Politik | SVP

Führung statt Filz

Solange es Südtirol gibt, wird auch die SVP Bestand haben, sie ist ein Ausdruck der Vorzüge und Widersprüche dieses Landes. Ein Auszug aus „Die Blüten der Macht".
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Foto: Arnold Dall'O
Niemand kann behaupten, das Thema SVP sei besonders originell. In Südtirol über sie zu sprechen, ist wie vom Wetter zu reden: Auch die Volkspartei ist ein Alltagsphänomen, dauernd präsent in den Medien, bei wechselnden Temperaturen und Bewölkungszuständen. Auch sie unterliegt dem politischen Klimawandel, da steigende Temperaturen in ihrer Atmosphäre auf tiefer liegende, einschneidende Änderungen verweisen. Die SVP ist unberechenbar, aber immer da.
Als Aldo Mazza, unser Freund und Verleger, Lucio Giudiceandrea und mich gebeten hat, dem „Edelweiß“ jeweils ein Büchlein zu widmen, haben wir nach kurzem Zögern eingewilligt. In unserem Alter wendet man sich gerne einer lebenslangen Wegbegleiterin zu, deren Handeln und innerer Zustand uns über Jahrzehnte immer wieder beschäftigt hat. In der SVP spiegeln sich nicht nur Politik und Geschichte des Landes, sondern auch die Erfahrung vieler Südtiroler*innen, ein wenig sogar die eigene Vita. Auf unsereinen wirkt die Partei wie eine entfernte Verwandte, etwa eine ältere Tante, mit der man zwar wenig gemein hat, die aber bei Familienfeiern unweigerlich mit am Tisch sitzt, auch wenn sie nicht eingeladen ist, launisch, unberechenbar, herrisch, manchmal gewinnend, in jedem Fall seltsam faszinierend.
 
 
Auf unsereinen wirkt die Partei wie eine entfernte Verwandte, etwa eine ältere Tante, mit der man zwar wenig gemein hat, die aber bei Familienfeiern unweigerlich mit am Tisch sitzt, auch wenn sie nicht eingeladen ist.
Dieses Buch ist daher keine Abhandlung zu Geschichte oder Politik, was Günther Pallaver oder Hermann Atz weit besser parat hätte, keine investigative Glanztat eines Journalisten wie Christoph Franceschini, Karl Hinterwaldner oder Artur Oberhofer, erst recht nicht die grämliche Abrechnung eines alternden Oppositionellen – sondern ein Essay.
Er soll leichtfüßig daherkommen, Wissenschaft, eigene Erfahrung und Erinnerung verknüpfen, versetzt mit einer Prise Ironie. Pointiert und vorläufig rückt er der vielgestaltigen Polit-Formation Volkspartei näher und dem Avatar SVP auf den Leib. Die SVP ist nicht nur eine Partei, sondern eine Lebensform Südtirols. Aber sie ist eine gefährdete Art, die schrumpft und an Vitalität einzubüßen droht. Auch aus diesem Grund lohnt der Blick auf sie, auf eine bedrohte Spezies, die es in dieser Form womöglich nicht mehr lange gibt – auch wenn dies eher unwahrscheinlich ist: Solange es Südtirol gibt, dürfte auch die SVP Bestand haben, sie ist ein zentraler Ausdruck der Vorzüge und Widersprüche dieses Landes. Davon handelt dieses Büchlein, vor allem von letzteren.
 

Schäden im Fundament der Autonomie

 
In einer Situation geschwächter, stagnierender Einkommen und wachsender Armut, verschärft durch den Schraubstock von Energiekrise und Inflation, wirken Vorzugsspuren und Schlaubergereien, die lange als Kavaliersdelikte durchgingen, doppelt verwerflich. Wenn im autonomen Südtirol Gerechtigkeit aufgrund von Systemmängeln und sozialer Spaltung unter Druck gerät, dann zerreißen auch gesellschaftliche Bindungen und zeigen sich Schäden im Fundament der Autonomie.
Wenn sich in einer Region, in der Zusammenhalt und Enge der Beziehungen zumindest innerhalb der Sprachgruppen als Leitwerte gelten, Entsolidarisierung einfrisst, dann sind die Folgen unabsehbar. Und wenn die Partei, die Einigkeit und Zusammenhalt als politische Monstranz hochhält, der wachsenden Spaltung nicht mit aller Energie zu Leibe rückt, sie übersieht oder sogar vergrößert, dann wachsen über die schrumpfenden Reihen der SVP hinaus Sorgen und Ressentiment.
 
 
 
Und wenn die Partei, die Einigkeit und Zusammenhalt als politische Monstranz hochhält, der wachsenden Spaltung nicht mit aller Energie zu Leibe rückt, sie übersieht oder sogar vergrößert, dann wachsen über die schrumpfenden Reihen der SVP hinaus Sorgen und Ressentiment.
 
Leider ist fraglich, ob die Partei auf der Höhe der Herausforderung mit-hält. Als erste politische Kraft im Lande zehrt sie nicht mehr vom Glanz verflossener Verdienste, sondern ist erste Adresse für Missstände und Verzerrungen. Parteiobmann und Leitung wissen selbst am besten: An erster Stelle der Tagesordnung steht die überfällige innere Erneuerung – in der Führungsetage, im Mittelbau der Mandatsträger und Bezirke, aber auch an der Basis, personell und strukturell, mit einem Programm und Strategien, die dem Verantwortungsdruck der Gegenwart und nahen Zukunft gerecht werden.
 
 

Die drei Fragezeichen

 
Über der organisatorischen Zukunft der SVP hängen drei Fragezeichen, die viele gesellschaftliche Gruppen, Unternehmen und Organisationen beschäftigen, die großen F: Führung, Frauen und Fachkräfte (statt Filz).
Werden die schwelenden Konflikte der Führungsetage auf der Ebene von Parteiob- und Landeshauptmann wie in der Parteileitung nicht in neue Handlungsstärke und Kooperation umgemünzt, bleibt die Partei gelähmt und nur beschränkt handlungsfähig. Das Vermittlungstalent des Obmanns ist unbestritten, genauso sein begrenztes Talent zu autoritativer Leadership. Und auch bei Landeshauptmann Kompatscher sind trotz hoher Umfragewerte Visionen und Verhandlungsgeschick ausgeprägter als Führungs- und Umsetzungsstärke, Eloquenz stärker als Konsequenz.
 
 
 
Das Vermittlungstalent des Obmanns ist unbestritten, genauso sein begrenztes Talent zu autoritativer Leadership.
 
Die Notwendigkeit stärkerer Präsenz begabter Frauen liegt auf der Hand: Wenn Frauen zum Zuge kommen, lösen sich oft antiquierte, von Seilschaften geprägte Kräfteverhältnisse; Kompetenz, Fähigkeit zu Teamarbeit und Problemlösung gewinnen neue Chancen. Die Partei scheint die Notwendigkeit von Frauenpower erkannt zu haben, wenn auch nur zögerlich, denn der SVP steckt die Macho-Prägung in den Knochen.
Fachliche Expertise, Sachwissen und Engagement sollten Vorrang haben vor Parteizugehörigkeit und Vernetzung. Pareikartl und Stallgeruch führen in Südtirol in schöner Regelmäßigkeit Personen mäßiger Qualifikation in hohe und gutbezahlte Ämter. Zu oft hat die SVP-Mitgliedschaft Vorrang vor Führungskraft, Fachwissen und Totaleinsatz.
In manchen Ämtern und Positionen sitzen notorische Nullnummern, die kraft Parteiausweis unberührbar sind. Nun aber ist fachliche Kompetenz, die die lähmenden Korsette der Bezirke, Bünde und Interessen auflöst, dringender denn je gefragt.
Vor dem Horizont einer fordernden Zukunft, deren Gestaltung aller Kreativität und Energie bedarf, hat Kompetenz Vorrang vor Kirchtürmen und edelweißem Filz. Südtirol ist überschaubar genug, um Politik und Mandatar*innen darauf zu verpflichten, nicht nur Sektoralinteressen zu pflegen und Lobbys zu bedienen, sondern dem Land ganzheitlich zu dienen.
In manchen Ämtern und Positionen sitzen notorische Nullnummern, die kraft Parteiausweis unberührbar sind.
Soll Südtirol halbwegs klimagerecht, innovativ, solidarisch und ein wenig post-national die Zukunft meistern, ist eine neue Gesamtschau ebenso notwendig wie zielgerichtete Konsequenz im Handeln, dazu eine Partei, die sich nach außen öffnet und nach innen Diskussions- und Freiräume gewährt. Diese Aufgabe wird die Partei fordern, wohl auch überfordern.
 

Doppelzüngigkeit und Zynismus

 
Ein Letztes: Unverzichtbar für eine erneuerte Gesamtschau und neue Handlungsstärke ist ein anderes Verhältnis zur zweitgrößten Sprachgruppe im Lande, zu italienischsprachigen Südtirolern. Der gegenwärtige Umgang mit ihnen steht für die Widersprüchlichkeit, Doppelzüngigkeit und den Zynismus der vermeintlichen Sammelpartei, er stellt all das in aller Schärfe und Bitterkeit bloß. Die meisten Italiener*innen im Lande sind längst nicht mehr nationale Gegner, denen man mit Abwehr begegnen müsste. Anders als noch vor Jahrzehnten sind „die Walschen“ keine Feinde, von denen Identitätsverlust oder Hybridisierung drohen, gar ein Aufgehen in Italien. Gefahr droht vielmehr vom Zentralstaat, von Mitte-Rechts-Regierungen, von Institutionen und einer Rechtssprechung, die das Autonomiestatut aushöhlt. Aber immer noch bewertet die SVP die Italiener*innen Südtirols als Bürger*innen zweiter Klasse. Sie nimmt bei Wahlen gerne ihre Stimmen an, umwirbt sie diskret, sogar mit muttersprachlicher Wahlwerbung, räumt ihnen die Parteimitgliedschaft ein, aber keine offizielle Position.
 
 
Eine solche Debatte wäre nicht nur eine Frischzellenkur für das welke Edelweiß, sondern eine echte Erneuerung für das ganze Land.
 
Undenkbar, dass ein Ortsausschuss von einem Italiener geleitet würde, erst recht ein Bezirksobmann der zweiten Sprachgruppe, unvorstellbar, dass eine Italienerin Vizeobfrau der Partei würde. Die Diskriminierung war bis zum Zweiten Autonomiestatut, auch bis zur Streitbeilegungserklärung 1992 verständlich, nun aber ist sie obsolet.
Bei diesem längst verwesenden Aas der Geschichte ist der Gestank der Diskriminierung auch gegen den Wind penetrant ruchbar. Dabei sollte endlich klar sein, dass die vielen Italienerinnen und Italiener, die von der Autonomie überzeugt sind und sie verteidigen, neben der Republik Österreich die zweite Schutzmacht Südtirols sind.
Eine offizielle Öffnung der SVP wäre daher ein wirklicher Schritt der Erneuerung, ein Quantensprung für ihre Entwicklung und für Südtirol gleichermaßen. Gewiss würde die Volkstums- und Heimatfraktion in der SVP rebellieren und die deutschpatriotische Opposition Feuer spucken.
Aber eine solche Debatte wäre nicht nur eine Frischzellenkur für das welke Edelweiß, sondern eine echte Erneuerung für das ganze Land.
 
Fotos: Othmar Seehauser
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Josef Fulterer Di., 06.12.2022 - 07:01

"Unter dem Partei-Zeichen Edelweiß," das im Hoch-alpinen Bereich unter recht schwierigen Bedingungen blüht, leisten sich viel zu viele Mandatare in den Gemeinden und der Landesregierung, abartige böswillige Rangkämpfe, raffgierige Eigenversorgung, üblen Macht-Missbrauch zur Durchsetzung von Privat-Interessen, einen Alles eher als sorfältigen Umgang mit der anvertrauten Macht und den "öffentlichen Geld-Mitteln," die zu oft in der eigene Tasche landen (Thaler-Pensionsreform, Selbstversorgung vor Allem der Hinterbänkler usw.) oder sich von Interessen-Verbänden leiten lassen, das Geld in den Sack von der Sorte von Strathegen umzuleiten, die nach NEO-LIBERALER-ART nie genug davon bekommen können.

Di., 06.12.2022 - 07:01 Permalink
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kurt duschek Di., 06.12.2022 - 07:36

....habe das Buch noch nicht fertig gelesen, aber eins kann ich jetzt schon sagen, es ist spannend geschrieben. Zeitabschnitte, Hintergründe und Zusammenhänge von Ereignissen in Südtirol sind ausführlich beschrieben und erläutert. Für mich ist das Buch ein Mehrwert an Information!

Di., 06.12.2022 - 07:36 Permalink
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Johannes A. Di., 06.12.2022 - 21:01

"Undenkbar, dass ein Ortsausschuss von einem Italiener geleitet würde, erst recht ein Bezirksobmann der zweiten Sprachgruppe, unvorstellbar, dass eine Italienerin Vizeobfrau der Partei würde"

Es ist tatsächlich undenkbar, da sich die übergroße Mehrheit der Italiener in Südtirol eben zu aller erst als "Italiener" fühlt und eben nicht wie wir deutschsprachigen als "Südtiroler".

Diese vielen Autonomiefreundlichen und deutschfreundlichen Italiener gibt es nun mal nicht. Es gibt z.B. nur wenig Italiener, die wie die SVP Österreich als ihr "Mutterland" bezeichnen würden oder die für den Doppelpass werben würden oder gar die faschistischen Denkmäler entfernen würden. Alles Themen, die ein echter SVPler aber zumindest ideell vertreten sollte.

Di., 06.12.2022 - 21:01 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Di., 06.12.2022 - 22:31

Die Partei ist laut Statut die Vertretung der deutschen und ladinischen Bevölkerung in Italien. Daran hat sich nicht viel geändert, außer vielleicht, dass eine vom MSI die Regierung lenkt.

Di., 06.12.2022 - 22:31 Permalink
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Harry Dierstein Fr., 09.12.2022 - 11:51

Bedauerlicherweise wird Hans Heiss' Buch in Südtirol das gleiche verändern, wie "Die Freunde im Edelweiß". Nämlich absolut gar NICHTS!

Nach meiner subjektiven Wahrnehmung interessieren sich die männlichen Südtiroler zu 85 % Prozent überhaupt nicht für die Politik und die Ehefrauen und Kinder wählen das, was der Alte halt sagt; also SVP, weil man sich davon die höchsten "Beiträge" (alleine das Wort Beitrag sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen) verspricht.

Es wird sich in Südtirol NICHTS ändern, verehrter Hans Heiss. Vielleicht irgendwann einmal, wenn wir beide schon längst unter der Erde sind. Denn dafür ist Südtirol viel zu rückständig bzw. zurückgeblieben.

Danke für das sehr interessante Buch, das ich gerne gelesen habe. Dies wird Historiker im Jahr 2224 sicher gefallen, wenn sie versuchen zu erahnen bzw. rekonstruieren, wie es sich anfühlte, im verfilzten Südtirol unter Durnwalder/Athesia zu vegetieren.

Fr., 09.12.2022 - 11:51 Permalink