Wirtschaft | Grenzkontrollen

Teure Beruhigungspille

Höhere Preise, ausbleibende Touristen: Was blüht Südtirols Wirtschaft angesichts der geplanten Grenzkontrollen am Brenner?

Es war der Handelskammer-Präsident, der die Diskussion um die Grenzkontrollen am Brenner in Gang gebracht hat. Und so sehr man Michl Ebner dabei auch politische Intentionen unterstellen mag: Die „großen Nachteile“ für Südtirols Wirtschaft, vor der die Handelskammer am 5. Februar im Zusammenhang mit dem Grenzzaun warnte, sind  nicht von der Hand zu weisen. Und so mehren sich von Tag zu Tag die Stellungnahmen besorgter Wirtschaftsvertreter, die vor den Auswirkungen eines Rückfalls in Vor-Schengen-Zeiten warnen. In erster Reihe stehen klarerweise die Frächter, die Grenzkontrollen unmittelbar zu spüren bekommen. Bereits in den vergangenen Monaten haben sich die Fahrzeiten auf der vielbefahrenen Transitroute zwischen Modena und München wegen der Kontrollen in Kufstein verlangsamt, warnen sie. Dort wird jedoch nur auf der Autobahn kontrolliert, die im Grenzbereich auf eine Spur reduziert wurde.  Und: LKW werden nur stichprobenartig aus dem Verkehr gezogen. Als Ausweg bleibt am Grenzübergang in Kiefersfelden außerdem die unkontrollierte Bundesstraße, auf der alles wie gewohnt läuft,  bestätigt Peter Wachter,  Leiter der Bezirksstelle Kufstein in der Wirtschaftskammer Tirol.

Was aber, wenn nun am Brenner ein tatsächliches Nadelöhr entsteht – mit umfassenden Kontrollen auf Autobahn und Staatsstraße? Viereinhalb Stunden dürfen Lastwagenfahrer ohne Pause fahren. Dann darf es nach 45 Minuten Pause wieder für viereinhalb Stunden weitergehen, bevor eine Ruhezeit von elf Stunden eingelegt werden muss.  Statt in weniger als vier Stunden könnte die Strecke von Bozen bis München also bald einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, malen Frächtervertreter das Schreckensbild von stundenlangen Staus an der Grenze. Südtirols größter Frächter Thomas Baumgartner lehnt sich gar schon so weit hinaus, in Folge einen Anstieg der Verbraucherpreise in Höhe von zehn Prozent zu prognostizieren. „Ein stillstehender LKW kostet 60 Euro pro Stunde“, erklärt er im Alto Adige.  „Und solche Kostensteigerungen müssen wir an die Kunden weitergeben“.

Doch nicht nur von den Frächtern werden bereits die ökonomischen Schäden von Grenzkontrollen hochgerechnet. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hatte schon im Jänner eine gewichtige Zahl in den Ring geworfen: Auf zehn Milliarden Euro könnten sich die Kosten von Grenzschließungen für die deutsche Wirtschaft belaufen, hatte  DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben gewarnt. Staus und Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie aber zum Beispiel auch die Umstellung von Just-in-time-Lieferung auf deutlich teurere Lagerhaltung würden dabei ins Gewicht fallen. Bei der Tiroler Wirtschaftskammer kann man wenige Monate nach Einführung der bayerischen Kontrollen in Kiefersfelden noch nicht mit konkreten Zahlen aufwarten. „Wir haben nur überschlagsmäßige Zahlen aus Oberösterreich und Salzburg, wo zusätzliche Kosten von täglich zwei Millionen Euro kolportiert werden“, erklärt der Geschäftsführer der Sparte Transport und Verkehr Josef Ölhafen.

Wie viel Wartezeit verträgt der Tourismus?

Noch ausgedehnter als in Kiefersfelden sind die Wartezeiten an der deutsch-österreichischen Grenze am Walserberg, wo im Durchschnitt zwischen 30 Minuten und einer Stunde Stau verzeichnet wird. In der Wirtschaftskammer Salzburg wird in Folge von Einbrüchen im Wintertourismus im Umfang von drei und zehn Prozent gesprochen. Mit solch konkreten Zahlen kann man beim Südtiroler Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) noch nicht aufwarten. „Klarerweise ist es aber auch für Südtirol nicht dienlich, wenn die Gäste ständig die Meldungen von Staus in Kiefersfelden hören“, sagt Präsident Manfred Pinzger. Gerade weil die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Südtirols Tourismus mittlerweile nur mehr bei rund vier Tagen liegt, seien die Gäste auch nicht mehr bereit, zu lange Anfahrtszeiten auf sich zu nehmen. „Wenn es dann wirklich wieder zwei Grenzübergänge mit langen Wartezeiten geben sollte, wird es natürlich schon problematisch“, sagt der HGV-Präsident.

Den Optimismus von IDM-Präsident Thomas Aichner, wonach die Begehrlichkeit der Marke Südtirol auch solche Wartezeiten überstahlen sollte, stellt Pinzger zwar in Frage. Allerdings will er keineswegs Untergangsszenarien zeichnen, bevor nicht definitiv klar ist, wie die Grenzkontrollen am Brenner konkret ablaufen werden. „Das Wichtigste ist eine klare Kommunikation und Information der Gäste“, sagt er. Doch im Moment würde dafür auch den Gastwirten die nötige Basis fehlen. Auch wenn die Unternehmen insbesondere in den betroffenen Grenzgebieten beunruhigt seien, rät Manfred Pinzger deshalb einmal abzuwarten, was tatsächlich am Brenner geschieht. „Vor allem ist in der gesamten Diskussion auch der menschliche Aspekt all dieser Frauen, Männer und Kinder nicht zu vergessen, die auf der Flucht sind“, meint Pinzger.

Vor allem sollte aber auch nicht die Hoffnung verloren werden, dass all die Grenz-Schließungen Brüssel doch noch einmal dazu bringen, sich zu bewegen. „Wir wollen eine europäische Lösung. Wir mögen keine Grenzkontrollen“, beschwor EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor dem EU-Gipfel am Donnerstag seine KollegInnen. Doch solange dies nur leere Worte bleiben, werden es die Österreicher nun den Bayern bald auch am Brenner gleich tun. An der Sinnhaftigkeit solcher Schritte wird auch bei der Wirtschaftskammer Tirol gezweifelt. „Natürlich haben wir auch Verständnis dafür, dass Deutschland seine Grenzen sichert“, sagt der Leiter der Bezirksstelle Kufstein Peter Wachter. Doch nicht zuletzt aufgrund der Ausweichmöglichkeiten über die Bundesstraße seien die Kontrollen vor allem als Symbolakt und Beruhigungspille für die eigene Bevölkerung zu sehen, meint er.  Wie lange diese auch angesichts der wirtschaftlichen Konsequenzen geschluckt werden wird, ist allerdings jetzt schon fraglich.

Bild
Profil für Benutzer Herta Abram
Herta Abram Sa., 20.02.2016 - 10:46

ALLE SAGTEN: DAS GEHT NICHT.

Ein langfristiger Blick

Gerald Hüther: Die Einwanderung als Glücksfall: http://youtu.be/PoRpLWqSsi4

Von Menschlichkeit, Bildung und Erziehung wird es wesentlich abhängen, ob die heranwachsenden Generationen den Ansprüchen, Herausforderungen und Belastungen gewachsen sein werden, mit denen sie in der Welt von morgen konfrontiert sind.

Sa., 20.02.2016 - 10:46 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Sa., 20.02.2016 - 13:31

bedeutet im Umkehrschluss, wenn die Wirtschaft Millionen in Flüchtlingsintegration bzw. sinnvolle Entwicklungshilfe steckt, könnte sie sich Milliarden ersparen?

Sa., 20.02.2016 - 13:31 Permalink