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L’acqua è nostra?

Epochale Töne angesichts einer neuen Zuständigkeit für Südtirol: die Wasserkraft sei fortan primäre Kompetenz des Landes, heißt es. Zumindest die Grünen zweifeln daran.
Wasserkraft
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Fast wäre sie neben der Nachricht über die millionenschweren Nachzahlungen aus Rom untergegangen. Dort wurde gestern von den Landeshauptleuten Ugo Rossi und Arno Kompatscher mit einer Unterschrift im Finanzministerium besiegelt, das den beiden Provinzen in den kommenden zwei Jahren insgesamt 700 Millionen Euro an Nachzahlungen aus dem Mailänder Abkommen zufließen. Einige Stunden später fiel dann aber eine andere wichtige Entscheidung in der Haushaltskommission des Senats. Mit der Verabschiedung eines Änderungsantrags zum Haushaltsbegleitgesetz "Milleproroghe" gaben die Mitglieder der Haushaltskommission grünes Licht für einen „historischen Kompetenzübergang“ an die beiden Provinzen Bozen und Trient, wie Kompatscher und Rossi noch am Abend kommentierten.  „L’acqua è nostra - das Wasser gehört uns“, freuten sich die beiden Landeshauptleute laut Medienberichten über die damit erlangte primäre Gesetzgebungsbefugnis in Sachen Wasserkraft. Sprich: Beide Provinzen können in Zukunft selbst gestalten, wie die Großwasserkonzessionen ausgeschrieben und vergeben werden – freilich innerhalb der europäischen Rahmenvorgaben und unter Berücksichtigung nationaler Grundprinzipien, wie in den ersten Erklärungen unterstrichen wurde. Festgemacht wird diese neue Kompetenz im Autonomiestatut selbst, wo Artikel 13 über den nun genehmigten Abänderungsantrag neugeschrieben wird, wie es von Seiten des Landes heißt. „Diese Entscheidung ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht von Interesse, sie wertet unsere Autonomie auf und ist ein wichtiger Schritt hin zu noch mehr Eigenständigkeit", unterstrich Landeshauptmann Arno Kompatscher.

Auch Energielandesrat Richard Theiner zeigte sich mehr als zufrieden.  „Ich muss ehrlich sagen, dass es Zeiten gegebenen hat, in denen ich nicht mehr an diesen Übergang geglaubt habe“, meint er gegenüber salto.bz.  „Versprochen wurde uns diese Regelung bereits für Ferragosto – doch für Maria Himmelfahrt vor einigen Jahren“. Dass der Artikel, der im Autonomiestatut die Großwasserkonzessionen regelt, nun doch neu geschrieben werden kann, ist laut Theiner auch Frucht einer „tollen Zusammenarbeit mit der Provinz Trient“. Darüber hinaus hätten auf Südtiroler Seite neben dem Landeshauptmann vor allem die Beamten Florian Zerzer und Eros Magnago sowie die Südtiroler Parlamentarier zum jetzigen Erfolg beigetragen.

Zwei Versionen

Damit ist in absehbarer Zukunft auch der gesetzesfreie Raum Geschichte, den es in Südtirol seit mittlerweile fünf Jahren bei der Vergabe von Großwasserkonzessionen gibt. Seit  2012 gibt es das entsprechende Landesgesetz nicht mehr – laut Landesrat Theiner und seinem Ressortdirektor Florian Zerzer, weil die Regierung des damaligen Regierungschefs Mario Monti Südtirol die Kompetenz entzogen hat. Tatsache ist aber, dass der Landtag damals im Zuge des SEL-Skandals auf Vorschlag der Südtiroler Volkspartei und der Landesregierung das Landesgesetz annulliert hatte, erinnert der Grüne Riccardo Dello Sbarba. „Da man Angst hatte, dass alle Konzessionen annulliert werden und damit neu ausgeschrieben werden müssen, hat man vorsichtshalber das Gesetz zurückgezogen“, so Dello Sbarba. Denn ohne Gesetz gibt es auch keine Möglichkeit einer Ausschreibung – noch dazu nachdem sich auch auf staatlicher Ebene eine ähnliche Situation ergeben hatte. Denn Italien hatte dem Druck Brüssels mehr Konkurrenz auf dem Energiemarkt zuzulassen zwar mit dem Monti-Dekret nachgegeben. Die wesentlichen Bestimmungen zu den Ausschreibungsbedingungen wurden dabei in eine Durchführungsbestimmung geschrieben. Die wiederum wurden von Brüssel in ihrer ersten Version wieder zurückgeworfen, weil sie scheidende Konzessionäre – und damit auf nationaler Ebene vor allem die ENEL – weiterhin zu sehr bevorzugt hätten. Eine zweite Version wurde aber in Rom bis heute nicht verabschiedet. Ohne Durchführungsbestimmung keine Neuausschreibungen, so der Trick. Durch den die vielen Konzessionen, die mittlerweile in ganz Italien verfallen sind, weiterhin in Hand der Enel oder anderer bisherigen Betreiber bleiben statt möglicherweise in einer europaweiten Ausschreibung an die europäische Konkurrenz zu fallen. Denn, wie die staatlichen Normen ebenfalls vorsehen: Solange keine Neuausschreibung möglich ist, führt der bisherige Konzessionär das jeweilige Kraftwerk weiter.

Doch nicht nur die großen italienischen Energiekonzerne, auch Südtirols Energiepolitik, für die seit 2012 ebenfalls das staatliche Gesetz gilt, hat davon profitiert. Denn so konnte nun in aller Ruhe die Scherben des SEL-Skandals aufgeräumt werden und der Energiemarkt durch die Fusion von SEL und Etschwerken neu geordnet werden. Vor allem aber konnten auch hierzulande alle auslaufenden Konzessionen in Hand der bisherigen Betreiber bleiben. Bisher betraf das die ehemaligen Hydros-Kraftwerke in Marling, Bruneck und Wiesen/Pfitsch. Bis 2022 würden aber insgesamt zehn Konzessionen verfallen – die durch die in der Haushaltskommission  verabschiedete Bestimmung für die kommenden fünf Jahre verlängert wurden.  

So könnte man nun in aller Ruhe ein neues Landesgesetz verabschieden und hätte mit den Neuausschreibungen bis 2022 Zeit, heißt es aus dem Ressort Theiner. Ganz anders die Version des Grünen Landtagsabgeordneten Dello Sbarba:  „Das Land hat in dieser Frage weiterhin sekundäre Kompetenz, denn mit einem Hauhaltgesetz kann das Autonomiestatut nicht geändert werden“, widerspricht er den offiziellen Meldungen.  Und: Ein neues Landesgesetz innerhalb der staatlichen Rahmenrichtlinien hätte in Südtirol auch in den vergangenen Jahren ohne Abkommen mit Rom verabschiedet werden können. „Sie haben selbst beschlossen es abzuschaffen und hätten jederzeit ein neues verabschieden können“, so Dello Sbarba. Also laut ihm kein großer autonomiepolitischer Erfolg? „Der große Erfolg war, dass es weder auf nationaler noch auf Landesbene ein Gesetz gab – und die Konzessionen hierzulande in den Händen der Alperia blieben“, sagt der Grüne Landtagsabgeordnete.