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Kunstschutz oder Kunstraub?

Ein Filmprojekt lockte den Historiker Gerald Steinacher vor kurzem wieder nach Südtirol. Ein Gespräch über die Dreharbeiten und das Aufarbeiten von Zeitgeschichte.
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Foto: Foto: Privat

Salto.bz: Sie waren mit einem Filmteam aus Kanada in Südtirol. Unter anderem wurde für einen historischen Film in St. Leonhard in Passeier gedreht. Welcher Geschichte wird nachgespürt?
Gerald Steinacher: Der Dokumentarfilm beleuchtet das Schicksal von Kunstschätzen während der NS-Besetzung Italiens 1943-45. Gemälde und Kunstobjekte aus italienischen Museen und Privatsammlungen z.B. aus den Uffizien in Florenz wurden damals von den Nazis auch nach Südtirol verbracht. Kunstraub wurde von den Nazis in großem Stil betrieben und viele wertvolle Kunstsammlungen aus besetzten Ländern Europas wurden in das Dritte Reich verschleppt. Diese Geschichte wurde nicht zuletzt durch die Bücher von Robert M. Edsel bekannt und schließlich unter dem Titel Monuments Men (2014) von Hollywood mit Starbesetzung von Regisseur George Clooney verfilmt. Seit damals ist das Interesse am historischen Hintergrund gross.

​Die Geschichte des Nationalsozialismus und Faschismus wurde in Südtirol über Jahrzehnte hinweg politisch instrumentalisiert und kaum kritisch aufgearbeitet. Erst in den letzten 30 Jahren hat hier ein Umdenken stattgefunden.

Weshalb wurden Sie ausgewählt die Dokumentation historisch zu begleiten?
Ich gehöre zu den ganz wenigen Universitätsprofessoren in Nordamerika, die sowohl die italienische als auch die Südtiroler Zeitgeschichte sehr gut kennen, daher hat der Regisseur mich auch um Mitarbeit bei den abschließenden Dreharbeiten in Bozen und St. Leonhard gebeten.
Eine großartige Quelle für dieses Kapitel italienischer wie Südtiroler Zeitgeschichte sind die Nationalarchive der USA nahe Washington DC. Seit nunmehr über 20 Jahren habe ich wiederholt in diesen Archiven geforscht. Mein Buch Südtirol und die Geheimdienste 1943-45 basiert zum Beispiel größtenteils auf solchen US-Quellen.

Es gibt viele Dokumente, Fotos und Filme zu den vielen verschleppten Kunstwerken, die ab 1944 über mehrere Monate in Südtirol gelagert wurden. Warum wurde diesem Teil der Geschichte bislang so wenig Aufmerksamkeit geschenkt?
Die Geschichte des Nationalsozialismus und Faschismus wurde in Südtirol über Jahrzehnte hinweg politisch instrumentalisiert und kaum kritisch aufgearbeitet. Erst in den letzten 30 Jahren hat hier ein Umdenken stattgefunden. Das war auch ein Teil einer europaweiten Entwicklung, die seit den 1990er Jahren kritisch die Verstrickung vieler Gesellschaften in Nationalsozialismus und Faschimus untersucht.
In Südtirol fehlte jahrzehntelang aber nicht nur der Wille sondern auch eine Struktur zu einer Aufarbeitung. Es gab hierzulande keine Universität und kein Institut für Zeitgeschichte. Grundlegende Arbeiten zur hiesigen Regionalgeschichte wurden aber seit den 1990er Jahren gerade in Innsbruck, Trient, Wien und anderswo geleistet.

Weshalb war Südtirol ein gutes Versteck für hochkarätige Kunst?
Südtirol war in jenen Jahren geradezu ideal als Aufbewahrungsort wertvoller Kulturschätze. Nach dem deutschen Einmarsch im Herbst 1943 gehörte die Grenzregion zwar noch offiziell zu Italien, war aber unter totaler Kontrolle der NS-Behörden. Die Machthaber in Italien wie SS-General Karl Wolff konnten später daher sowohl gegenüber den Allierten als auch auch der italienischen Regierung behaupten, dass der italienische Besitz nie außer Landes gebracht wurde. Das stimmt im Prinzip auch. Gleichzeitig war aber alles fest in „deutscher Hand“ für spätere Verwendung. Damit hielten sich die deutschen Befehlshaber in Italien während des Krieges alle Optionen offen. Nach Kriegsende konnten Nazis wie Wolff sich als Retter der italienischen Kunstschätze aufspielen.

Kunstschutz oder Kunstraub  die Meinungen gehen auseinander? Wie stehen Sie dazu?
Beide Motivationen – Raub und Schutz – haben hier in Italien m. E. eine Rolle gespielt. Mancher Kunstexperte und Historiker in deutscher Uniform hat sich wohl dem Schutz der Kunstwerke verpflichtet gefühlt und auch teilweise so gehandelt. Andererseits hatte die Nazi-Führung – allen voran Hitler, Göring und Rosenberg keinerlei Skrupel einfach zu nehmen, bzw. zu stehlen, was ihnen gefiel. Und in Südtirol strandete viel, was Hitler wohl gefallen hätte – etwa zwei Gemälde von Lucas Cranach. Was wäre also mit vielen dieser Kunstwerke passiert, wenn Nazi-Deutschland und seine Verbündeten den Krieg gewonnen hätten?

Wissen Sie ob das Ganze auch aus Südtiroler Sicht dokumentiert wurde?
Die Historikerin Eva Pfanzelter hat die Geschichte der Kunstwerke in Südtirol in ihrem Buch „Südtirol unterm Sternenbanner“ kurz zusammengefasst und dabei auch die Südtiroler Sichtweise berücksichtigt. Interessant und noch wenig erforscht ist aber die Frage, wieviel die lokale Bevölkerung von diesen Kunstwerken in ihrer Nähe wusste? Anscheinend war zumindest in St. Leonhard im Passeier während der Kriegszeit den lokalen Bewohnern sehr wenig davon bekannt. Bei Kriegsende machten die Funde zwar ziemliche Schlagzeilen, aber diese Episode scheint bald danach wieder vergessen worden zu sein.  

Wo wurde für den Film noch gedreht und wie soll der Film heißen? Wann wird er zu sehen sein?
Gedreht wurde neben dem Passeiertal noch in Rom, Florenz und in Bozen, im Herzogspalast. Der genaue Titel steht noch nicht fest, ist aber Teil der Serie “Hunting Nazi Treasure
Die Dokumenation zu Italien soll im Herbst dieses Jahres im kanadischen und im britischen Fernsehen zu sehen sein. In Europa wird der Film Anfang 2018 zuerst in Frankreich und dann in Österreich, Italien und Deutschland gezeigt werden.

Vermissen Sie Südtirol?
Ich vermisse vor allem meine Freunde hier und komme gerne auf Besuch. Aber es geht mir wohl so wie anderen Emigranten. Die Heimat, die man verlassen hat, existiert so nur mehr in der Erinnerung. Vieles hat sich verändert und seit ich in den USA lebe, schaue ich auf Europa von außen. Dabei werden die Stärken und Schwächen Europas, aber immer mehr auch das Gemeinsame sichtbar.