

Volksmusik ist nicht nur etwas für die älteren Generationen?

Unsere Musik wird ja dem Genre ‘Volkstümlicher Schlager’ zugeordnet. Früher gab es viele Polemiken und Diskussionen mit Vertretern der ‘reinen’ Volksmusik. Die haben sich gegen Gruppen wie uns gewehrt und behauptet, die Volksmusik werde durch den Dreck gezogen. Das kann ein jeder sehen, wie er will. Aber wir haben Polemiken immer vermieden und nie schlecht über andere geredet. Sondern einfach versucht, unseren Weg zu gehen.

Aus finanzieller Sicht war das sicher nicht immer einfach?

Wir haben uns alles selbst finanziert und waren nie auf öffentliche Gelder angewiesen. Unsere Einnahmen wurde stets in die Anlagen und die Ausrüstung investiert. Dadurch sind wir schön langsam vorwärts gekommen.

Gut Ding braucht Weile – auch in der Musik?

Ich sehe das so: Wenn es mit der Karriere nicht zu schnell geht, ist das wie in der Natur. Ein Baum, der nicht zu schnell in die Höhe schießt, ist viel widerstandsfähiger. Ich beobachte das häufiger – es gibt, Künstler, die auf einmal in den höchsten Tönen bejubelt werden werden, für eine gewisse Zeit der Künstler oder die Gruppe sind und ein Jahr später nicht einmal mehr erwähnt werden. In der Showbranche gibt es ein enormes Kommen und Gehen, ständig. Und es ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber die Leute erwarten sich immer mehr. Diesen Druck erträgt man viel lockerer, wenn man nicht über Nacht plötzlich einen Hit landet.

Die einen kommen, die anderen gehen, aber die Spatzen, die bleiben, so wie man sie kennt: in ihrer Tracht?

Ein Thema, wo wir uns anfangs stark wehren mussten. Bei den Fernsehauftritten hieß es regelmäßig: Nein, mit dieser Tracht geht das nicht und wir sollen uns bitte anders anziehen. Aber wir hatten keine andere Garderobe dabei als die ‘Kurzen’. Und inzwischen kann man sich das gar nicht mehr anders vorstellen. Tracht bedeutet ja immer auch Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit. Ich erinnere mich an die Echo-Verleihungen, bei denen wir wir schon einige Male in der Kastelruther Tracht aufgetreten sind. Und das ist bei allen super angekommen. Auch wirklich große Künstler wie Robbie Williams haben zu uns gesagt: Ich finde das super, so kennt man euch.

Kam mit dem Erfolg – neben der vielen Anerkennung – auch der Neid?

Man bekam immer wieder gewisse Sachen mit, auch von Leuten, von denen man es sich nicht erwartet hätte. Auch im Dorf wurde blöd geredet und man merkte, dass eigentlich nur Neid dahinter steckt.

Wie geht man damit um?

Ich habe mich immer wieder auf alte Sprichwörter bezogen, wie etwa: Neid musst du dir hart erarbeiten, Mitleid bekommst du geschenkt. Wenn man beneidet wird, ist das immer ein Zeichen, dass man es zu etwas gebracht hat.

Als die ersten Erfolge da waren, kamen viele Schulterklopfer und wie oft hat es geheißen, “Ihr seid die Größten” – und kaum dreht man sich um, wird schon wieder über einen hergezogen

Die bösen Stimmen in der Heimat sind heute leiser geworden?

Wir haben nie irgendetwas verlangt. Aber es ist doch immer schön, wenn auch bei uns die Leute etwas Anerkennung zeigen. Mir es ist egal, wie jemand zu unserer Musik steht. Aber es muss den Leuten bewusst sein, dass wir durch unsere Videos und die Fernsehauftritte Werbung für unser Land machen, die niemand imstande wäre zu zahlen.

Keine Selbstverständlichkeit?

Nichts ist selbstverständlich. Und wenn uns gedankt wird, für das, was wir machen, freut das einen schon. Aber man muss sich dann auch entsprechend benehmen. Man kann noch so gute Musik machen, aber wenn du als Mensch ein Arschloch bist oder dich weiß Gott wie aufführst… Ich kenne so viele Kollegen, speziell auch in Deutschland, denen der Erfolg, den sie einmal gehabt haben, zu Kopf gestiegen ist. Das stößt mich persönlich ab. Arroganz ist eine der Eigenschaften, die ich am meisten hasse.

Starallüren sucht man bei den Kastelruther Spatzen vergeblich?

Uns kennt jeder, und mich ganz besonders, so wie wir sind: Ganz normale Menschen, die einer ganz normalen Arbeit nachgehen. Durch die Arbeit auf dem Hof und den ganzen Stress käme ich nie auf die Idee, irgendwelchen Blödsinn anzustellen, mich als etwas Besseres zu fühlen.

Wie schafft man es, bei all dem Erfolg und der Bekanntheit, mit den Füßen am Boden zu bleiben?

Ganz wichtig ist das Bewusstsein, dass man die Fans in dieser Branche braucht wie die Luft zum Atmen. Aber ich kann nur für mich sprechen, denn einige von uns Spatzen haben sich im Laufe der Zeit doch verändert. Leider, muss ich sagen. Vielleicht weil sie neben der Musik zu wenig zu tun haben. Ich sehe das bei mir: Es ist wichtig, dass es daheim viel Arbeit gibt, viel Stress. Ebenso wichtig ist natürlich die Familie und eine Frau, die hinter dir steht. Und vielleicht das Glück, von Haus aus nicht so anfällig zu sein. Ich bin jemand, der gerne unter Leuten ist. Für mich ist es ganz normal, ins Dorf zu gehen oder in die Kirche – ein ganz normales Leben zu führen. Aber klar, die Gefahr ist da. Ich weiß, wie das ist.  An diesem Punkt muss ich sagen, dass ich tatsächlich einen Schutzengel gehabt habe und mich nicht zu gewissen Sachen habe hinreißen lassen. Es geht darum, das Gesicht und den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren.

Wie ‘frei’ sind die Spatzen? Gibt es Vorgaben vom Management im Hinblick auf die Auswahl der Lieder, der Texte, der Inhalte?

Nein. Für mich ist klar, dass ich mich zu nichts zwingen lasse. Aber es ist jedes Mal eine Herausforderung. Mitte September ist unser aktuelles Album erschienen und jetzt geht es schon langsam wieder los mit dem Lieder aussuchen, für die CD, die voraussichtlich im kommenden Herbst erscheint.

 

Wie läuft die Entstehung eines Albums ab?

In den Anfangszeiten musste jeder selbst etwas einbringen, heute bekommen wir zum Glück Lieder von vielen namhaften Komponisten zugeschickt. Wir setzen uns dann mit unserem Produzenten zusammen und suchen die Songs aus. Wobei wir darauf achten, nicht zu viele ähnliche Themen zu haben. Dann geht es ins Studio, wo die Lieder von der musikalischen Seite her vorbereitet und schließlich aufgenommen werden. Und dann bleibt zu hoffen, dass es gut läuft und bei den Fans ankommt. Wie gesagt, es ist jedes Mal eine Mords-Herausforderung. Besonders ich habe einige Schwierigkeiten, da ich keine Noten kenne. Aber ich weiß ja den Text und im Studio höre ich die Melodie in den Kopfhörern.

Norbert Rier kennt keine Musiknoten?

Nein, ich kenne keine. Ich wollte einmal eine Stimmbildungs-Ausbildung machen. Der Experte, an den ich mich wandte, hat mir dann einige Atemübungen gezeigt und dann gesagt: Bleib so, wie du bist.

Sie waren auch nicht immer Sänger der Kastelruther Spatzen?

Bis 1991 war ich als Schlagzeuger dabei und musste das Spielen in relativ kurzer Zeit lernen. Ich habe mich lange dagegen gewehrt, den Part des Sängers zu übernehmen. Ich war es einfach nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Und bei einem Konzert wird der Sänger ja viel genauer beobachtet. Viele Künstler, die heute auftreten, kommen aus Konservatorien und sind super Musiker. Aber wenn etwas absolut professionell und exakt gelernt abläuft, geht häufig das Herz verloren und die Botschaft kommt nicht wirklich rüber. Es soll einfach mehr Gefühl dabei sein. Es ist wichtig, auch bei den Auftritten, dass man sich voll in die Musik hinein fühlt und sie versucht, sie in dem Moment richtig zu leben.

Welche Botschaft steckt hinter der Musik der Kastelruther Spatzen?

Da gab es einmal eine Laudatio bei der Krone der Volksmusik, in der Hademar Bankhofer (österreichischer Gesundheitsjournalist, Anm. d. Red.) über uns sagte: “Die Musik der Kastelruther Spatzen ist Balsam für die Seele. Eigentlich sollten diese CDs auch in den Apotheken erhältlich sein.” Musik ist grundsätzlich etwas, was entspannen soll, bei dem man die Seele baumeln lassen kann. Das ist auch unser Anspruch – dass sich die Leute einfach mal zurück lehnen und abschalten, den Alltagsstress und die Hektik vergessen können. Heutzutage steht man eh schon immer und überall unter Druck und wir laden dazu ein, einfach einmal in die heile Welt einzutauchen.

… die aber nicht immer so heil ist, wie Sie in vielen Ihrer Liedern singen.

Wir möchten ja keine Weltveränderer sein. Aber jedes unserer Lieder dauert ungefähr drei Minuten, in denen wir den Anstoß geben möchten, über bestimmte Probleme und auch sich selbst nachzudenken. In “Eine Brücke ins Glück” zum Beispiel, wo es heißt: “Alles schien mir sinnlos, ich war überfordert, hab nicht mehr an mich geglaubt. Keiner hat’s gesehen, ich habe still und heimlich Mauern um mein Herz gebaut”. Und weiter: “Da hat mich dein Lächeln zärtlich wach gerüttelt.” Die Botschaft dahinter: Es ist eine der schlimmsten Sachen wenn sich ein Mensch verschließt und abkapselt; und dass es wichtig ist, einen Partner oder sonst einen Menschen zu haben, an den du dich anlehnen kannst und der dir Halt gibt. Ganz ähnlich wie beim Glauben. Egal welchen Glauben man hat, er gibt den Menschen Halt im Leben. Das möchten wir mit unserer Musik vermitteln. Aber gleichzeitig natürlich auch Lebensfreude, das Positive. Deswegen haben wir uns bei der neuen Produktion auch für den Titel “Die Sonne scheint für alle” entschieden.

Ein sehr optimistischer Titel in doch düsteren Zeiten?

Es gibt heute immer mehr Menschen, speziell in meinem Alter, aber beängstigenderweise immer mehr Junge, die an Burnout leiden. Wenn alles zu viel wird, man leer und ausgebrannt ist und das Gefühl hat, das Akku ist leer.

Haben Sie selbst dieses Gefühl auch manchmal?

Es ist schon gefährlich. Bei all den Fans, und jeder will etwas von dir… Sie rauben so viel Energie, und selbst merkt man es oft nicht. Ich bin schon häufig richtig K.O. und dann ist vielleicht noch zu Hause bei den Pferden oder dem Vieh etwas nicht in Ordnung… Es gibt schon Momente, wo ich sage, ich will nicht mehr. Aber man hat dann doch Verpflichtungen.

Wir haben nie Probleme bei der Garderobenauswahl

Sind Ihre Fans ein Ansporn, weiterzumachen?

Es ist wirklich schön, wenn ich auf der Bühne stehe und sehe, wie die Leute die Musik genießen. Oder, was noch schöner ist, wenn bei bestimmten Liedern Sie oder Er im Publikum die Hand des anderen nimmt und hält. Aber auch wenn Tränen fließen, bei Menschen, die wirklich etwas mitgemacht haben und sich von einem Lied ganz besonders angesprochen fühlen. Oder bei einem ganz bestimmten Song Erinnerungen wach werden…

Gibt es nur angenehme Reaktionen?

Wir bekommen sehr viel Feedback. Sätze wie “Da fühle ich mich genau angesprochen” oder “Dieses Lied ist genau für mich gemacht” hören wir immer wieder. Aber es gibt dann auch andere Seiten. Ich erinnere mich an eine Frau, die mich gefragt hat, warum ich dieses eine Lied genau für sie geschrieben hätte und warum ich aus dem Fernseher genau sie angeschaut hätte. Das war direkt zum Angst kriegen.

Haben Sie es auch mit aufdringlichen Fans zu tun?

Ich hatte auch schon eine Stalkerin. Es gibt sie schon, die unangenehmen Seiten. Aber immer wieder kommen Leute auf mich zu und sagen: Durch eure Lieder habe ich wieder Sinn im Leben gefunden. Was auch irgendwo Angst macht.

Wie das?

Man scheint ja doch irgendwo eine Verantwortung zu haben. Für viele ist man ein ganz großes Vorbild. Und wenn man derart in der Öffentlichkeit steht, muss man schon aufpassen, keinen Blödsinn anzustellen.

Etwa in der Ehe?

Klar, es gibt keine Garantie, dass eine Beziehung gut geht. Auch für die Mitglieder unserer Gruppe nicht. Karl (Heufler, Anm. d. Red.) und ich sind heute die einzigen, die noch die gleiche Frau haben. Isabella und ich sind bald 34 Jahre verheiratet. Das ist in der Showbranche nicht so selbstverständlich.

Haben Sie ein Geheimnis?

In einer Beziehung ist es wichtig, sich gegenseitig zu akzeptieren und zu respektieren. Und nicht wegen jeder Kleinigkeit gleich ein Theater machen. Streit gehört aber dazu, sonst wäre es wirklich eine schlimme Beziehung. Umso schöner ist die Versöhnung. Ich will ja nichts sagen, aber bei uns bin meistens ich derjenige, der den ersten Schritt macht (schmunzelt).

Wie schaffen Sie es, Beruf, Musik und die Familie unter einen Hut zu bekommen? Sie betreiben nebenbei eine preisgekrönte Haflingerzucht und sind inzwischen zweifacher Opa…

Oft ist es schon ein extremer Stress. Aber wenn man etwas gerne macht, dann ist es positiver Stress.

Haben Sie Ihren Job als Kastelruther Gemeinderat auch gern gemacht?

Ich war schon immer ein Vereinsmensch und ehrenamtlich tätig. Früher zum Beispiel als Obmann der Bauernjugend und bei der Feuerwehr. Heute als Vizeobmann im Landesverband der Haflinger Pferdezüchter und im Weltverband. Die Politik habe ich zwar schon immer verfolgt, aber grundsätzlich nicht so sehr interessiert. Irgendwann habe ich mich überreden lassen, für den Gemeinderat zu kandidieren. Und bin tatsächlich zwei Mal mit sehr vielen Stimmen gewählt worden. Es war eine interessante Erfahrung, speziell die fünf Jahre in der Baukommission. Nach zehn Jahren war dann aber Schluss mit dieser zusätzlichen Belastung.

Ist die Bekanntheit daran Schuld, dass man Sie auf vielen Posten haben will?

Klar, auch. Aber ich möchte mich in Zukunft etwas zurückziehen. Es ist zwar spannend und interessant, aber ich möchte es etwas ruhiger angehen. Im Sommer versuche ich, mich so viel wie möglich zurückzuziehen, gerne auf die Seiser Alm. Auch wenn es immer wieder Sachen gibt, wo man gebraucht wird und dann das eine oder andere zu tun wäre…

Sie haben auch tatkräftig an den Vorbereitungen der Begräbnis von Andreas Fulterer mitgewirkt.

Andreas hat mich kurz vor seinem Tod gefragt, ob wir, also die Kastelruther Spatzen, ihn auf seiner Abschiedskonzert begleiten könnten. Ich habe zugesagt, bis er mir dann verraten hat, dass es sich dabei um seine Beerdigung handelt.

Stimmt Sie der frühe Tod von Fulterer nachdenklich?

Sicher. Er war ein Jahr jünger als ich, und immer jemand, der seinen eigenen Weg gehen wollte.

Fragen Sie sich, wie lange es noch mit Ihrer Karriere weiter gehen kann? Beziehungsweise wie lange Sie noch wollen?

Beides. Wie lange es gehen kann, weiß man sowieso nicht. Ich sage immer, es geht so lange man gesund und fit bleibt. Früher lachte man immer wenn die Eltern in der Zeitung gleich die Todesanzeigen anschauten. Heute geht es mir selbst so. Und ich sehe immer wieder Anzeigen von Menschen in meinem Alter oder jüngere. Das bringt mich schon zum Nachdenken. Es soll einem bewusst sein, dass man eigentlich nur Gast auf dieser Welt ist und es oft so schnell gehen kann. Das Leben geht dahin und nichts ist unendlich.

Auch die Geschichte der Kastelruther Spatzen wird irgendwann ein Ende finden?

Wie lange es mit uns weitergeht, kann ich nicht sagen. So lange es uns Freude macht und wir das Gefühl haben, die Leute mögen uns noch… Aber wahrscheinlich muss ich aufhören, zu viel an andere zu denken. Und mehr auf mich selbst schauen. Es fällt mir schwer, Nein zu sagen, das müsste ich noch lernen. Ich möchte es allen recht machen. Aber es ist schwer, überall den Goldenen Mittelweg zu finden und zu gehen.

 

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Martin B. So., 30.10.2016 - 23:56

Mit der Musik kann ich nichts anfangen. Norbert Rier hingegen ist ein sehr angenehmer Mitmensch, was besonders angesichts seiner Erfolge und Berühmtheit erstaunlich und lobenswert ist.

So., 30.10.2016 - 23:56 Permalink