Umwelt | Brennerachse

„Historischer Höchststand an LKW“

Der österreichische Umweltdachverband und CIPRA kritisieren die Begünstigungen der EU für E-LKW. Unternehmerverband und LVH setzen aber weiter auf Straße statt Schiene.
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Foto: Seehauserfoto
Der österreichische Umweltdachverband stellt im Rahmen seiner Bundesländer-Tournee zum 50-Jahr-Jubiläum den überbordenden Alpentransit in Tirol in den Fokus, der nicht nur am Brenner erhebliche Belastungen für Mensch und Natur mit sich bringe. „Die Alpenregion ist von der Klimaerhitzung besonders betroffen, der Temperaturanstieg ist doppelt so hoch wie im globalen Mittel. Dies hat gravierende Auswirkungen, nicht nur auf die lärm- und abgasgeplagte Bevölkerung, sondern auch auf die besonders sensiblen Ökosysteme im Alpenraum. Wir verlangen eine effektive Verlagerung auf die Schiene sowie eine Ökologisierung des Straßengüterverkehrs. Die CO2-Emissionen im ganzen alpinen Transitverkehr müssen auf Null reduziert werden – vor allem auch im Hinblick auf die geplante Klimaneutralität des Verkehrssektors, zu der sich die europäischen Staaten bis 2050 verpflichtet haben“, sagt Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.
 

Doppelbelastung

 
„Vergangenes Jahr rollten rund 2,48 Millionen LKW über den Brenner – das sind 1,35 Prozent mehr als 2021. Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise aufgrund unzureichender Maßnahmen der Alpenstaaten noch immer einen Anstieg des Transitverkehrs in Österreich verzeichnen. Sogar der von der Landesregierung ausgearbeitete und jüngst vorgestellte Mobilitätsplan geht von einer Zunahme des Verkehrs aus! Das Jahr 2022 knüpfte nahtlos an den Trend vor der Pandemie an, der historische Höchststand an Transit-LKW in Tirol zeigt einmal mehr den dringenden Handlungsbedarf. Nicht nur, dass die ansässige Bevölkerung unter enormer Luftverschmutzung und Lärm leidet, auch das einzigartige Natur- und Kulturerbe der Alpen ist bedroht: Rund 30.000 Tier- und 12.000 Pflanzenarten leben in diesem vielfältigen Hotspot der Biodiversität“, betont Maier.
 
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Appell an die Politik: v. l. Franz Maier, Präsident Umweltdachverband; Elisabeth Ladinser, Vizepräsidentin Dachverband für Natur- und Umweltschutz/CIPRA Südtirol; Stephan Tischler, Vorsitzender CIPRA Österreich;
(Foto: Umweltdachverband)
 
Gleichzeitig gehöre der Alpenraum zu den am intensivsten genutzten Ökosystemen der Welt und die dichten Straßen- und Schienennetze in den zum Teil sehr engen Tälern seien eine enorme Belastung für die Umwelt. Auch wenn die Luftschadstoffwerte mittlerweile rückgängig sind – die Verkehrsbelastung befeuert die Klimaerhitzung und es kommt in den Bergregionen immer häufiger zu Überschwemmungen, Hitzewellen und Waldbränden.
„Die Probleme, die den Erhalt der Biodiversität im Alpenraum erschweren, machen vor den Landesgrenzen nicht Halt. Daher müssen endlich Lösungen gefunden werden, die grenzüberschreitend wirken. Der Umweltdachverband fordert die Landesregierung dazu auf, nicht nur Symptombekämpfung – etwa durch Auflösung der Staus und Aufhebung sämtlicher Beschränkungen – zu betreiben, sondern langfristige Lösungen zur Entlastung von Mensch und Natur zu finden: Absolute Kapazitätsgrenzen und die Verlagerung auf die Schiene sind notwendig. Es braucht einen intensiveren Dialog mit den Verantwortlichen in Südtirol und Bayern auf Basis des gemeinsamen Memorandums der drei Länder vom 12. Juni 2018, um auf Landesebene endlich effektive Entlastungsmaßnahmen umsetzen zu können“, so Maier.
 

Güterverkehr

 
Kilometerlange Staus und die Notwendigkeit einer Blockabfertigung würden deutlich machen, dass der Transitverkehr über die Alpen längst an seine Grenzen stößt. Effektive Maßnahmen zur Reduzierung des Straßenverkehrs seien daher unabdingbar, um die sensiblen Alpenräume besser zu schützen. „Im Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention haben sich die Alpenländer und die Europäische Union bereits vor 30 Jahren darauf geeinigt, durch eine geeignete Infrastruktur und marktkonforme Anreize den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Doch mit der neuen Richtlinie zur Festlegung der Straßenbenützungsgebühren in Form der Eurovignette (Wegekostenrichtlinie), die im Februar 2022 erlassen wurde, ist dieses Ziel wieder in weite Ferne gerückt“, so Stephan Tischler, Vorsitzender von CIPRA Österreich.
 
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Transitverkehr: Zurzeit nehmen rund ein Drittel aller Gütertransporte auf dem Brenner einen Umweg von rund 60 Kilometern in Kauf, um Kosten zu sparen. (Foto: Seehauserfoto)
 
Die Richtlinie führe zu einer massiven Vergünstigung des Gütertransportes auf der Straße durch batterie- oder wasserstoffbetriebene LKW. „Diese Maßnahmen stehen unter dem trügerischen Deckmantel des Klimaschutzes, denn realistisch ist es nicht möglich, den Transitverkehr auf der Straße umweltfreundlicher zu gestalten als auf der Schiene – selbst, wenn alle LKW mit Wasserstoff oder elektronisch fahren würden. Eine derart massive Reduktion der Mautgebühren für den Schwerverkehr auf dem Straßennetz der Europäischen Union widerspricht dem Verursacherprinzip, da auch vermeintlich emissionsfreie Fahrzeuge Lärm-, Stau- und Infrastrukturkosten verursachen. Nicht zuletzt beträgt der Energieeinsatz pro transportierte Tonne auf der Straße immer noch ein Vielfaches gegenüber dem auf der Schiene.“
Es bestehe derzeit ein Ungleichgewicht in der Kostenwahrheit zwischen Straßen- und Schienengüterverkehr, das nicht zuletzt durch die hohen Trassengebühren zustande komme. Diesem könne unter anderem durch einen gemeinsamen Mautzuschlag für Alpenkorridore durch Italien, Österreich und Deutschland entgegengewirkt werden. Außerdem müsse durch die Stärkung des kombinierten Verkehrs (Novelle der „Combined Transport Directive“) mehr Kostenwahrheit geschaffen werden, wofür Investitionen in eine moderne, nachhaltige und hochleistungsfähige Infrastruktur notwendig seien.
„Momentan ist der Transport über die Straße viel zu günstig! Nicht zuletzt ist eine Novelle der Luftqualitätsrichtlinie notwendig, damit die Geschwindigkeitsbeschränkungen nach dem Immissionsschutzgesetz – Luft (IG-L) aufrechterhalten bleiben können. Dafür braucht es dringend strengere Luftqualitätskriterien“, betont Tischler. 
 

Mauterhöhung nicht ausreichend

 
Um die Transitbelastung in den besonders sensiblen Ökosystemen im Alpenraum zu reduzieren und die ansässige Bevölkerung besser zu schützen, benötige es neben fiskalischen Maßnahmen, wie einer Kostenwahrheit im Straßengüterverkehr, auch eine Attraktivierung des Transportmediums Schiene. Durch verbesserte Betriebsabläufe insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr, flexiblere Buchungssysteme sowie schnellere und harmonisierte Abläufe könne die Schiene im Vergleich zur Straße konkurrenzfähiger und damit Umwegverkehr reduziert werden.
Es kann nicht sein, dass in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise E-LKW die Alpen quasi kostenlos passieren dürfen.
Zurzeit nehmen rund ein Drittel aller Gütertransporte auf dem Brenner einen Umweg von rund 60 Kilometern in Kauf, um Kosten zu sparen. Nur etwa 40 Prozent der LKW sind auf dem kürzesten Weg unterwegs. Zum Vergleich: In der Schweiz fahren fast 97 Prozent der LKW ihre Bestroute. Eine Mauterhöhung im Rahmen der EU-Wegekostenrichtlinie reiche nicht aus. Das Verkehrsaufkommen im Alpentransit müsse grundsätzlich reduziert, besser gesteuert und auf umweltfreundlichere Transportwege verlagert werden, so wie es das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention vorsieht. Außerdem dürften die hochrangigen Straßen in Zukunft nicht mehr ausgebaut werden, um erhöhte externe Kosten beziehungsweise Infrastrukturkosten zu vermeiden. „Wir sprechen uns in diesem Zusammenhang auch dezidiert gegen den Ausbau der Brennerautobahn A22 zwischen Bozen Süd und Verona aus. Es zeigt sich jedoch, dass die Alpenstaaten in der Verkehrspolitik leider nicht an einem Strang ziehen. Denn durch die immensen Begünstigungen für E-LKW verläuft eine Mauterhöhung im Sand und die Probleme durch Staus sowie die gesundheitliche Belastung durch Lärm und Reifenabrieb bleiben bestehen“, so Elisabeth Ladinser, Vizepräsidentin von CIPRA Südtirol & Vizepräsidentin des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz.
 
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Güterverkehr: Der Lkw-Transport verursacht pro Tonnenkilometer rund 15mal so viele Treibhausgase wie der Transport mit der Bahn. (Foto: Seehauserfoto)
 
Um die Umweltbelastungen tatsächlich zu reduzieren, brauche es eine substanzielle Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die Schiene. „Dazu gehört ein verbesserter grenzüberschreitender Schienenverkehr mit vergünstigten Zugtickets für den Alpentransit nach dem Vorbild des 9-Euro-Tickets in Deutschland oder ein alpenweites Ticket (AlpTick), wie es der CIPRA-Jugendbeirat vorgeschlagen hat – zumindest für die Zeit der aktuellen Sanierungsprojekte, um ausartende Engpässe an den Transit-Flaschenhälsen zu vermeiden. Außerdem ist die Herab- oder Aussetzung der Trassengebühren für den Güterverkehr notwendig“, betont Ladinser.
 

Slot-System

 
„Nur eine funktionierende Bahn und ein Gesetz zur Verlagerung der Güter auf die Schiene kann das Transitproblem lösen. Weil beides jedoch auf sich warten lässt, wäre ein Slot-System eine effiziente Übergangslösung. Den rechtlichen Freiraum für eine solche Alpentransitbörse gäbe es bereits, den politischen Willen in den Ländern auch. Was derzeit fehlt, ist eine Einigung auf der Ebene der drei beteiligten Staaten, die schnellstmöglich getroffen werden müsste. Doch aus Italien kommt derzeit scharfer Gegenwind, eine Einigung scheint daher schwierig“, ergänzt Ladinser mit Blick auf die Forderung des italienischen Verkehrsministers Matteo Salvini (Lega) an die EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen Tiroler Anti-Transit-Maßnahmen einzuleiten.
 
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Die Vertreter der Wirtschaftsverbände: v. l. Vize-Obmann der Warentransporteure im LVH, Bruno Huez, Präsident der Sektion Transport im Unternehmerverband, Thomas Baumgartner, und der neue Obmann der Warentransporteure im LVH, Alexander Öhler; (Foto: Unternehmerverband)
 
Auch der Unternehmerverband und der Wirtschaftsverband Handwerk und Dienstleister LVH in Südtirol sprechen sich gegen die Tiroler Regelung aus: „Wir tragen das Ziel eines effizienten, gut funktionierenden und nachhaltigen Transports mit. Das Slot-System ist dafür aber keine Lösung. Dosierungen der Durchfahrten für LKWs oder das Tiroler Nachtfahrverbot tragen nicht zu einer Verringerung der Emissionen bei, sondern einzig zu einer Konzentration des Verkehrs auf die Morgen- und Tagesstunden. Sie leisten somit keinen Beitrag für das Klima“, so der Präsident der Sektion Transport im Unternehmerverband, Thomas Baumgartner, und der neue Obmann der Warentransporteure im LVH, Alexander Öhler. Vielmehr sollten Anreize für moderne und saubere LKWs geschaffen werden. „Für innovative, emissionsarme LKW sollten das Tiroler Nachtfahrverbot und die Verdoppelung der Maut in den Nachtstunden aufgehoben werden. Ebenso ist eine Korridormaut denkbar, die nach dem Verursacherprinzip emissionsarme LKWs gegenüber emissionsreichen bevorzugt.“
Der Lkw-Transport verursacht pro Tonnenkilometer rund 15mal so viele Treibhausgase wie der Transport mit der Bahn. Das Slot-System könne den Klimawandel und vor allem auch das Transitproblem demnach mildern. Voraussetzungen dafür sind für Ladinser vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz: „Erstens: Die maximale Menge an Slots richtet sich nicht danach, wie viel die Autobahn aushält, sondern was den Menschen an der Transitroute und der Natur zuzumuten ist. Zweitens: Am Wochenende und nachts sind Slots gar nicht erst buchbar, womit auch der Streit um das Nachtfahrverbot hinfällig würde. Und Drittens: Die Plattform zur Buchung von Durchfahrtsrechten ist an die Bahn gekoppelt, das heißt, je mehr Platz auf dem Zug, desto teurer wird die Autobahn.“
 

Aufruf

 
Abschließend appellieren Umweltdachverband sowie CIPRA Österreich und Südtirol: „Es müssen wirksame Anreize für eine Verkehrsverlagerung geschaffen werden, um zur Kostenwahrheit des Transitverkehrs beizutragen. Es kann nicht sein, dass in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise E-LKW die Alpen quasi kostenlos passieren dürfen, denn auch diese verursachen Lärm-, Stau- und Infrastrukturkosten. Die Alpenstaaten müssen endlich nachhaltige Lösungswege beschreiten, um gemeinsam das Verkehrsaufkommen und damit Emissionen, Feinstaub und Lärm zu reduzieren und letztlich zu einem besseren Schutz des Alpenraums beizutragen.“
 
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Salto User
Meinhard Ploner Di., 08.08.2023 - 22:13

Die Ziele sind klar: Reduktion der Treibhausgase (CO2, ...) sowie Verringerung der Lärm- und Abgas-Belästigung der Anrainer.

Nicht nur die Bahn, sondern auch E-LKW's sind dahingehend eine immense Verbesserung, da sie direkte CO2-Emissionen auf NULL senken, weiters den Lärm signifikant reduzieren. Bei Bergabfahrten können sie sogar Strom rekuperieren/laden.

Trotzdem: die gesamte CO2-Reduktion von Herstellung bis Lebensende von E-LKW liegt je nach Studie "lediglich" zwischen 30-55% gegenüber einem Diesel-LKW, das ist weniger als bei Bahnbetrieb. E-LKW's verteufeln sollte man aber nur, wenn beweisen kann, dass der BBT in der Lage sein wird, den gesamten Verkehr von der Strasse zu ersetzen.

Insgesamt muss der Transit natürlich teurer werden, nicht billiger. Anstatt den Verkehr von E-LKW zu begünstigen/subventionieren muss jener mit Verbrenner-LKW's empfindlich teurer werden. Wie soll sonst der Verkehr abnehmen?

Di., 08.08.2023 - 22:13 Permalink