Umwelt | Große Beutegreifer

Plädoyer für einen echten Almfrieden 1

Gedanken zum Landesgesetz 10/2023 (Wolfsentnahmen) und weshalb der Schuss nach hinten los gehen kann. Versuch einer gesamtheitlichen Betrachtung in drei Kapiteln.
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Kapitel 1: Wald

Warum breiten sich Wolfspopulation in Europa und in den Alpen sukzessive aus? Gut, es gibt die Berner Konvention und die europäische FFH-Richtlinie, welche den Schutzstatut des Wolfes im internationalen Recht verbriefen. Es gibt aber ein zweites Phänomen, nämlich die Landflucht in vielen Ländern und auch in einigen Regionen des Alpenbogens. Und es gibt einen dritten Punkt, der wesentlich ist: die allgemein positive Waldentwicklung seit 150 Jahren.

Was heißt das auf Südtirol umgelegt? Internationales Recht gilt auch für Südtirol, der strenge Schutzstatus ist geltendes Recht. Obwohl die Rückstufung oder Aufhebung des Schutzes immer wieder vorgeschlagen wird, sind bisher alle Versuche sowohl bezüglich Berner Konvention als auch bezüglich FFH-Richtlinie gescheitert. Auf absehbare Zeit wird sich daran nicht viel ändern.

Während die Landflucht in einigen ländlichen Regionen des Alpenbogens nach dem zweite Weltkrieg dramatische Ausmaße hatte, ist sie bei uns kein allzugroßes Thema. Durch die Landflucht im Veneto, Lombardai oder Piemont wurden riesige landwirtschaftliche Flächen aufgelassen, der Wald hat sich bis vor die Tore der Dörfer oder bis auf die Türschwellen der Häuser ausgebreitet.

Das war bei uns nicht der Fall, trotzdem zahlt es sich aus, den Fokus auf den Südtiroler Wald, die Waldfläche und den Waldzustand zu richten. Denn diese Faktoren sind ganz entscheidend, wenn wir das Phänomen Entwicklung Wolfspopulation besser verstehen wollen.

Vor rund 150 Jahren war der Waldzustand in Europa, in den Alpen und in Tirol desaströs. Viele können sich wahrscheinlich kein Bild davon machen, wie fürchterlich damals der Waldzustand war. Publikationen aus der Waldgeschichte beschreiben die damaligen Zustände eindrücklich, es gibt zahlreiche Fotografien, welche um das Jahr 1900 den erbärmlichen Waldzustand dokumentieren.

Darüberhinaus gibt es aber auch Ölbilder, Stiche und Planskizzen, welche ein völlig anderes Landschaftsbild zeigen: Berghänge sind völlig kahl bis hinauf in die Gipfellagen, Almtäler sind bis auf ein paar knorrige Einzelbäume entwaldet.

Mehrere Gründe waren für die gewaltige Entwaldung im 18. und 19. Jahrhundert ausschlaggebend: Der Bedarf an Holzkohle für die wachsenden Städte war enorm, die arme Landbevölkerung hungerte nach Weidegebieten und insgesamt waren Bau- und Brennholz stark nachgefragt. Erst mit der industriellen Revolution um 1850 und mit dem Aufkommen von Steinkohle, nahm der Druck auf die Wälder allmählich ab.

Auch die Donaumonarchie reagierte im Jahr 1852 mit dem Reichsforstgesetz auf die reichsweite Waldzerstörung: “Seit dem Regierungsantritte Kaisers Franz Josef I. (…) beginnt für das Forstwesen Österreichs ein neue Area. Man kam zur Überzeugung, dass die Wahrung der Wälder, das erste Gebot des Naturschutzes (sei). Es mussten Gesetze geschaffen werden, welche dem immer weiteren Vorwärtsschreiten der Rodeart, die schon bis an die letzten Wälle der Wälder geschritten war, Einhalt gebieten mußten.”

Nehmen wir also das Bild des in Tirol katastrophalen Waldzustandes einfach mit  und überlegen uns im nächsten Kapitel, wie es um das Gedeihen der Waldbewohner Rot-, Reh- und Gamswild  in den letzten 150 Jahren bestellt war.