Kultur | Festschrift

Ein Denkmal für Ulrike Kindl

Versuch einer Rehabilitation des Denkmalbegriffs im Südtiroler Kontext.

Sissi Denkmal
Foto: Othmar Seehauser

Einleitende Worte oder täglich grüßt das Mu…ssolini

 
“Denkmal?” – “Nein danke, ich hab schon.”
So oder so ähnlich würde wohl die Antwort von Herr und Frau SüdtirolerIn auf die Frage lauten, ob es nicht noch etwas mehr sein könne, in der südlich des Brennerpasses sich ausbreitenden Denkmallandschaft. Schließlich wurde hierzulande im letzten Jahrhundert wahrlich nicht gespart mit behauenem Marmor, dezenten Ossarien und herumfliegenden Pferdeköpfen aus mattglänzendem Aluminium. Doch Südtirol hat bei weitem nicht allein faschistische Memorialkultur zu bieten, nur hat die jahrzehntelange Fokussierung auf genau diesen Teilaspekt unserer Erinnerung dazu geführt, dass der Denkmalbegriff fast schon negativ konnotiert, ja zu einem regelrechten Pfui-Wort avanciert ist.
Dabei hat sich in letzter Zeit gerade an dieser Front Einiges getan, zumal in Bozen: Dokumentationszentrum im Siegesdenkmal, Leuchtschrift am Piffrader- Relief, Gedenkinstallation an der Lagermauer in der Bozner Reschenstraße. Letztere entspricht zwar nicht dem gängigen Denkmaltopos, doch gerade diese “unfreiwillige” Wandlung von der Mauer zum symbolisch aufgeladenen Gedenkort zeigt, wie abstrakt Memorialkultur im Grunde funktioniert.
Mit dem mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Neologismus des Mahnmals kam in den Jahrzehnten nach 1945 das Thema der moralischen Verantwortung im Sinne eines Nicht-Vergessens hinzu, neue Erinnerungsformen, wie z.B. die Aktion “Stolpersteine”, haben den Denkmalbegriff schließlich auf eine zeitgenössische und, man könnte fast sagen, demokratische Ebene gehoben.
 

Tränen sind für heute, ein Ossarium ist für immer

 
Denkmäler verändern sich – nicht unbedingt auf der ästhetischen Ebene, aber sicherlich, was ihre Funktion als Träger einer bestimmten Botschaft im öffentlichen Raum anbelangt. Ihre Bedeutung erschließt sich immer im Zusammenhang zwischen Raum, Zeit und Gesellschaft, zwischen dem, was war, und dem, was die Folgegenerationen daraus gemacht haben. Es ist wie mit der Frage nach dem Wesen der Kunst: Existiert ein Kunstwerk unabhängig vom Betrachter oder setzt es immer automatisch die Anwesenheit eines Publikums voraus, das eine Malerei oder eine Skulptur als solche wahrnimmt?
Dieses platonische Gedankenexperiment wirft ein aufschlussreiches Streiflicht auf das Wesen von Denkmälern, die niemals nur einen rein ästhetischen Wert haben, sondern immer das Ergebnis einer bestimmten Absicht und/oder Rezeption sind, ob nun politisch, sozial oder kulturell bedingt. Sie besitzen strenggenommen keine Eigenständigkeit, denn erstens befinden sie sich im öffentlichen Raum und sollen als Teil des solchen “funktionieren” und zweitens handelt es sich immer um den materiellen Ausdruck einer Selbstwahrnehmung bzw. Selbstdarstellung, ohne dabei die Selbst- und Fremdverherrlichung zu vergessen.
Walter Benjamin zitierend, ist ein Denkmal “niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein”. Es sind die Sieger, die nach gewonnenen Kriegen, vermeintlich glorreichen Schlachten und zivilisationsbringenden Eroberungszügen ihre Taten in Stein meißeln lassen, die ihre Machthaber in erhabenen Posen verewigen.
 
 
Denkmäler erschaffen das Trugbild der Ewigkeit, als könne man dank ihrer den Tod besiegen, als wäre das Ende des eigenen Daseins auf Erden nur ein weiterer Tag unter einer niemals untergehenden Sonne. “Presente!” ist der wiederkehrende Slogan in den faschistischen Beinhäusern, solange genug Porphyr in Reih und Glied gebracht wird, war das Dahinsiechen am Piave, in Caporetto, entlang des Isonzo nicht umsonst.
Wie niemals zuvor wird in den Jahren nach 1918 programmatisch Geschichte konstruiert, auf äußert selektive und, was man nicht vergessen darf, männliche Art und Weise. Überhaupt ist jede Form von Erinnerungskultur seit jeher eine Männerdomäne. Und genau hier kommt Ulrike Kindl ins Spiel.
 

Eine Büste, eine Büste, doch selten hat sie Brüste

 
Ich befand mich vor geraumer Zeit, im Sommer 2020, mit Ulrike Kindl in den Gärten von Schloss Trauttmansdorff in Meran. Wir saßen im Schatten, die Konversation war geistreich as usual, nur der schwitzende Assistent mit dem großen runden Lichtreflektor in der prallen Sonne ließ vermuten, dass hier mehr im Gange war, als ein reiner Plausch. Es ging um ein Interview für einen Dokumentarfilm, einigen weniger bekannten Südtiroler Denkmälern gewidmet.
Im Bildhintergrund eine sitzende Kaiserin Elisabeth aus Bronze, wohl das beliebteste Fotomotiv der gesamten Gartenanlage. Womit wir auch schon beim Thema wären, denn das primäre Anliegen unseres Gesprächs waren Frauendenkmäler in Südtirol, wobei, seien wir mal ehrlich, es diesbezüglich nicht viel Gesprächsstoff gibt. Außer der fast inflationär vermarkteten Sissi sucht man hierzulande recht vergeblich nach weiblicher Memorialkultu
Das primäre Anliegen unseres Gesprächs waren Frauendenkmäler in Südtirol, wobei, seien wir mal ehrlich, es diesbezüglich nicht viel Gesprächsstoff gibt.
Eine Ausnahme sind die zahlreichen Heiligenfiguren in Kirchen, an Flurdenkmälern oder Brunnen, die eher in die Kategorie der darstellenden Kunst und nicht unbedingt in jene der Erinnerungskultur fallen. Dass diese Figuren aber einst entstanden sind, um die (vermeintlich) wundersamen Taten einzelner Frauen und Männer zu preisen, die für das Christentum Vorbildfunktion haben, rückt diese Darstellungen im übertragenen Sinne in den erweiterten Radius des Gedenkens. Darüber hinaus wirken sich vor allem Flurdenkmäler und Brunnenfiguren als Teil des öffentlichen Raums sinnstiftend auf ihre Umgebung aus, weshalb man ihnen durchaus Denkmalcharakter zusprechen kann.
Unter den weiblichen Heiligen sticht im Alpenraum Notburga von Rattenberg hervor, 1265 als Tochter eines Hutmachers geboren und die einzige Tirolerin, die jemals heiliggesprochen wurde. Ihre Verehrung war v.a. unter der ländlichen Bevölkerung weit verbreitet, da Notburga selbst einst als Dienstmagd bei den wohlhabenden Herren von Rottenburg geschuftet hat. Fromm wie sie war, erkämpfte sie sich das Recht, beim Abendläuten die Arbeit niederzulegen und sich dem Gebet zu widmen. Als ihr dieses Privileg eines Tages verweigert wurde – es nahte ein Gewitter und die Garben mussten ins Trockene – pochte sie auf die Einhaltung der festgelegten Arbeitszeiten und hängte aus Protest ihre Sichel am letzten Sonnenstrahl auf. Dem Dienstherrn fiel die Kinnlade herunter und Notburga wurde zur “ersten Gewerkschafterin der Geschichte”, so hat das zumindest Ulrike Kindl definiert. Dem sogenannten Sichelwunder widmete Martin
Rainer 1985 einen Brunnen im Volkskundemuseum in Dietenheim bei Bruneck.
 
 
 
Im Zentrum der Bronzearbeit steht Notburga, die Sichel gen Himmel gestreckt. Mit einem Hammer in der anderen Hand wäre das Bild perfekt. Aber auch so vermittelt die Figur auf typisch Rainer’sche Art und Weise, verspielt und minimalistisch zugleich, die Vorstellung einer selbstbewussten Frau, die von ihrem Brunnen herab die Arbeitszeit taktet.
Halten wir nun aber nach unanfechtbar historisch existierenden Frauen Ausschau, herrscht hierzulande eine gewisse Leere. Einzig die Sissi von Hermann Klotz mischt die männlich dominierte Denkmalszene auf: Beste Meraner Lage, Laaser Marmor, die Frisur sitzt. 1903 wurde das Werk in der Marie-Valerie-Anlage an der Passer eingeweiht – es war Ostersonntag – als eine “Hommage an die schon angekratzte kaiserliche Glanzzeit”.
Die fetten Jahre waren vorbei, von nun an konnte es nur schlimmer werden, wenn auch damals niemand ahnen konnte, in welche Katastrophe der tanzende Kontinent bald hineinstürzen würde. Ab 1870 verbrachte die kaiserliche Familie zwei Winter in Meran, 1897 hielt sich Elisabeth erneut für einen kurzen Kuraufenthalt hier auf.
Durch ihre Anwesenheit erlangte die Stadt europaweiten Ruhm: Der Name Sissi war ein Touristenmagnet, damals wie heute. Dabei gehörte Meran nicht unbedingt zu den Lieblingsorten der Kaiserin, doch allzu groß war damals schon die Kluft zwischen Person und Mythos, zwischen der Frau und dem everybody’s darling der Nation. Das Kaiserin-Elisabeth-Denkmal ist der Versuch, eine zum Untergang verdammte Epoche festzuhalten; es ist aber auch das Idealbild einer Kaiserin, gesehen durch die Augen der Gesellschaft, erschaffen von einem Mann, der sie in adretter Haltung und mit einem Buch im Schoß eingefroren hat. Was fehlt, ist das Körbchen mit dem Nähzeug, vielleicht noch eine schlafende Katze, dann wäre das Klischee vollends erfüllt
Was fehlt, ist das Körbchen mit dem Nähzeug, vielleicht noch eine schlafende Katze, dann wäre das Klischee vollends erfüllt.
Mit einem Denkmal wird systematisch Erinnerung geschaffen, aber ist das Fehlen weiblicher Denkmäler nicht auch eine Form des systematischen Vergessens?
Auf diese Frage gab mir Ulrike Kindl die folgende Antwort: “Es handelt
sich weniger um ein Vergessen, sondern eher um ein ‘Noch-nicht-sichtbar-Sein’. Ein Denkmal bedeutet, dass die Person im öffentlichen Leben sichtbar gewesen ist, und das war nicht die Rolle der Frau in der damaligen Zeit”. Eine kluge Antwort, denn sie zeugt von der weitsichtigen Geisteshaltung, Vergangenes nicht durch die Brille der Gegenwart zu beurteilen und aus damaligen Versäumnissen dennoch die Kraft für Veränderung zu schöpfen.
 

Husch husch, Herr Musch, ein Denkmal soll in den Busch

 
Ein Denkmal bedeutet, dass man im öffentlichen Leben sichtbar gewesen ist. Bei der Tappeiner-Büste in Meran passt diese Aussage wie die Faust aufs Auge, obschon der Franz nun wirklich niemand ist, dem man ein Veilchen wünschen würde. Er hat sich sein Denkmal nämlich im wahrsten Sinne des Wortes verdient, durch Engagement, Philanthropie, Opferbereitschaft.
Nicht umsonst ist er unserer emerita Frau Prof. Kindl besonders lieb und teuer, wie die Publikation Franz Tappeiner – Kurarzt und Mäzen anschaulich beweist. Das schriftliche Denkmal behandelt den Aufstieg Merans vom verschlafenen Städtchen zum kosmopolitischen Kurort. Tappeiners Wirken, sein ganzheitlicher Ansatz und die innovativen Therapien, die er hier erstmals praktizierte, haben wesentlich dazu beigetragen, Merans Ansehen bei den Reichen und Schönen zu steigern.
Aber nicht nur die an nobler Fatigue leidenden Eliten fanden bei ihm Linderung: Der Kurarzt behandelte selbst die Ärmsten, pro bono, und richtete 1855 einen Aufruf an die Bevölkerung, um die Menschen über die damals grassierende Choleraepidemie aufzuklären und ihnen ein Rezept zur vorzeitigen Behandlung der Krankheit zu liefern.
 
 
Und als wäre dem nicht genug, legte er auf eigene Kosten einen rollstuhltauglichen Spazierweg am Küchelberg an, der durch die leicht ansteigende Hanglage und die mediterrane Bepflanzung das gesunde Ambulieren mitsamt herrlichem Panoramablick ermöglichte. 1893 wurde der erste Abschnitt des Tappeinerwegs eingeweiht, die Fertigstellung erfolgte kriegsbedingt erst 1928. Da weilte der Kurarzt schon seit 26 Jahren nicht mehr auf dieser Erde.
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Franz Tappeiner die Ehrenbürgerschaft Merans erhielt und ihm die Stadtverwaltung, wohlbemerkt noch zu Lebzeiten, an einer prominenten Stelle seines Weges ein Denkmal errichten ließ. Und dort steht es heute noch, nicht weit vom mittelalterlichen Pulverturm entfernt, und lugt mit hochgezogener Augenbraue, den Jackenkragen leger drapiert, aus dem Wildwuchs hervor.
Der Entwurf für das Denkmal stammte vom Architekten Josef Musch, ausführende Hand war der Bildhauer Julius Steiner, damals eine Koryphäe in puncto Portraitbüsten. Sein Atelier lag direkt an der Promenade und entsprach weniger der romantischen Vorstellung eines kreativen Rückzugsorts für melancholisch saturnische Künstlerexistenzen; es fungierte als regelrechter show room. Nicht umsonst schrieben die “Innsbrucker Nachrichten”:
 
"Zu dem beliebtesten Zeitvertreib in unseren Regentagen gehört es sich aushauen zu lassen. […] Auf der Esplanade hat der baierische [sic] Hofbildhauer Julius Steiner aus Meran sein Atelier aufgeschlagen und jeder der Passanten kann den Künstler an der Arbeit sehen”.
 
Die Begeisterung des promenierenden Publikums war groß, so eine Büste für den Sims ist schon was Feines.
Eingeweiht wurde das Denkmal im selben Jahr wie der erste Trakt des Weges. Tappeiner selbst ging dem Trubel aus dem Weg und erschien nicht zur Zeremonie. Er war offensichtlich ein bescheidener Mann, und genauso unprätentiös wirkt seine Büste – ernst, aber nicht überheblich, wohl ganz im Sinne des Kurarztes.
Tappeiner selbst ging dem Trubel aus dem Weg und erschien nicht zur Zeremonie. Er war offensichtlich ein bescheidener Mann, und genauso unprätentiös wirkt seine Büste
Ein paar Girlanden, zwei Lorbeerzweige: Fertig ist die marmorne Ehrbekundung. Büstendenkmäler wie dieses haben übrigens eine lange Tradition und sind spätestens seit der Renaissance äußerst beliebt, wenn es darum geht, illustren Persönlichkeiten auf kompakte Weise einen Tribut zu zollen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass eine Büste plus Sockel im Vergleich zu einem überdimensionierten Sandwirt aus Bronze – jegliche Ähnlichkeit mit real existierenden Denkmälern ist rein zufällig – schon für einen Schnäppchenpreis zu haben ist.
 
 
 
Mehr oder weniger zur selben Zeit wie der marmorne Tappeiner entstand in Bozen ein weiteres Büstendenkmal zu Ehren des 1835 in München geborenen Schriftstellers Heinrich Noë, eingeweiht 1898 im einst prächtigen Park vor dem damaligen Stadttheater in der Nähe des Bahnhofs. Tappeiner nicht unähnlich, schätzten die Zeitgenossen das Wirken des Schriftstellers dermaßen – er hat die Schönheit der lokalen Gebirgslandschaft über alle Maßen gelobt und detailreich die Sehenswürdigkeiten Bozens geschildert –, dass sie nach seinem Ableben bei Andrä Kompatscher ein Denkmal in Auftrag gaben.
Die Büsten für Tappeiner und Noë sind Zeugnisse einer Memorialkultur, die, im Vergleich zum späteren Missbrauch seitens der Totalitarismen, eine fast schon unschuldige Ehrbekundung darstellt. Nichtsdestotrotz ist jegliche Form der Erinnerung, sofern diese im öffentlichen Raum stattfindet, ein “zeitgenössischer politischer Umgang mit Geschichte”. Das muss aber nicht immer negativ konnotiert sein, schließlich verdanken wir das Dokumentationszentrum im Siegesdenkmal einer durch und durch politischen Entscheidung.
Zweifelsohne hat eine gewisse alpenländische (man munkelt: edelweiß- förmige) Sturheit zu zahlreichen folgenschweren Verspätungen geführt.
Hätte die Musealisierung schon vor Jahrzehnten stattfinden können?
Das Liktorenbündel bei den fasces gepackt und das gesamte Denkmal aus dem Sumpf des ethnischen Revanchismus gezwungen werden sollen? Zweifelsohne hat eine gewisse alpenländische (man munkelt: edelweiß- förmige) Sturheit zu zahlreichen folgenschweren Verspätungen geführt, aber davon wollen wir uns die Freude über das “neue” Denkmal nicht vermiesen lassen.
 

Monuments going queer – Ein Denkmal: mehrere Bedeutungen

 
Dadurch, dass die Aussagekraft von Denkmälern immer im Wirkungszusammenhang mit ihrem Umfeld entsteht, kann passieren, dass die ursprünglichen Absichten jener, die sie einst errichten ließen, verloren gehen oder von neuen Inhalten übermannt bzw. überfraut werden. Und so erscheinen die Gründe für ihre Erbauung in einem sich mittlerweile gewandelten Kontext zuweilen obsolet, denn dass der steinerne Heilige Nepomuk von Böhmen im Zentrum von Sterzing – Einweihung 1739 – die Stadt wirklich vor Überschwemmungen bewahrt, daran glauben heute wohl die Wenigsten. Manchmal verändert sich aber auch die öffentliche Wahrnehmung bezüglich der Person oder des Ereignisses, die dem Memorial zugrunde liegen. Als Beispiel soll hier das Peter-Mayr-Denkmal hinter dem Bozner Dom dienen, welches im Jahre 1900 errichtet wurde, als der damals noch sehr prominente “Wirth an der Mahr” noch nicht im politisch aufgebauschten Schatten des Sandwirts stand. Mittlerweile fristet das Werk des Georg von Hauberrisser unbemerkt sein Dasein, was man vom “Genossen” Andreas Hofer nicht gerade behaupten kann.
Spannender verhält es sich mit jenen Denkmälern, die einen radikalen Bedeutungswandel hinter sich haben. Hier wäre das schon vorhin zitierte Siegesdenkmal mit seinem 2014 eingeweihten Dokumentationszentrum zu nennen, aber auch das Piffrader-Relief am Bozner Gerichtsplatz liegt seit seiner leuchtenden Entschärfung im Jahre 2017 ganz weit vorne im Defaschisierungs-Ranking.
 
 
In beiden Fällen hat eine demokratische Aneignung der einstigen Kernbedeutung stattgefunden, was die vielschichtige Semantik dieser ehemals gebieterisch wirkenden Denkmäler für alle sichtbar gemacht hat – sofern man nicht engstirnig die Augen vor dem unausweichlichen Wandel der Zeiten verschließt. Im Sinne des faschistischen Kulturimperialismus erbaut, sind die Debatten rund um die Erhaltung, Abtragung, Mythisierung und Demokratisierung dieser Denkmäler längst Teil ihrer erweiterten Bedeutung. Sie sind keine Posten der italianità in einem zu ideologisierenden Grenzgebiet mehr, sondern Ausdruck der Veränderungsbereitschaft einer Gesellschaft, die im letzten Jahrhundert ein wahres Wechselbad der Diktaturen erlebt hat, mit einer fruchtig bombastischen Note im Abgang.
Bester Beleg für den radikalen Bedeutungswandel ist die Tatsache, dass seit 2014 bzw. 2017 im Zusammenhang mit besagten Erinnerungsorten keinerlei nennenswerte Kontroversen mehr aufgetreten sind. Jetzt ihre Abtragung zu verlangen, wäre so, als würde man das Autonomiestatut oder, Gott bewahre, das Gedenken an Silvius Magnago mit Füßen treten. Anathema
Jetzt ihre Abtragung zu verlangen, wäre so, als würde man das Autonomiestatut oder, Gott bewahre, das Gedenken an Silvius Magnago mit Füßen treten.
Ein besonders kurioses Exemplar eines sich verändernden Denkmals ist der Alpino in Bruneck, bzw. das, was von ihm übrig ist. Und genau hier liegt der Hund begraben: Richtigerweise sollte man nämlich von Alpini-Denkmälern im Plural sprechen, schließlich wurde das Monument im Laufe der Jahrzehnte drei Mal zerstört und wiederaufgebaut, weshalb es vom Wastl insgesamt vier Ausführungen gab, von denen jede stellvertretend für einen deutlich abgrenzbaren historischen Zeitabschnitt steht.
 
 
Die erste Version von 1936 war eine noch recht einfach gestrickte Hommage an die kriegerischen Handlungen der Alpini-Division “Pusteria”, bei der, um mit philosophischen Parolen zu punkten, die Ontologie des Dargestellten und die Phänomenologie der Darstellung nahtlos ineinander übergingen. 1943 wurde das Denkmal beschädigt und 1951 im Tauziehen zwischen den aufmüpfigen Südtirolern und der römischen Regierung von Letzterer als eine Art Machtdemonstration erneuert. Quod erat demonstrandum: 1966 flog es in die Luft. Das dritte Denkmal von 1968 sollte schlussendlich das geistige Erbe aller Sprachgruppen vereinen und einen “Beitrag zur Befriedung der Gemüter darstellen” – peace and love, von L.A. bis nach Bruneck.
Doch friedlich ging es in Südtirol noch längst nicht zu und so musste der Alpino 1979 ein weiteres Mal dran glauben. Seitdem fristet er als abgehackter Block auf einem viel zu großen Sockel sein Dasein. Von einem Denkmal kann eigentlich nicht mehr die Rede sein, doch gerade das bruchstückhafte Aussehen und die vielen unglücklichen Episoden seiner Vergangenheit verleihen dem Torso eine fast rührende Ehrlichkeit. Und schließlich sollen Denkmäler doch genau das bewirken: Anteilnahme.
 

Denkmal 2.0: Auf zu neuen Ausdrucksformen

 
Robert Musil sagte einst, dass nichts so unsichtbar sei, wie ein Denkmal. Das könnte daran liegen, dass sie in der Hitze des Gefechts einfach übersehen werden, denn auf dem Schlachtfeld des täglichen Lebens dürstet uns eher nach dem nächsten Despar, als dass wir andächtig vor einer Büste nach Geistesnahrung suchen. Der Denkmal-Überdruss hängt aber sicherlich auch damit zusammen, dass der Kunstgattung des Memorials etwas Antiquiertes und Altbackenes anhaftet. Dabei haben sich gerade Form und Inhalt der Erinnerung in den letzten Jahrzehnten maßgeblich verändert, was natürlich damit zusammenhängt, dass das menschliche Verhalten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur bedingt denkmalwürdig war.
 
 
Auf dem Schlachtfeld des täglichen Lebens dürstet uns eher nach dem nächsten Despar, als dass wir andächtig vor einer Büste nach Geistesnahrung suchen.
Nichtsdestotrotz haben vor allem die Diktaturen der damaligen Zeit eine Unmenge an Ressourcen investiert, um ihre Ideologien möglichst heroisch in Marmor hauen zu lassen. Ihre Schandtaten haben nach 1945 zur Entstehung der ersten Mahnmale geführt. Man könnte es mit Adorno nehmen: Nach Auschwitz von Denkmälern zu sprechen, war barbarisch. Mit der Definition der lieux de mémoire “Erinnerungsorte” durch Pierre Nora hat materielle Erinnerung mittlerweile eine dermaßen abstrakte Bedeutung, dass sie sich nicht mehr allein auf die bisher tradierten Formen des institutionellen Gedenkens beschränkt.
Vieles kann heutzutage Denkmalcharakter haben. Es ist dies der Fall der ehemaligen Lagermauer in der Reschenstraße in Bozen, von wo aus mindestens sieben Gefangenentransporte u.a. nach Mauthausen und Auschwitz abgefahren sind.
Sicher nicht mit der Absicht einer späteren Mahnmalfunktion errichtet, würde heutzutage niemandem in den Sinn kommen, die Mauer abzureißen. Allzu schwer wiegt ihre Rolle als letzter Zeitzeuge dessen, was hier vor knapp 80 Jahren passiert ist.
Zugleich steht sie symbolisch für das lange Schweigen der Lokalpolitik. Dieses hat dazu geführt, dass die Reste des Lagers in den 1960er-Jahren mehreren Wohnblöcken weichen mussten. Stillschweigend wurde ein düsteres Kapitel der Stadt- und Landesgeschichte eliminiert und erst in den 1990er-Jahren dank des Engagements von Carla Giacomozzi vor der Vergessenheit bewahrt.
Heute präsentiert sich der Ort als sogenannte “Passage der Erinnerung”, versehen mit ausführlichen Texttafeln. 2019 wurde zusätzlich eine Gedenkinstallation eingeweiht. Die Arbeit aus Glas nimmt das Motiv der Mauer auf. Abwechselnd erscheinen die Namen der ehemals Inhaftierten als flüchtige Leuchtschriften in der Dunkelheit, ehe sie wieder verschwinden.
Es ist gewiss kein leichtes Unterfangen, dem Grauen des Zweiten Weltkriegs eine Form zu geben. Lange blieben die Mahnmale deshalb im traditionell Skulpturalen verhaftet. Bis weit in die 1980er-Jahre hinein, als Esther Shalev und Jochen Gerz in Hamburg ihr Experiment mit dem einsinkenden “Mahnmal gegen Faschismus” starteten, war die Erinnerungskultur Südtirols noch von der klassischen Denkmalvorstellung im Sinne einer plastisch figurativen Darstellung geprägt.
Aus dem Jahr 1985 stammt beispielsweise das Denkmal für die ehemaligen Lagerinsassen von Claudio Trevi, welches sich schräg gegenüber der heutigen “Passage der Erinnerung” befindet. Abgemagerte Gestalten, aufgerissene Münder, stumme Schreie verhallen im Himmel; ohne die ausführende Hand oder die Absicht hinter dem Werk schmälern zu wollen, handelt es sich doch um eine mittlerweile unwirksame, weil inflationäre Formensprache, die ihrer eigentlichen Aufgabe – Anteilnahme – nicht mehr gerecht wird. Hannah Arendt, danach gefragt, wie man das Vergessen der nationalsozialistischen Gräueltaten verhindern könne, sagte: “Solange, wie es uns gelingt, dafür eine Form der Erzählung zu finden”.
Erzählungen entstehen durch gelebte Erinnerung, durch das Unerwartete, welches uns entgegenschlägt, uns verwundert oder gar irritiert, wenn wir ihm überraschenderweise begegnen. Wem ist es nicht passiert, auf dem Weg zum Bahnhof oder zur Arbeit, etwas schön Schimmerndes am Boden zu entdecken? Erst bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass es sich um einen Stolperstein handelt.
Seit 2009 haben zehntausende dieser “begehbaren” Denkmäler ihren Weg in die Trottoirs von sage und schreibe 21 europäischen Ländern gefunden. Der Künstler und Vater des Projekts, Gunter Demnig, erklärt sein Vorhaben mit einem Zitat aus dem Talmud: “Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist”.
 
 
Vor allem in der jüdischen Tradition hat das Erinnern, zakhor auf Hebräisch, einen fundamentalen Stellenwert und enthält in der hier zitierten Form des Imperativs eine konkrete Anweisung, einen Befehl.
Das Gedenken ist eine Pflicht, die wir unseren Vorfahren schuldig sind. “Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung”, sagte einst der Mystiker Rabbi Nachman.
In der Sparkassenstraße 16 in Bozen befindet sich ein Stolperstein in Erinnerung an Olimpia Carpi, jenes knapp dreijährige Mädchen, welches im September 1943 mit dem Rest der Familie deportiert wurde und niemals wieder nach Hause kam.
Das Foto von Olimpia mit weißem Käppi und farblich abgestimmtem Mäntelchen ist heute in einigen Südtiroler Geschichtsbüchern zu finden. 2003 wurde ein Kinderspielplatz nach ihr benannt. Im Bozner Mariaheimweg gelegen, findet dank der dort spielenden Kinder eine sich tagtäglich erneuernde und vor allem freudige Form der Erinnerung statt, die, wirksamer als bei jedem anderen Denkmal, den Sieg des Friedens über die todbringenden Klauen des Krieges feiert. Dies verdeutlicht nochmals, dass jeder Ort, jede Geste Denkmalcharakter haben können und dass wir selbst jeden Tag aktiv an der Erschaffung von Geschichte und Erinnerung teilnehmen.
 

And the monument goes to …

 
“Das Denkmal in Bozen”, fast alle verstehen, was damit gemeint ist. Lange Zeit war “Denkmal” in Südtirol Synonym für Faschismus, Unterdrückung, Kontroversen.
Allerdings sind Denkmäler keine Erfindung des beginnenden 20. Jahrhunderts, zahlreiche Beispiele belegen das Gegenteil. Darüber hinaus sind selbst totalitaristischen Exemplaren nicht die Säulen gebunden, wenn es darum geht, aus ihrer einstigen Bedeutung auszubrechen und sich im Sinne einer demokratischen Geschichtsaufarbeitung zu öffnen.
Wir sollten niemals vergessen, dass im geistigen Kampf zwischen Mensch und Marmor Letzterer zweifelsohne das Nachsehen hat: Es liegt an uns, zu bestimmen, welche Bedeutung wir einem Denkmal beimessen, nicht umgekehrt. Denkmäler sollten nicht länger als Altlast empfunden werden, sondern als Möglichkeit, aktiv am Lauf der Geschichte teilzunehmen.
Wir sollten niemals vergessen, dass im geistigen Kampf zwischen Mensch und Marmor Letzterer zweifelsohne das Nachsehen hat.
In dieser Hinsicht könnte es ruhig noch etwas mehr sein, in der lokalen Denkmallandschaft, denn an illustren Persönlichkeiten fehlt es hierzulande nicht.
Neben der Sissi am Beginn der Meraner Sommerpromenade wäre zum Beispiel noch reichlich Platz. Wie wäre es mit einem Denkmal für Ulrike Kindl?
Damit sich selbst die Nachwelt noch an ihr die Zähne ausbeißen kann, wenn auch nur an ihrer marmornen Erscheinung. Meine Wenigkeit würd’s freuen.
 
 
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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Mo., 01.11.2021 - 12:24

Ein sehr interessanter, lesenswerter Beitrag.
Dass selbst ein Begriff "Denkmal" verharmlosend missbraucht werden kann, sieht man leider auch hier.
Das Verewigen wirkmächtiger Herrschaftszeichen, der Topoi des Grauens, sind so wohl auch nur in Bozen möglich. Ein solcher Umgang in dieser Form in der BRD oder in Österreich ist so ja völlig unvorstellbar. Selbst in Italien, in Genua, wo ein Faschistentempel gleichen Typus steht, hat man bereits längst schon zumindest die faschistischen Symbole entfernt. Nur in Bozen gilt staatlich ganz offiziell nach wie Italiens (imperiale) Herrenwesen und die Verachtung gegenüber den "anderen", der zu kolonialisierenden Bevölkerung im Land im Gebirge. Die Feld- und Herrschaftszeichen im öffentlichen Raum sind nach wie vor unübersehbar. Selbst der it. Führer und seine Losung werden dort mit teurem Steuergeld gepflegt und gehegt. Noch schlimmer: Hannah Arendt sogar mit einem leuchtenden Fehlzitat instrumentalisiert und missbraucht. Alles nur, um sich nicht ehrlich zu machen.
Dabei wird vergessen: "Die Verteidiger kolonialer und anderer Denkmäler geben vor, die Geschichte zu verteidigen, allerdings versuchen sie nur eine bestimmte Gedächtnislandschaft einzufrieren aus einer Zeit, als die Welt aus ihrer Sicht offenbar noch in Ordnung war. Denkmäler werden aber ständig errichtet und auch wieder entfernt oder sie verfallen. Einen bestimmten Zustand zu konservieren, ist rückwärtsgewandte Identitätspolitik! Und hier kommen wir zu des Pudels Kern: Da Denkmäler Monumente kollektiver Identität sind, ist der Streit um Denkmäler auch ein Streit darüber, wer darüber mitreden kann und darf und wer Gehör findet."
In:
https://www.zeit.de/politik/2020-09/kolonialismus-theo-sommer-rassismus…

Mo., 01.11.2021 - 12:24 Permalink