Politik | Landesregierung

Sommerliche Legasthenie

Das Theater um Landesrat Massimo Bessone und das "Amt Sonderauftrag Krankenhaus Bozen" macht deutlich, wie armselig italienische Politik in Südtirol sein kann.
Massimo Bessone
Foto: Facebook/Massimo Bessone
Kaum ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.
Auch so könnte man das beschreiben, was sich in den vergangenen Tagen rund um die Südtiroler Landesregierung und Landesrat Massimo Bessone abgespielt hat.
Während Landeshauptmann Arno Kompatscher mit seiner Familie auf Sardinien urlaubt und mit Sanitätslandesrat Thomas Widmann ein weiterer Hauptdarsteller im Ausland mit dem Motorrad unterwegs ist, bricht im Palais Widmann das große Tohuwabohu aus.
Im Fokus des politischen Mittsommergewitters steht dabei Massimo Bessone, Landesrat für Hochbau und technischen Dienst, Vermögen, Grundbuch und Kataster. Dem Lega-Politiker wird von seiner eigenen Partei die Rute in Fenster gestellt. Lega-Koordinator Maurizio Bosatra bringt ernsthaft eine Abberufung Bessones als Landesrat ins Spiel. Während ihn die Opposition um Sandro Repetto (PD) und Alessandro Urzi (Alto Adige nel cuore) Bessone offen des politischen Hochverrates und des „Ausverkaufs der italienischen Kompetenzen“ bezichtigt. Zwischen peinlichen Erinnerungslücken, Drohungen und plötzlich aufflammender Angst vor der eigenen Courage im Hause SVP endet das Stück in einer Art Hängepartie. Das Finale wird auf Herbst verschoben.
Das Freilichttheater im Palais Widmann enthüllt dabei aber weit mehr in der Südtiroler Politik, als es den Haupt- und Nebendarstellern lieb sein dürfte. Denn in und an dieser Episode wird nicht nur klar, wie militärisch die Lega auch in Südtirol organisiert ist, sondern ebenso, wie armselig italienische Politik in Südtirol inzwischen abläuft.
Verständlich wird das, wenn man sich die ganze Geschichte genauer anschaut.
 

Schilda in Bozen

 
Der Neubau des Krankenhauses Bozen ist eines der größten und kostspieligsten Bauvorhaben in der Geschichte des Landes. Veranschlagt mit Kosten von 630 Millionen Euro, soll neben dem Bozner Krankenhaus bis zum Jahr 2025 eine völlig neue Klinik in Betrieb gehen.
Von Anfang an steht das Bauvorhaben aber unter keinem besonders guten Stern. Es kommt immer wieder zu Verzögerungen, Umplanungen, ernsthaften Mängeln in der Bauausführung und damit auch konsistenten Kostenerhöhungen. Vor allem aber liegt man inzwischen gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan um Jahre zurück.
Die unhaltbaren Zustände gründen auch darin, dass es keine klare Verantwortlichkeit für das Jahrhundertprojekt gibt. Es gibt gleich mehrere Köche, die an dem Brei mitmischen. Die Ausführung liegt in der Hand des Südtiroler Sanitätsbetriebes, der die Arbeiten und die Projektierung mit dem Sanitätsbetrieb Bozen und dem Gesundheitsassessorat teilt, während die Koordinierung und die Ausschreibungen in der Hand des „Amtes Sonderauftrag Krankenhaus Bozen“ liegt, das zum Hochbau-Ressort von Massimo Bessone gehört.
 
 
Lange Zeit ist es gelungen, eklatante Fehlplanungen und Versäumnisse unter der Decke zu halten, doch dann wurde vor einigen Monaten ein wahrer Schildbürgerstreich öffentlich bekannt. Man hatte vergessen, eine angemessene Stromverteilungszentrale für das neue Krankenhaus zu planen und zu bauen. Die Folge: Die Operationssäle, die 2020/21 bereits in Betrieb gehen sollten, wären ohne Strom geblieben. Man geht deshalb von einer Verzögerung der Inbetriebnahme von mehreren Jahren aus.
Spätestens damit war aber klar, wie absurd unkoordiniert die Arbeiten des Großprojektes ablaufen - und dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. 
 

Die Übernahme

 
Es war der Zeitpunkt, an dem der neue Sanitätslandesrat Thomas Widmann auf den Tisch haute. Man leitete Nachplanungen ein, damit ein Teil der Stromversorgung wenigstens 2021 fertig sein wird. Mit Mehrkosten von rund 6 Millionen Euro. 
Widmann verlangte auch, dass die Koordination des Krankenhausneubaues in eine Hand gelegt werde. Der Vorschlag: Ab 2020 sollte allein der Sanitätsbetrieb Südtirol und damit indirekt Widmanns Assessorat die Arbeiten leiten und koordinieren. Die Forderung wurde nicht nur von Landeshauptmann Arno Kompatscher für sinnvoll erachtet, sondern auch vom mit zuständigen Landesrat Massimo Bessone akzeptiert. Nach einer Aussprache beschloss die Landesregierung vergangene Woche diese Kompetenzänderung. Weil im Landesamt „Sonderauftrag Krankenhaus Bozen“ nur vier Mitarbeiter mit dem Krankenhausprojekt befasst sind, bedarf es keine großen logistischen Änderungen, um diese Umschichtung durchzuführen.
 

Es bedarf aber einer formalen Änderung der Ämterordnung. Unmittelbar nach der Landtagssitzung wurde vergangene Woche ein entsprechender Änderungsantrag vorbereitet und von Landeshauptmann Arno Kompatscher und den zwei zuständigen Landesräten Thomas Widmann und Massimo Bessone unterzeichnet. Man reichte den Antrag als Abänderungsantrag zum Omnibusgesetz ein, das diese Woche in den Gesetzgebungsausschüssen des Landtages behandelt wird. 
Nichts deutet auf den Sturm hin, der wenige Tage später aufzog. Dann aber machte Gesundheitslandesrat Thomas Widmann einen unbewussten, strategischen Fehler.
 

Industriezone des 21.Jahrhunderts

 
Nach den Wassereinbrüchen im Krankenhaus Bozen wurde eine Journalistin des Alto Adige bei Thomas Widmann vorstellig. Der Landesrat sprach von den Problemen rund um das Bozner Krankenhaus und auch vom Beschluss der Landesregierung, die Kompetenzen in diesem Bereich von Massimo Bessone auf ihn zu übertragen. Bessone bestätigte gegenüber dem Alto Adige diese Änderung kommentarlos.
Der Alto Adige titelte am Sonntag „Widmann commissaria il nuovo ospedale: troppo ritardi”. Es ist der Startschuss für das legasthenische Sommertheater. Die SVP nimmt den Italienern weitere Kompetenzen, so die ethnische Stoßrichtung der Entrüstung.
 
 
Verständlich wird diese Reaktion durch den Stellenwert des Krankenhauses Bozen im ethnischen Gefüge. Denn das Landeskrankenhaus hat für die Italiener in Südtirol im dritten Jahrtausend jene Funktion, die die Industriezone Bozen zwischen den 1930er und 1970er Jahren hatte. Das Krankenhaus Bozen ist einer jener wenigen Bereiche im Land, in dem die italienische Sprachgruppe traditionell das Sagen hat. Formell zwar paritätisch besetzt, sind das Krankenhaus und der Sanitätsbetrieb Bozen einer der wenigen noch verbliebenen Kristallisationspunkte des italienischen Selbstverständnisses in Südtirol. Es ist ein Bereich, den man ethnisch verteidigt.
Das zeigt auch die von rechts bis links gleichlautende Entrüstung der italienischen Parteien auf diese läppische Kompetenzverschiebung. 
Das Krankenhaus Bozen hat für die Italiener in Südtirol im dritten Jahrtausend jene Funktion, die die Industriezone Bozen zwischen den 1930er und 1970er Jahren hatte.
Selbst die langjährige Südtiroler Regierungspartei PD, die für die verheerende Situation beim Krankenhausneubau eine entscheidende Mitschuld trägt, spielt jetzt plötzlich die ethnische Karte.
 

Befehl Rückzug

 
Dazu kommt, dass der Südtiroler Lega-Chef Maurizio Bosatra anscheinend aus der Zeitung von der Kompetenzverschiebung erfuhr. Weder Massimo Bessone noch Landeshauptmannstellvertreter Giuliano Vettorato scheinen den Südtiroler Lega-Kommissar vorab in die Pläne eingeweiht zu haben.
Weil die Lega auch in Südtirol militärisch organisiert ist und der Calderoli-Vertraute das uneingeschränkte Vertrauen des Lega-Führers Matteo Salvini genießt, blies Bosatra sofort zum Rückzug. Alles sollte rückgängig gemacht werden. Der Kommissar drohte offen mit einer Abberufung Massimo Bessones. Was formal zwar nicht möglich ist – die Landesräte werden vom Landeshauptmann ernannt und vom Landtag gewählt und auch abgewählt­ –, innerhalb der Lega aber zumindest umsetzbar wäre. 
Die Drohung wirkte aber: Massimo Bessone erinnerte sich plötzlich an nichts mehr und knickte anscheinend ein. Der Plan solle rückgängig gemacht werden.
Nach Informationen von salto.bz wurde der Südtiroler Lega-Kommissar telefonisch auch bei Landeshauptmann Arno Kompatscher vorstellig. Mit der Forderung, die Aktion abzublasen. Kompatscher erklärte, dass er daran nicht denke. Der Landeshauptmann bekräftigte seine Überzeugung und stärkte seinem Landesrat Bessone öffentlich den Rücken.
 
 
Nach der ganzen Aufregung traute sich die SVP aber nicht mehr, die Aktion gegen den Willen des Koalitionspartners Lega und in Abwesenheit des Landeshauptmannes und des Gesundheitslandesrates durchzuziehen. Als am Dienstag der Abänderungsantrag im dritten Gesetzgebungsausschuss des Landtages zur Behandlung kam, zog Helmuth Tauber für die Einbringer den Antrag zurück.
Es ist nur ein Aufschub, um die Gemüter zu beruhigen. „Ich halte an diesem Vorhaben fest“, sagt Arno Kompatscher zu salto.bz. Der Antrag soll im Herbst ins Haushaltsgesetz eingebaut werden.
Bis dahin – so hofft man in der Brennerstraße – sollte auch der Hahnkampf innerhalb der Südtiroler Lega entschieden sein.