Politik | Istanbul-Rom

Ein Hoch auf Rom - trotz allem

Die ewige Stadt kann sich wieder aufrappeln: Dank Ignazio Marino, der alte Seilschaften gekappt und auch den Partito Democratico zur Rechenschaft gezogen hat.

Unaufschiebbare bürokratische Angelegenheiten haben mich vor einigen Tagen nach Rom geführt, wo ich von 1980 bis 2014 gelebt und gearbeitet habe. Vor einem Jahr zog ich nach Istanbul und die traumatischen Erfahrungen dort haben sicher dazu beigetragen, dass mir Rom in einem verklärten Licht erschien.  

Die Erneuerung meines Führerscheins - in einer halben Stunden reibungslos erledigt. Eine Nachzahlung bei der Gemeinde Rom bezüglich der Müllabfuhr - keine Wartezeiten und freundlich-effiziente Beamte, die sofort mein Problem erkannten und es lösten. Ärztliche Unterschungen in fünf verschiedenen, konventionierten Sanitäts-Strukturen: Ein Traum! Pünktlich, freundlich, verlässlich! 

Der Verkehr: deutlich verringert und Bezahl-Parkplätze auch im (elektronisch nicht abgesperrten) Zentrumsbereich!

Was ist passiert in meiner einjährigen Abwesenheit? Ich glaube, dass die andauernden Wirtschaftskrise die Römer bescheidener und im öffentlichen Dienst etwas effizienter gemacht hat. Die fehlenden Geldmittel haben den Benzinkonsum verringert, was eine bessere Luftqualität und eben auch das ausreichende Parkplatzangebot bewirkt haben.

Ein kleiner Teil dieser Verbesserungen geht auch auf das Konto des glücklosen Bürgermeisters Ignazio Marino. Sein Versuch, die Arbeitsmoral  der öffentlichen Verkehrsbediensteten (ATAC) zu verbessern, die Arbeiten der Müllentsorgungsfirmen (AMA) besser zu koordinieren und grundsätzlich die alteingesessenen, verfilzten Korruptionsgeflechte zu durchbrechen, haben den römischen Bürgern gutgetan.

Nicht gutgetan hat die Mars-Mensch-Methode Marinos den langjährigen, gut geölten Seilschaften, die seit Jahrzehnten die römische Gemeindeverwaltung wie Krebsgeschwüre erdrücken. Diese Seilschaften werden von politischen Parteien gesponsert, die im Gegenzug finanziell begünstigt (geschmiert, korrumpiert ect.) werden. Der Partito Democratico macht dabei keine Ausnahme.

Dumm nur, dass Bürgermeister Ignazio Marino ebendieser Partei angehört, die jetzt nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Dabei ist Marino in PD-Vorwahlen zum BM-Kandidat erkoren worden. Bei den Gemeindewahlen bekam er eine deutliche Mehrheit. Klar, dass ihm das Amt des Bürgermeisters der "Capitale" zustand.

Bald wurde klar, dass der geschätzte Chirurg Marino der Verwaltung einer Stadt wie Rom nicht gewachsen war. Der Skandal "Mafia Capitale" explodierte. Er offenbarte, dass der rechte Marino-Vorgänger Gianni Alemanno seine neofaschistischen, teils kriminellen "Spezln" und Freunde in die wichtigsten Ämter bugsiert hatte, die sich dort ungeniert und gierig öffentlicher Gelder bedienten.

Dass diese Eiterblase von Mafia, Kriminalität, Misswirtschaft und Ineffizienz endlich geplatzt ist, gehört zu den Verdiensten Ignazio Marinos. Zusammen mit dem mutigen Chef der römischen Staatsanwaltschaft Giuseppe Pignatone deckte er die Machenschaften auf und wurde dafür ganz kurz von seiner Partei gelobt und gefeiert.

Trotzdem hätte das nationale Hauptquartier des PD damals die Auflösung der römischen Stadtverwaltung wegen Mafia-Infiltration fordern sollen - und nicht jetzt, wo es - zumindest offiziell - nur um fehlerhafte Spesenabrechnungen des Bürgermeisters geht.

Um den eigenen Bürgermeister zu killen, ist sich der von Matteo Renzi im Hintergrund manövrierte römische PD nicht zu schade, ein Bündnis mit den Rechtsparteien einzugehen. Verzweifelt bettelt der römische PD zur Stunde in Rom seine politischen Feinde um Hilfe beim Sturz des eigenen Bürgermeisters. 

Dass nach dem Sturz Ignazio Marinos die Grillo-Bewegung "Cinque Stelle" den römischen Bürgermeister stellen wird, ist laut derzeitigen Wäherumfragen sicher. Auch das nimmt der Partito Democratico in Kauf, um Marino wegen Unbotmässigkeit (und auch Blauäugigkeit) zu bestrafen. 

Ignazio Marino hatte das verbriefte Recht, sich seinen Rücktritt vom 8. Oktober 20 Tage lang zu überlegen. Er hat davon Gebrauch gemacht, um seine Parteifeinde dazu zu zwingen, öffentlich zu erklären, weshalb sie ihn als Bürgermeister fallen lassen.

Die Spesenvergütungsaffäre kann nicht der Grund sein. PD-Ministerpräsident Matteo Renzi hat ja selbst als Bürgermeister von Florenz andauernd zusammen mit Familie und Freunden in seiner Lieblings-Trattoria auf Gemeindekosten gespeist. Der Wirt fand es derart normal, dass ihn Renzi am Ende der jeweiligen Abendessen aufforderte, die Rechnung direkt an die Gemeinde zu schicken, dass er diesen Umstand  erst vor einigen Wochen ganz arglos Journalisten erzählte.

Ignazio Marino stand auf der Abschussliste, nachdem klar geworden war, dass er keine Parteianweisungen zum Schutz besonderer politisch-kommerzieller Sponsoren  befolgte. Als sich dann auch noch Papst Franziskus durch beißende Äußerungen am römischen Bürgermeister rächte, weil es sich dieser erlaubt hatte, die kurzfristige Ausrufung eines Jubiläumsjahrs zu kritisieren, war der casus belli gegeben.

Die unkorrekte Spesenvergütung war der Anlass für den PD, dem eigenen BM das Vertrauen zu entziehen. In einem Staat, in dem öffentliche Moral grossgeschrieben wird, wäre dies absolut richtig.  In einem Staat, in dem sich jede Körperschaft, die auch nur oberflächlich kontrolliert wird, als korrupt und mafiös entpuppt, ist der Grund für die Absetzung Marino ziemlich fadenscheinig.

Zur Spesenvergütung: In allen größeren Betrieben wird die Spesenverrechnung nicht vom Chef selbst, sondern vom Sekretariat erledigt. Und weil auch Sekretäre nicht immer wissen, wo der Bürgermeister mit wem gespeist hat, schauen sie im Terminkalender nach und ordnen Abendessen verschiedenen Treffen oder offiziellen Besuchen zu.

Diese Zuordnung hat sich als fehlerhaft erwiesen und die Staatsanwaltschaft von Rom hat deshalb Ermittlungen gegen Bürgermeister Marino eingeleitet. Doch sind es nicht diese Abendessen, die ihn zu Fall gebracht haben, sondern seine Weigerungen, mit Freunderlwirtschaft und Korruption weiterzumachen wie bisher.

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Winny Felderer Mo., 02.11.2015 - 06:12

Ein kommentar, den man teilen kann, wenn auch etwas oberflächlich. Das problem ist, wie so oft in italien, eine tendentiöse und "faziöse" presse. Darin unterscheidet sich oktavia brugger angenehm von ihren kollegen.

Mo., 02.11.2015 - 06:12 Permalink