Politik | EU-Wahlen

Mitte-Rechts? Rechts? Rechts-Außen?

Im Juni finden die Wahlen zum Europa-Parlament statt. Im Gespräch mit EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann darüber, wie „rechts“ das neue EU-Parlament sein wird.
Herbert Dorfmann
Foto: Ute Schweigkofler
  • SALTO: Herr Dorfmann, Umfragen wie jene der Plattform „Europe elects“ sagen bei den kommenden EU-Wahlen einen Rechtsruck voraus. Die Meinungen darüber, ob dies in erster Linie eine Stärkung des konservativen Lagers bedeutet oder ob damit rechtspopulistische Kräfte und die äußerste Rechte an Macht und Einfluss gewinnen, gehen allerdings auseinander. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

    Herbert Dorfmann: Das ist auch eine Frage der Definition. Es gibt Kreise, die mittlerweile auch die EVP als rechts einstufen. Dabei sind wir eine klassische Partei der Mitte und ohne Zweifel pro-europäisch. Fragt man danach, wer das vereinte Europa vorangebracht hat, so waren es zu rund 75 Prozent Mitglieder der EVP und zu 25 Prozent Sozialdemokraten, sprich die beiden großen Volksparteien von Mitte-Rechts und Mitte-Links. Sie haben im Grunde genommen alle großen Vertreter der europäischen Politik gestellt –  beispielsweise Valéry Giscard d’Estaing, Willy Brandt oder Helmuth Kohl. Man kann uns also sicherlich nicht vorwerfen, dass wir rechtspopulistisch und anti-europäisch wären. Rechts von uns gibt es zwei Fraktionen im Europäischen Parlament, und zwar die europäischen Konservativen und die rechst-populistische Gruppe Identity and Democracy ID. Zur Letzteren gehören unter anderem die Abgeordneten der Lega und der AfD. 

  • Umfragewerte der Plattform europeelects.eu: Die aktuelle Prognose geht von einer Stärkung der konservativen und rechts gerichteten Kräfte aus. Foto: europeelects.eu/Filip van Laenen
  • Ihre Prognose?

    Wie die Wahlen ausgehen werden, weiß man nicht. Allerdings lässt sich tendenziell sagen, dass bei den Europawahlen nicht nur „Europa“ mitgedacht wird, sondern der Ausgang von der Regierungszusammensetzung im eigenen Staat bzw. von der jeweiligen nationalen Politik beeinflusst wird. Wenn derzeit in Italien die Regierungsmehrheit in allen Umfragen vorne liegt, dann wird sich das auch im Ergebnis zu den Europawahlen niederschlagen. Das heißt, dass es hier keine großen Überraschungen geben wird und kein plötzlicher Umschwung zum PD oder den M5S erwartet werden kann. Analysiert man die Situation der großen Staaten, welche die meisten Abgeordneten stellen, dann lässt sich abschätzen, in welche Richtung es gehen wird. 

    Also nach rechts?

    So eindeutig sehe ich diese Entwicklung nicht. In Deutschland sieht sich Mitte-Links aufgrund ihrer Perfomance in großen Schwierigkeiten. In Frankreich gibt es das klassische Mitte-Links-Lager eigentlich nicht mehr, bei dieser Wahl riskieren die französischen Sozialisten sogar zum ersten Mal, den Einzug in das Europäische Parlament zu verpassen. Die Auseinandersetzung spitzt sich derzeit zwischen Emanuel Macrons liberaler Partei und dem Rassemblement National (RN), vormals Front National (FN), zu, wobei davon auszugehen ist, dass Rechts-Außen stärker wird. In Italien wird es im Vergleich zu den letzten Wahlen eine deutliche Verschiebung Richtung Mitte-Rechts und Rechts geben, wobei man dazusagen muss, dass diese Entwicklung bis zu einem gewissen Grad auch daher rührt, dass bei den vergangenen Wahlen die Lega ein hervorragendes Ergebnis einfahren konnte. Somit wird es zu einer Verschiebung sowohl von Links wie auch Rechts Richtung Zentrum kommen. In Südtirol ist man sich oft nicht dessen bewusst, dass auf europäischer Ebene die Fratelli d‘Italia, die übrigens dem konservativen Lager angehören, weitaus konstruktiver agieren als die Lega.

    Rechts-Außen im Aufwind

    Laut aktueller Wahlprognose von Europe elects befindet sich Rechts-Außen in starkem Aufwind. Zum ersten Mal erreicht der Flügel der Identity and Democracy ID, zu denen die AfD, Lega, FPÖ, Rassemblement National (RN), die niederländische Partei Vlaams Belang, die tschechische Partei „Svoboda a přímá demokracie“ sowie die portugiesische Fraktion „Chega“ gehören, den dritten Platz hinter der Mitte-Rechts-Partei Europäische Volkspartei (EVP) und den Sozialdemokraten (S&D). Gemeinsam mit der Europäischen Demokratischen Partei „Renew“ bilden EVP und die Sozialdemokraten eine informelle Koalition und stützen sich dabei auf eine komfortable Mehrheit von 404 von 705 Sitzen. Bei den kommenden Wahlen muss die Renew-Partei jedoch mit Verlusten rechnen und rutscht damit hinter ID zurück. Ebenfalls Verluste werden für die Grünen vorhergesagt wie auch für die Partei der Europäischen Linken (EL). Im Aufwärtstrend hingegen befindet sich neben den ID auch die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR).

  • Apropos Südtirol: Im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema Schutzstatus des Wolfes, bei welcher Sie und Manfred Weber, Vorsitzender der EVP, aus Brüssel zugeschaltet waren, wurden Befürchtungen geäußert, dass man die Mitte verlieren würde. Widerspricht sich das nicht mit Ihrer Einschätzung?

    Ja und nein. Europa ist sehr groß, sehr vielschichtig und sehr komplex. Im Unterschied zu den USA haben wir vollkommen unterschiedliche politische Realitäten, hinter denen unterschiedliche nationale Interessen stehen. Was ich bei der genannten Pressekonferenz sagte, war, – hier ist der Wolf ein ganz typisches Beispiel –, dass wir die Bürger in die Arme von Radikalen und Extremisten treiben, wenn wir als Parteien der Mitte nicht in der Lage sind, Lösungen zu finden. Die Leute erwarten sich von den großen Volksparteien der Mitte, zu der ich die EVP, Sozialdemokraten und zum Teil die Partei der Liberalen zähle, Lösungen, die nachvollziehbar sind. 

     

    Die Leute erwarten sich von den großen Volksparteien der Mitte, Lösungen, die nachvollziehbar sind. 

     

    Wenn das nicht gelingt, haben Kräfte des äußersten linken und rechten Spektrums leichtes Spiel. Sieht man sich die Situation in Frankreich an, so haben dort vor allem die jungen Wähler Links-Außen gewählt, die ländliche Bevölkerung hingegen Rechts-Außen, auch in Deutschland sieht man, dass sich die ländliche Bevölkerung wie beispielsweise in Sachsen und Brandenburg sich mit ihren Problemen von den etablierten Parteien alleine gelassen fühlt und die AfD dort leichtes Spiel hat. Interessanterweise bringen in Brüssel die Abgeordnete des äußersten linken Flügels dieselben Argumente wie die Rechts-Außen-Fraktion bzw. stimmen bei manchen Fragen die alten Kommunisten mit den Rechts-Populisten. Um auf Südtirol zurückzukommen: Wenn man das Wahlergebnis analysiert, so sieht man, dass in jenen Gemeinden, wo die SVP keine Antwort auf die Wolfs-Problematik geben konnte, von den Wählern abgestraft wurde. Bei den anderen Parteien bekommen sie zwar auch keine Antwort, aber zumindest wurde ihnen das vorgegaukelt.  

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Herta Abram Di., 16.01.2024 - 14:21

Um in eine lebenswerte Zukunft steuern zu können wünsche ich mir:
Eine Anleitung die aufzeigt, wie man diesem System aus Doppelmoral, linientreuen-populistisch propagierenden Ja Sagern, Freunderlwirtschaft, Lügen, falschen Versprechungen und Totalversagen der Politik entkommen kann.

Di., 16.01.2024 - 14:21 Permalink
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Wilhelm B.L Sa., 20.01.2024 - 14:24

Antwort auf von Herta Abram

Die Folgen der schleppenden, alles zurecht rueckenden, Restitution einer voellig aus dem Ruder und einem sinn vollen Rhythmus geratenen politischen und juristischen Kultur des Westens, insbesondere der ihres Glaubens an einen elitaeren Status und einer eigenen dentitaet beraubten Voelker, wie z B. Deutschland Diese innerlichen Defizite erkennt man an vorlauefigen Siegen der "Elite" ueber den einerseits in Daemos auf die Strasse laufen den (vom Haus austretenden), kurzatmig und ueberhitzt reagierenden "Mob" und der
anderseits von seinem lahmen Gegen spieler angewandten, angezuechteten Taktik des demonstrativen Aussitzens von Problemen , also Sich Versteifens auf imaginaere, feste hohe (Be-)Sitze und Positionen :Die hauefig unmittelbar nebeneinander liegende und scheinbar ver-rueckt (ambivalent) wechselnde heilende oder zerstoererische Wirkung von. die Welt real gestaltenden hypno tisierenden Botschaften auf den fuer Fremdbestimmungen empfaenglichen naiven Glauebigen (Vergl. die wunderbare "geschichtliche" Wendung des ruckartig wieder Gehen koennenden Gelaehmten). Eine Rueckbesinnung auf das auch mit dem Buddhismus verbundene Quanten prinzip als Loesungsansatz fuer den weltweit fortschreitenden, von emotionaler Vewirrung begleiteten, Kulturniedergang. Hierrin erkennt man das vom abgestumpften Massenmenschen ueberspitzt gehoerte laute Krachen des Einzelfalls eines abrupt mit viel Getoese zusammen brechenden Baums - Als Gegensatz zum nicht mehr wahrge nommenen geraueschlosen - ohne hektische Hysterie - langsamen Wachsen eines Waldes mit dem automatisch mittels feinster Versorgungs - und Informationskanaele aufrecht erhaltenen langen Atem.

Sa., 20.01.2024 - 14:24 Permalink
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Josef Ruffa Di., 16.01.2024 - 14:47

“Bei den anderen Parteien bekommen sie zwar auch keine Antwort, aber zumindest wurde ihnen das vorgegaukelt.”

Vorgaukeln, ja so kann man es auch formulieren und schaut nicht im eigenen Garten hinein.

Interessant.

Di., 16.01.2024 - 14:47 Permalink
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G. P. Di., 16.01.2024 - 16:49

"Bei den anderen Parteien bekommen sie zwar auch keine Antwort, aber zumindest wurde ihnen das vorgegaukelt. "
Da würde ich aber schleunigst damit beginnen, zunächst vor der eigenen Tür zu kehren ...

Di., 16.01.2024 - 16:49 Permalink
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Andreas Thanei Di., 16.01.2024 - 18:53

Leider könnte die SVP sogar einen Besen bei den Wahlen zum Europaparlament aufstellen und dieser würde gewählt. Schade, dass man immer so schlechte Vertreter in Brüssel und Straßburg sitzen hat.

Di., 16.01.2024 - 18:53 Permalink
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Salto User
nobody Di., 16.01.2024 - 21:10

Rechts- und Linksaußen wollen kein Europa. Die Abgeordneten aller Parteien wollen das anscheinend auch nicht, sonst würden sie besser arbeiten, fürs Volk und nicht für Banken, Versicherungen und Konzerne. So verlieren sie das Volk und betrauern danach den Scherbenhaufen. Widerlich.

Di., 16.01.2024 - 21:10 Permalink
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Salto User
Milo Tschurtsch Sa., 20.01.2024 - 13:10

“Bei den anderen Parteien bekommen sie zwar auch keine Antwort, aber zumindest wurde ihnen das vorgegaukelt.”

Ja dann müssen wir eben wieder andere Parteien wählen, die dann endlich eine Antwort geben können. Denn Herr Dorfmann, auch wenn`s schwer fällt: Die Politik ist für die Menschen da und hat zu tun was die Menschen wollen und nicht umgekehrt. "Das ist nicht möglich" gibt´s nicht. Wenn es nicht möglich ist, dann ist es möglich zu machen. Denn das Volk ist der Souverän, das ist die Basis der Demokratie.

Sa., 20.01.2024 - 13:10 Permalink
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Thomas Unterwinkler So., 21.01.2024 - 12:35

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Nach Ihrer Auffassung ist es also Aufgabe der Politik, Unmögliches möglich zu machen?!? Und das wird damit begründet, dass das Volk der Souverän ist, was die Basis der Demokratie ist??
Dazu fällt mir ein Zitat von Micky Beisenherz ein: "Demokratie ist eine feine Sache. Das Dumme daran ist nur, dass die Doofen mitmachen dürfen."

So., 21.01.2024 - 12:35 Permalink