Politik | Wahlen/Elezioni 23

Grüne Handlungsspielräume

Madeleine Rohrer steht auf der Liste der Grünen für die kommende Landtagswahl. Im Wahlkampf geht sie von Haustür zu Haustür. SALTO hat bei ihr geklingelt und nachgefragt.
Rohrer
Foto: Verdi Grüne Vërc
  • SALTO: Sie kommen gerade vom Haustürwahlkampf. Welche Erfahrungen konnten Sie bisher sammeln? Und warum machen Sie das überhaupt?

    Madeleine Rohrer: Die Erfahrung ist sehr positiv. Bislang hat mir niemand die Tür vor der Nase zugeknallt. Es sind sehr viele Menschen die überrascht sind, wenn jemand vorbeikommt und die Liste der Kandidaten und das Parteiprogramm vorbeibringt. Ich mach das, weil für mich die Kampagne grundsätzlich auch eine Art „Kennst du deine Heimat“ ist. Ich gehe und komme an Orte, wo ich noch nie war. Etwa in Deutschnofen. Es ist irgendwie ein Ausbrechen aus meinem gewohnten Ambiente – Meran, das Burggrafenamt, das Ultental. Es geht auch darum, aus der eigenen „Blase“ herauszukommen, da man sich sehr oft mit dem gewohnten Umfeld abgibt und andere Realitäten nicht kennt. Außerdem bin ich ein neugieriger Mensch und finde diese Art und Weise Wahlkampf zu machen spannend, beispielsweise war da auch eine Frau, die die Gelegenheit nutzte, um bei mir Rat einzuholen, welches Kleid sie zu einer Hochzeitsfeier tragen solle.

    Man kann sich in sehr vielen Bereichen engagieren und der Öffentlichkeit annehmen. Warum haben Sie den Weg der Politik gewählt?

    Ich habe fünf Jahre bei einer NGO gearbeitet, in Liechtenstein, verdiente gut, hatte viel mit Ministerien zu tun, war damals für die CIPRA im Verkehrsausschuss der Alpenkonvention. Da sitzen die großen Vertreterinnen und Vertreter der Ministerien und du redest über Transitverkehr im Alpenraum. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass du als NGO zwar Wissen vermitteln kannst, du kannst auch Leute zusammenbringen, du kannst Netzwerken, machst viel Sensibilisierungsarbeit, aber die Gesetzgebung passiert irgendwo anders. Als Paul Rösch dann die Wahlen in Meran gewonnen hatte und es aus arithmetischen Gründen für das Regieren eine deutschsprachige Frau benötigte, wurde ich gefragt, ob ich nach Meran zurückkomme und in den gleichen Bereichen weiterarbeiten möchte. Nur in einer anderen Funktion. Ich überlegte lange und sagte dann zu. Es war eine schöne Erfahrung, weil du eben auch die Methode, wie Politik gemacht wird, ändern kannst.

    Ein Beispiel?

    Wir haben in Meran beispielsweise begonnen, die Pläne für die Neugestaltung von Straßen und Plätzen, in den Räumlichkeiten der Gemeinde aufzuhängen. Die Leute hatten dann die Möglichkeit, sich das im Lauf eines Monats anzusehen, zu kommentieren oder auf Mängel hinzuweisen. Wir hatten Papier und Stifte bereitgelegt. Es gab dann jeweils am Ende einen gemeinsamen Moment – mit den Techniker und Technikerinnen und mir als der verantwortlichen Stadträtin und den externen Planerinnen und Planern und den Leuten –, wo das Projekt besprochen wurde. Wir haben über diese Methode auch Projekte abgeändert. Sie wurden am Ende besser. Es gibt eben Handlungsspielraum in der Politik – mach ich es so, oder mache ich es anders. Es ist auch wichtig Leute hereinzuholen, die ansonsten wenig an der Politik teilhaben, wie junge Menschen und Frauen.
     

    Ich denke, manchmal sind einfach Umwege notwendig, um ans Ziel zu kommen. Es benötigt viel Geduld und Geschick im Umgang mit Regierungspartnern.


    Meran war unter Bürgermeister Rösch eine erste grüne Insel in Südtirol. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt? Und wie sollte Südtirol zu einer grünen Insel werden?

    Das kann vielleicht damit beginnen, dass die Politik lernen sollte, dass wenn mal was schiefgeht, dass man das auch zugeben kann. Das ist mein Anspruch. Und das verstehen die Leute auch und können nachvollziehen, dass etwas fehlerhaft verlaufen kann. Es fehlt in Südtirol die Ehrlichkeit zuzugeben und zu sagen: Nein, wir haben das nicht hingekriegt. Der Bettenstopp beispielsweise, der hat nicht funktioniert, es benötigt andere Instrumente, um den Tourismus einzuschränken. Ich denke, manchmal sind einfach Umwege notwendig, um ans Ziel zu kommen. Es benötigt viel Geduld und Geschick im Umgang mit Regierungspartnern.

    Grüne Parteipolitik ist in mancherlei Hinsicht etwas bürgerlich geworden, fast schon konservativ. Wie verläuft die Realo/Fundi-Diskussion in der Partei?

    Parteien in der Regierungsverantwortung müssen sich mit der Realität auseinandersetzen. Die Grünen können das und das wissen auch die grünen Wählerinnen und Wähler.

  • Seite an Seite: Madeleine Rohrer und Brigitte Foppa. Foto: Verdi Grüne Vërc

    Wie alternativ sind die Grünen noch, wie konservativ sind sie bereits?

    Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Wenn die Grünen vor 10 Jahren meinten, man solle weniger mit dem Auto fahren, dann war das grüne Ideologie, heute steht es im Klimaplan und im Mobilitätsplan der Landesregierung. Grüne Themen sind mittlerweile mehrheitsfähig. Ich finde es grundsätzlich gut, dass mittlerweile auch andere Parteien Klimapolitik betreiben. Südtirol hat das Geld und das Wissen, wie man das Land klima-fit machen kann. Mir fehlt aber ein roter Faden. Im Gemeindeentwicklungsprogramm beispielsweise, wo Ensembleschutz, Mobilitätskonzept und Tourismusentwicklungskonzept bearbeitet werden sollen, da ist beispielsweise der Klimaplan nicht enthalten. In diesem strategischen Planungskonzept kommt der Klimaschutz nicht vor. Man hat den Gemeinden somit verunmöglicht, innovativer beim Klimaschutz zu sein, als das Land und andere Gemeinden. Hier fehlt die Verschränkung ineinander. Es fehlt die Vernetzung. Man muss da von Anfang an hergehen und alle Gesetze abklopfen und nachfragen: Was bringen sie für den Klimaschutz? Und dann muss man natürlich auch die Courage haben zu sagen: Nein, das ist kein gutes Projekt. Was mich außerdem stört: Mit dem neuen Raumordnungsgesetz hat das Land eine Musterbauordnung erlassen, die für alle Gemeinden gilt. Die vorbildhaften Bestimmungen, wie etwa in Meran die Vorgabe von ebenerdigen Abstellräumen für Kinderwägen und Fahrräder bei Mehrfamilienhäusern oder verpflichtende Kinderspielplätze bei Kondominien, gelten nicht mehr. Das hindert die Gemeinden ebenfalls daran, innovativer als das Land zu sein. 

  • Eine heldenhafte Frage zum Schluss. Alexander Langer, der international bekannte und anerkannte Vorzeige-Grüne, ist er Fluch oder Segen für die jüngere Generation in der Partei?

    Er bleibt weiterhin ein Segen für die Partei. Es braucht solche Vorbilder.

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△rtim post Di., 17.10.2023 - 22:42

Fraglich, ob sich Rohrer, Foppa oder andere auch mit Bewohner-innen am Tappeinerweg bei Sprengungen und Dauerpressbohrhämmern (angenehm) unterhalten haben.
Meran ist ein Beispiel, wie es "Grüne" wohl nicht machen sollten. Damit meine ich nicht nur Röschs Freunderlwirtschaft: https://www.tageszeitung.it/2020/12/27/der-versorgungsjob-2/
Die Machtpolitik der „Grünen/Liste Rösch“ hieß ja nicht nur keine Antwort auf Eingaben der Bürger-in an die Gemeinde, den BM Rösch, der grünen Landtagsabgeordtneten ..., sondern vor allem, keine eigene Rechte der Natur (vgl. Wesche), keine Rechte der künftigen Generationen, keine Mitwirkungsmöglichkeit für betroffene Anrainer-innen, keine Mitentscheidung, Abstimmung der Bürger-innen beim autogerechten, aber klimafeindlichen Umbau der Altstadt Merans durch die Kavernenparkgarage auf über sechs Ebenen unterhalb des Tappeinerwegs mit Weltkulturerbeanwärter-Status. Die Zerstörung von ganzen Ökosystemen in der Tiefe mit ganz anderen Zeitintervallen gehen für "Grüne" politisch ebenso in Ordnung. (Vgl.a.: https://youtu.be/T8pO20iSGcE?si=UbUvFGa0xYmeN24K )
Da stellt sich nach allgemeinen Verständnis von Glaubwürdigkeit in der Politik zurecht die Frage: Haben die politischen "Grünen", ihre Politik und Praxis in Meran (selbstkritisch) auf Gemeinde- aber auch auf Landesebene mal hinterfragt oder gar aufgearbeitet?

Di., 17.10.2023 - 22:42 Permalink
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Arne Saknussemm Mi., 18.10.2023 - 10:21

"Es braucht solche Vorbilder." - Ja, Vorbilder aus denen ihr nichts gelernt habt!
Ihr habt euch zu von einer linken, sozialen Bewegung zu einer Partei von systemtreuen Egoisten gewandelt! Ihr seid denjenigen, die ihr kritisiert, ähnlicher als ihr glaubt!

Mi., 18.10.2023 - 10:21 Permalink
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Gregor Marini Mi., 18.10.2023 - 13:10

A) Was bitte ist an der Schlussfrage "heldenhaft"?
B) ..."Vorzeige-Grüne" ... ziemlich blöde Bezeichnung!
Langer war ein hochgebildeter und intelligenter Mensch, dessen Vision auf ein friedliches Zusammenleben von der Realität einer bornierten Gesellschaft zerstört wurde!
Er sollte kein "Vorbild" sein, sondern vielmehr ein Beispiel dafür, daß Ehrlichkeit und politische Arbeit nicht zwingend ein Widerspruch sein müssen!
Solche Persönlichkeiten sollte man nicht mystifizieren sondern sie sollten helfen, eine klare und radikalere Opposition einzunehmen, anstatt sich dem politischen Mainstream anzugleichen !

Mi., 18.10.2023 - 13:10 Permalink