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In der Welt zuhause

Raphaël – halb Franzose, halb Südtiroler – ist als Kind oft umgezogen. Für die Sprachen und Kulturen, die er erleben durfte, ist er bis heute dankbar.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: (c) Privat

Raphaël, Sprachen spielen eine wichtige Rolle in deinem Leben. Warum?

Raphaël Lelouvier: In meiner Familie haben wir schon immer viel mit Sprachen zu tun gehabt. Nicht nur, weil wir wegen der Arbeit meines Vaters viel umgezogen sind; sondern auch weil meine Mutter aus Südtirol kommt, und mein Vater hingegen Franzose ist. Wir sind also schon früh zwischen Hochdeutsch, Dialekt und Französisch hin- und hergesprungen.

In welchen Ländern hast du schon überall gelebt?

In meinem ersten Lebensjahr haben wir in Mailand gelebt, daran erinnere ich mich aber natürlich nicht mehr. Danach war ich fünf Jahre in Japan, in Tokyo. Ein Jahr haben wir dann in Südtirol verbracht. Als ich sechs war, zogen wir nach Düsseldorf, dann nach Frankreich. In der Zeit habe ich ein Auslandsjahr in den USA gemacht. Als ich zurückkam, mit 16, sind wir in die Schweiz gezogen. Studiert habe ich in Zürich und Paris, habe ein Praktikum in Amsterdam absolviert, und jetzt lebe ich gerade in Brüssel, wo ich bei der EU-Kommission arbeite. Hier sprechen viele Leute 4-5 Sprachen, das ist schon cool.

Wie war das für dich als Kind, ständig den Wohnort zu wechseln?

Das war für mich normal. Ich habe lange gebraucht, zu verstehen, dass nicht alle Familien nach ein paar Jahren umziehen. Für mich war es auch keine Belastung, sondern ich habe mich jedes Mal gefreut. Ich war einfach grundsätzlich neugierig. Und ich hatte das Glück meist schnell neue Freunde zu finden.

Wo bist du in diesem ganzen Wechsel zur Schule gegangen?

Ich habe die ersten Lebensjahre in einem japanischen Kindergarten verbracht. Ein Jahr Grundschule habe ich in Schenna absolviert, in Deutschland haben meine Eltern mich und meine Brüder dann auf eine französische Schule geschickt. Manche Fächer wurden aber auch auf Deutsch unterrichtet; das fand ich super. Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass wir beide Sprachen gut beherrschen.

 

 

Wie sprechen deine Eltern untereinander?

Meine Eltern sprechen beide fließend Französisch und Deutsch und sie sprechen auch untereinander beides, 50:50. Ich bin ziemlich stolz auf meine Eltern, dass sie keine Sprache in den Vordergrund genommen haben, sondern uns beide Sprachen gleichermaßen mitgegeben haben. Dazu muss ich sagen: wenn wir Deutsch geredet haben, dann zuerst immer Hochdeutsch. Meine Mutter hat mit uns erst angefangen, konsequent Dialekt zu sprechen, als ich 15-16 Jahre alt war.

Das hört man gar nicht mehr. Du sprichst in akzentfreiem Südtiroler Dialekt. Sogar mit Meraner Färbung.

Hm, naja, wenn du länger mit mir sprichst, wirst du vielleicht ein bisschen was merken. (lacht). Aber freut mich, dass du das sagst. Das Interessante ist: als ich in Schenna zur Grundschule ging, ist mir nie aufgefallen, dass ich anders spreche als meine MitschülerInnen. Das habe ich erst Jahre später realisiert.

Ich bin ziemlich stolz auf meine Eltern, dass sie keine Sprache in den Vordergrund genommen haben, sondern uns beide Sprachen gleichermaßen mitgegeben haben.

Wie sieht es eigentlich mit deinem Italienisch aus?

Für einen Südtiroler ist mein Italienisch nicht so gut. Deshalb habe ich während meines Masters einen Italienischkurs besucht, und bin öfters durch Italien gereist, oder habe Wooffing gemacht [Eine Form des Reisens, bei der man z.B. in Hostels oder Bauernhöfen für Unterkunft und Verpflegung arbeitet, Anm.d.Red.]. Nach meiner Zeit in Brüssel möchte ich gerne eine Weile nach Süditalien ziehen, um richtig gut italienisch zu lernen.

Warum ist es dir wichtig, viele Sprachen gut zu beherrschen?

Als Kind habe ich mir versprochen, fünf Sprachen zu sprechen. Ich weiß auch nicht mehr, woher das kam. Aber Sprachen sind einfach praktisch beim Reisen, und um neue Leute kennen zu lernen. Eine Sprache ist wie ein Werkzeug. Aber Sprachen sind auch deswegen interessant, weil man dadurch etwas über die Kultur dahinter erfährt, und eine neue Art zu Denken kennenlernt. Ich glaube dadurch tue ich mich leichter, die Blickwinkel anderer Leute zu verstehen.

Wie haben die unterschiedlichen Länder deinen persönlichen Sprachgebrauch beeinflusst?

Als ich in Japan in den Kindergarten ging, habe ich anscheinend etwas japanisch gesprochen. Das habe ich mittlerweile aber vergessen, deshalb lerne ich es wieder. Einen wichtigen Einfluss hatte auch die französische Schule in Düsseldorf. Davor haben meine Brüder und ich Deutsch miteinander gesprochen. Seit wir aber in die französische Schule kamen, sprechen wir untereinander nur mehr Französisch.

 

Wie haben deine Erfahrungen mit verschiedenen Sprachen und Kulturen deine Identität geprägt?

Ich habe in jedem Land ein anderes Leben gelebt. In den USA habe ich wie ein Amerikaner gelebt. In Frankreich bin ich Franzose. In Südtirol bin ich Südtiroler.

Was bedeutet „zuhause “für dich?

Das ist eine gute Frage. Ich fühle mich eher als Franzose von der Nationalität her. Dadurch, dass ich acht Jahre lang das französische Schulsystem besucht habe, bin ich gleich wie andere Franzosen aufgewachsen und habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich habe denselben Stoff in der Schule gelernt, dieselben Filme geschaut. Andererseits gibt es keinen Ort in Frankreich, in dem ich mich wirklich zuhause fühle. Mein Vater kommt zwar aus der Normandie, aber wir sind nie lang genug dortgeblieben, auch meine Großeltern sind umgezogen. Daher habe ich keinen besonders starken Bezug zur Region.

Zur Region Südtirol hingegen schon?

Wenn ich in Südtirol bin, habe ich wirklich das Gefühl, zuhause zu sein. Nur habe ich mich immer ein wenig anders gefühlt, weil ich doch merke, dass ich etwas anders aufgewachsen bin, wie andere Südtiroler. Also wenn ich etwa mit Franzosen spreche, verstehe ich immer, worum es geht. Bei einem Gespräch mit Südtirolern geht es dann vielleicht um ein Dorf in der Nähe von Schenna, und ich kenne es nicht. Und wer kommt denn von hier, und kennt dieses Dorf nicht? (lacht)

Einen Bezug zu Südtirol gab es aber nicht immer für dich.

Genau. Lange Zeit hatte ich keine Freunde in Südtirol. Zumindest nicht in meinem Alter. Ich habe mich zwar zum Ort zugehörig gefühlt, aber nicht unbedingt zu den Leuten. Südtirol war für mich Natur, Berge und Familie. Doch vor zwei Jahren habe ich eine Südtirolerin kennen gelernt und über sie ein breites Netzwerk an Südtiroler Freunden gefunden. Das hat für mich viel geändert. Denn Freunde prägen die Identität. Seitdem fühle ich mich als Südtrioler. Ich fühle mich jetzt legitimer.

Legitimer? Interessante Wortwahl.

Ja. So fühlt es sich ehrlich an. Ich habe mich oft gefühlt wie ein Tourist, oder zumindest, dass ich von anderen so wahrgenommen werde. Ich wusste zwar, ich bin hier geboren und bin Südtiroler, aber ich habe es nicht immer so empfunden. Vor allem als ich noch hochdeutsch sprach, war mir das immer unangenehm.

Ich habe in jedem Land ein anderes Leben gelebt.

Hast du einen Ratschlag an Eltern, die ihre Kinder zweisprachig erziehen möchten?

Das wichtigste ist natürlich, dass man konsequent zwei Sprachen mit den Kindern spricht. Das klingt vielleicht selbstverständlich, aber das ist es nicht. Denn man rutscht schnell in eine einzige Sprache rein. Man muss also bewusst zweisprachig erziehen. Wir hatten zum Beispiel schon als Kinder sowohl deutsche als auch französische Märchen und Kinderbücher.

Welche Tipps hast du für Menschen, die eine neue Sprache lernen?

Immersion in das Land und seine Sprache! Du kannst so ernsthaft lernen, wie du willst, aber das wichtigste ist, dass du die Sprache auch brauchst. Je stärker du merkst, dass die Sprache dir nützt, desto einfacher lernst du sie. Wenn ich zum Beispiel in einem Café sitze, und nur in einer bestimmten Sprache meinen Kaffee bestellen kann, dann ist mir der Nutzen klar, und das ist die beste Motivation. Man sollte sich also immer Ziele setzten: was will ich mit dieser Sprache erreichen? Was kann ich damit tun? Ich hatte zum Beispiel mal eine Freundin aus Amsterdam. Ihre Familie sprach wenig englisch. Ich musste also Niederländisch lernen, um mit ihnen zu reden. Und da ging es recht schnell.