Umwelt | Material und Design

„Keine geheimen Materialien verwenden“

Der niederländische Industriedesigner und Professor an der Uni Bozen Aart van Bezooijen forscht zu nachhaltigen und innovativen Materialien, etwa aus Pilz-Myzel.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
The Growing Sneakers
Foto: Nicolas Rapagnani
Salto.bz: Herr van Bezoojien, was entscheidet darüber ob ein neues Textilmaterial angenommen wird. Woraus es besteht, oder doch eher Optik und Haptik?
Aart van Bezooijen: Das erste, was man an Materialität erfährt, wenn man sich nach Kleidung umsieht ist optisch und meist direkt danach, wenn man es nicht einordnen kann, haptisch. Beides ist extrem wichtig um einzuordnen, ob einem ein Produkt gefällt oder nicht. Andererseits ist es mittlerweile auch schon so, dass viele Leute gerne wissen wollen, wie die Stücke hergestellt wurden und woraus sie gemacht sind. Man kann es aus zwei Richtungen sehen: Ich zum Beispiel suche oft nach nachhaltigeren Lösungen und dann stehen Produktion und Materialität im Vordergrund. Aber beim spontanen Impulskauf stehen die ästhetischen Aspekte im Vordergrund.
 
 
Wenn man etwa Schuhe aus pflanzlichem Lederersatz kaufen möchte, tut man sich als Normalverbraucher schwer herauszufinden, woraus diese bestehen, man findet nur heraus, woraus sie nicht bestehen…
Stimmt. Da setzt sich hoffentlich eine Veränderung durch. Ähnlich wie wir wissen wollen, was in unserem Essen ist, um uns gesund ernähren zu können, müssen wir besser informiert werden, was in Gebrauchs-Gegenständen ist. So können wir auch gesunden Konsum betreiben. Man wird immer einen Impact  auf die Umwelt haben, kann dann aber zumindest sagen, was für einen. Wenn man online shoppt, steht da leider fast nie, wo ein Schuh oder ein Kleidungsstück herkommt. Einzelne Marken, die auf Nachhaltigkeit setzen, haben auf ihrer Webseite Informationen, aber es gibt da zwei Strategien: Einerseits versuchen Hersteller in der Materialentwicklung zu zeigen „Wir haben ein neues Produkt“, andererseits gibt es auch Unternehmen, die das versteckt machen und darauf hoffen, dass Leute aus Versehen etwas gutes kaufen. Sie setzen darauf, dass man hinterher entdeckt, dass das Produkt etwa aus Recycling-Materialien ist, weil die Zielgruppe vielleicht nicht bewusst danach sucht und manchmal das Produkt schlechter findet und denkt, neu sei besser.
 
Gibt es da einen Interessenkonflikt in der Industrie? Versucht man, wenn man ein neues Material entwickelt, das bestimmte Eigenschaften erfüllt, dieses nicht offen sichtbar zu machen, aus Angst kopiert zu werden? Oder geht es hier um Information, die der Industrie leichter zugänglich ist als dem Konsumenten?
Das gibt es natürlich, dass - nicht in allen Entwicklungen, aber in vielen - die Industrie versucht ihr neues Gold zu schützen und nicht alles darüber erzählt. Wie etwa in der Kunststoffindustrie, weil es da einen starken Wettbewerb und eine Preisschlacht gibt, da lohnt es sich Dinge geheim zu halten, wodurch man Wettbewerbsvorteile haben kann. Mittlerweile gibt es bei Neuentwicklungen biobasierter Materialien - natürlich gibt es da auch Konkurrenz und Personen, die versuchen Patente zu erhalten - eine Gegenentwicklung die ich selbst sehr wichtig finde, also ein Mehr an Transparenz und den Versuch, Wissen zu teilen um gemeinsam eine bessere Entwicklung zu erreichen. Das war mir an der Masterarbeit über Sneakers mit Nicholas Rapagnani wichtig, dass wir keine geheimen Materialien verwenden. Dass, wenn wir ein Material entdeckt hätten, das es noch nicht gibt, die Uni dafür kein Patent auf den Markt bringt. Das wäre aus ökonomischer Sicht zwar interessant, aber ich sehe genau da das Problem, welches wir in der Gesellschaft haben: Wir müssen eine kritische Masse erreichen und das schaffen wir nur über mehr offene Rezepte und das Teilen von Wissen und nicht über einzelne Unternehmen.
 
 
Könnten Sie etwas mehr zum Projekt von Rapagnani sagen?
Es war spannend, dass er beide Fakultäten - Design und Kunst, sowie die Naturwissenschaftliche - genutzt hat und da auf eine interessante Schnittstelle gekommen ist. Pilz- oder Myzelarbeiten im Laborkontext, die wir als Designfakultät nicht machen könnten. Andererseits hat er - und das finde ich interessant - mit Zeichnungen und kreativem Denken in der Petrischale zu gestalten angefangen, durch kleine, 3D gedruckte Module. Das zeigt, wie sich beide Bereiche beeinflussen können. Die Sneaker selbst sind ein interessantes Beispiel, weil es ein ziemlich problematisches Produkt ist, das von Begehrlichkeit lebt. Er nutzt genau diesen Bereich um neue Materialien zu testen. Mit Salewa zusammen hat er einen Prototyp angefertigt, aus Hanf, Leder und Polyurethan. Die Versuche, die er mit Pilzen gemacht hat sind kleine Proben, aus denen er keinen ganzen Schuh machen konnte. Normalerweise sind Sneaker aus 40, 50 verschiedenen Materialien zusammengesetzt und er hat das extrem reduziert.
 
Wie fühlen sich Myzel-Materialien an?
Die Pilzmaterialien, die er gemacht hat sind sehr leicht, aber wenn man sich das als Schuh vorstellen würde, ist das auf jeden Fall ein sehr leichtes Material. Derzeit waren die Proben noch zu fragil. Aber pilzbasierte Materialien haben eine zwischen papier- und stoffartige Oberfläche. Eher weich und flexibel als fest und hart. Das ist auch die Herausforderung für den Sneaker-Kontext. Die Materialien die derzeit entwickelt werden, würden sich eignen für die Oberfläche des Schuhs, aber die Sohle zum Beispiel braucht so viel Steifheit und Stabilität, dass das nicht einfach hin zu bekommen ist.
 
 
Welche Materialtrends lassen sich derzeit ablesen? Was kommt aus der Mode und welche Materialien gewinnen an Popularität?
Die Mode muss auf jeden Fall weg von den künstlichen, Polyester-basierten Einweg-Klamotten. Einen interessanten Trend gibt es auch bei Funktionskleidung, bei der viele Materialien zusammen kommen. Da wird versucht mit einem Material verschiedene Eigenschaften zu erzeugen. Ähnlich wie mit Pilzen wird geschaut, wie etwa aus Polyethylen oder Polypropylen verschiedene Komponenten hergestellt werden können, damit die Kleidung am Ende des Kreislaufs nicht ein Mischmasch von verschweißten Teilen wie bei einem Auto ist, damit Recycling einfacher ist. Das ist jedenfalls eine Entwicklung, die sich - egal ob biobasiert oder technisch - beobachten lässt: der Versuch, Materialvielfalt zu reduzieren. Das wird, denke ich, auch ein neues Gesetz werden.