Politik | Gerhard Mumelter

Divo Giulio oder Beelzebub

Wie kein Zweiter hat Giulio Andreotti ein Jahrhundert italienischer Geschichte geprägt: siebenmal Regierungschef, 21-mal Minister, 64 Jahre im Parlament.

Nichts veranschaulichte Giulio Andreottis politische Laufbahn eindrücklicher als die Fotosammlung im Vorzimmer seines Büros an der Piazza in Lucina im Herzen Roms. In silbernen Rahmen mit handgeschriebener Widmung präsentierte sich hier die Galerie der Mächtigen, mit denen er zu tun hatte. Leicht verblasst die Schwarz-Weiß-Porträts der US-Präsidenten Eisenhower, Nixon, Ford, Carter, Reagan, die deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Kohl, der äthiopische Kaiser Haile Selassie, Queen Elizabeth. Die Wichtigsten standen in vorderster Reihe: Pius XII., Paul VI., Johannes XXIII., Johannes Paul II. Am Montag starb Andreotti in seiner Wohnung in Rom in Alter von 94 Jahren. In den letzten Monaten hatte sich der Gesundheitszustand des Politikers stark verschlechtert.

Prägende Gestalt

Wie kein Zweiter hat Giulio Andreotti ein Jahrhundert italienischer Geschichte geprägt: siebenmal Regierungschef, 21-mal Minister, 64 Jahre im Parlament. Seine kürzeste Amtszeit als Regierungschef betrug 1972 nur acht Tage. Die letzte Niederlage erlitt der damals 87-Jährige im Jahr 2006, als er bei der Wahl zum Senatspräsidenten scheiterte.

Die mit schwarzer Tinte geschriebene Widmung auf dem Foto seines politischen Ziehvaters Alcide De Gasperi stammt aus dem Jahr 1952. Da war der strebsame Katholik bereits mehrere Jahre Staatssekretär unter dem ersten Ministerpräsidenten nach dem Krieg. Andreotti war die Verkörperung seines geistreichen Mottos "Die Macht verschleißt den, der sie nicht hat".

Skandale

Der stoische Christdemokrat war in fast alle Skandale verwickelt, die Italien bewegten - selbst 27 parlamentarische Untersuchungskommissionen konnten dem Politfuchs nichts anhaben. Seine Gegner prangerten den buckligen Brillenträger mit den hochgezogenen Schultern als "Beelzebub" an, als Fürsten der Finsternis, der in alle dunklen Intrigen und Geheimnisse Italiens verstrickt war.

Putschversuche, die Ermordung seines Parteifreunds Aldo Moro, der blutige Terror der Roten Brigaden, subversive Geheimlogen, die Verbrechen der Mafia, die endlosen Grabenkämpfe in der Democrazia Cristiana - Macchiavellis frommer Meisterschüler hat alle Widrigkeiten schadlos überstanden. Den Vatikan-Intimus, der täglich im Morgengrauen die Messe besuchte, konnte nichts aus der Fassung bringen - auch nicht die (später aufgehobene) Verurteilung zu 24 Jahren Haft für den Auftragsmord an dem unbequemen Journalisten Mino Pecorelli. Über Jahre nahm Andreotti diszipliniert an einem Verfahren wegen Begünstigung der Mafia teil. Er ließ weder Gesetze zu seinen Gunsten ändern, noch beschimpfte er die Justiz. Zeitlebens war er ein Asket, der wenig schlief, wenig aß und viel arbeitete.

"Der Göttliche"

Er sei weder eine Sphinx noch eine geheimnisvolle Eminenz, wehrte sich der "Göttliche" stets gegen alle Unterstellungen: "Ich bin kein Engel, aber nicht schlechter als andere." Er hoffe auf einen Platz im Paradies: "Nicht durch meine Verdienste, sondern durch Gottes Güte." Nur an einer Äußerung Andreottis zweifelte niemand: "Etliche Staatsgeheimnisse nehme ich mit ins Grab."

Seinen vielen Gegnern hinterlässt der Senator auf Lebenszeit ein explosives Erbe: 600 Meter Regale füllt sein mit tausenden akribischen Notizen gefülltes Privatarchiv, das erst jetzt nach seinem Tod zugänglich sein wird. Dann werden Zeitgeschichtler klären können, ob Giulio Andreotti als "Divo" in den Himmel gehört oder als Beelzebub in die Hölle. Oder ins Fegefeuer als "einer, der nie in okkulte Dinge verwickelt war" und der sich selbst gewohnt bescheiden definierte: "Ich bin nur ein neugieriger Mensch, der alles wissen will." (aus: Der Standard)

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Alfonse Zanardi Mo., 06.05.2013 - 18:25

Als die Welt von Craxi, Andreotti und Forlani am Beginn der 1990er Jahre unterging war der Jubel groß.

Aber nach 20 Jahren ist es zweifelhaft ob das was nachkam auch nur ansatzweise besser war. Korrupt ist das System nach wie vor, vielleicht sogar viel korrupter. Und vom Stil ist das was wir heute haben natürlich ein deutlicher Rückschritt.

Stil war gerade eine Stärke jener Politiker: enigmatisch, wie in einem ewigen Theater, tänzelnd, in einem verklausulierten Spiel, ja geradezu elegant präsentierte sich der politische Betrieb, nie laut und vulgär.
Unter rein ästhetischen Gesichtspunkten auf jeden Fall ein großartiges und unterhaltsames Spektakel.

Mo., 06.05.2013 - 18:25 Permalink
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Martin Geier Mo., 06.05.2013 - 18:53

Antwort auf von Alfonse Zanardi

Ja; es war das gleiche Land und die gleiche Welt; aber ein diametral anderer Stil. mamma mia wenn ich daran denke wieviele Geheimnisse der Zweiten Republik Andreotti wohl mit ins Grab genommen hat. Es gibt soviele Fragen und sowenig Antworten. Andreotti war eher ein Freund der Autonomie; und eine besonders 'cooler' Staatsmann. Er ließ sich auch nicht beirren als ausgerechnet bei seinem Urlaub im Palace Hotel eine Bombe hochging.
Ja; er war zeitlos und hielt sich wohl auch selbst für zeitlos.

Mo., 06.05.2013 - 18:53 Permalink