Gesellschaft | Schutzmasken

Anlauf Nr. 4

Der Sanitätsbetrieb war nicht fähig, in drei Anläufen dem INAIL eine ordentliche Dokumentation der Schutzausrüstung zusammenzustellen. Jetzt setzt man auf Plan B.
Frauen in der Sanität
Foto: Pixabay
Der Schuldigen sind schnell gefunden: Die absurde italienische Bürokratie und das INAIL.
Nicht nur Gesundheitslandesrat Thomas Widmann reitet in der Südtiroler Masken-Affäre publikumswirksam dieses Ross.
Dieses Gutachten des INAIL ist eine Bankrotterklärung des Systems und des ganzen Staates“, erklärt Widmann, nachdem das gesamtstaatliche Versicherungsinstitut für Arbeitsunfälle INAIL ein negatives Gutachten zu der aus China importierten Schutzausrüstung abgegeben hat. Die Folge: Die Schutzausrüstung musste Südtirolweit eingezogen werden.
Es ist unverständlich, dass Italien – im Unterschied zum restlichen Europa – an seinen bürokratischen Standards festhält“, ärgert sich Thomas Widmann. Denn die Richtlinien der EU erlauben, dass Staaten in dieser Krisensituation Schutzausrüstung importieren dürfen, die vom CE-Zertifizierungsverfahren abweichen, so der Landesrat.
 
 
Thomas Widmann hat damit sicher Recht. Der absurde römische Amtsschimmel wiehert selbst in einer Zeit, in der es um Leben oder Tod geht. Eine etwas pragmatischere und praktischere Herangehensweise wäre in Sachen Schutzmasken auf jeden Fall sinnvoller.
Thomas Widmann hat damit sicher Recht. Der absurde römische Amtsschimmel wiehert selbst in einer Zeit, in der es um Leben oder Tod geht.
Gleichzeitig aber blendet man damit in Südtirol die andere Seite der Medaille aber bewusst aus.
Nämlich die Tatsache, dass sich der Südtiroler Sanitätsbetrieb gleich durch eine ganze Reihe von Aktionen selbst in dieses Schlamassel gebracht hat.
So etwa waren die Sanitätsspitze und die zuständigen Beamten nicht imstande, in drei Anläufen eine ordnungsgemäße Dokumentation zu den Schutzausrüstungen nach Rom zu schicken.
 

Google Translate

 
Am 26. März schickte der Sanitätsbetrieb das erste Ansuchen zur Zertifizierung der Schutzausrüstung zum INAIL nach Rom. Am 3. April kam die erste negative Antwort zurück.
Der Grund: Die Dokumentation sei völlig unzureichend und zum Teil nicht übersetzt.
Deshalb schickte der Sanitätsbetrieb am 8. April ein neues Ansuchen nach Rom. Diesmal sollte das ganze besser dokumentiert sein. Einen Tag später, am 9. April, mailte der für den Einkauf zuständige Amtsdirektor weitere Dokumente nach Rom.
Aber auch diesmal war man anscheinend nicht in der Lage, eine ordentliche Dokumentation für das gesamtstaatliche Versicherungsinstitut für Arbeitsunfälle zusammenzustellen. Das geht aus dem offiziellen Prüfbericht hervor. Dort steht, dass der Sanitätsbetrieb mit Ausnahme eines Fotos keinerlei Bilder der Schutzkleidung übermittelt hat. Eigentlich eine der Grundvoraussetzungen für die Zertifizierung.
 
 
Auch Heiner Oberrauch spricht am Mittwoch in einem langen Interview mit der Tageszeitung indirekt über die Güte der Ansuchen aus dem Sanitätsbetrieb.
Der Chef der Oberalp wörtlich:
 
„In der Eile des Gefechts hat der Sanitätsbetrieb dem INAIL eine Dokumentation übermittelt, die teilweise mit dem Google Translator übersetzt worden ist. Daher wurde die Dokumentation als unvollständig angesehen.“
 
Allein das dürfte zeigen, mit welchem Ernst man in der Sanitätsdirektion an die Zertifizierung herangegangen ist.
In Wirklichkeit ist es nämlich  auch hier wiederum Heiner Oberrauchs Oberalp, die für den Sanitätsbetrieb im allerletzten Moment einspringen und versuchen muss, in der vergangenen Woche die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Am 16. April gibt das technische Komitee der INAIL ein negatives Gutachten zu den Schutzausrüstungen ab. Fast über Nacht stellt das Unternehmen Oberalp für den Sanitätsbetrieb eine formal perfekte, detaillierte und übersetzte Dokumentation der Schutzgüter zusammen. Diese Dokumentation wird einen Tag später, am vergangenen Freitag, mit einen neuen Ansuchen vom Sanitätsbetrieb an das INAIL übermittelt.
Dreieinhalb Wochen nach dem ersten Ansuchen.
 

Südtiroler Sanierung

 
Weil der Auslieferungsstopp aber objektiv zu einer schwierigen und auch gefährlichen Situation geführt hat, leitet man gleichzeitig einen Plan B ein.
Es ist der Versuch einer hausgemachten Sanierung des Schutzmaterials.
 
 
Generaldirektor Florian Zerzer berichtet am Dienstag auf der Sitzung der Covid-19-Taskforce:
 
„Auf Vorschlag des Südtiroler Sanitätsbetriebes ist vorgesehen, dass die Landesregierung bereits heute eine Kommission ernennt, die kurzfristig eine Materialprüfung insbesondere der Schutzanzüge durchführt. Gleichzeitig wird zusammen mit dem italienischen Zivilschutz ein akkreditiertes Labor in Italien gesucht, das ebenfalls eine Materialprüfung der verschiedenen gelieferten PSA’s vornimmt. Leider gibt es praktisch überall lange Wartezeiten.“
 
Am Dienstag erlässt Landeshauptmann Arno Kompatscher dann die „Dringlichkeitsmaßnahme bei Gefahr in Verzug Nr. 22/2020“. In diesem Dekret verordnet der Landeshauptmann in seiner Funktion als „Sonderbeauftragter des COVID-19 Notstandes“:
 
  •  die Aussetzung der Verteilung des oben genannten, aus China stammenden und vom INAIL für nicht konform befundenen Materials zu bestätigen;
  • die Aussetzung aufrechtzuerhalten, bis ein vom Südtiroler Sanitätsbetrieb eingesetztes Expertengremium (mit Fachkenntnissen in den Bereichen Infektionskrankheiten und Arbeitssicherheit) das Material bewertet und jedenfalls für brauchbar befunden hat, solange kein zertifiziertes Material verfügbar ist, oder bis ein akkreditiertes Institut das aus China stammende Material für geeignet erklärt hat. Die Bewertung der Expertenkommission stellt keine offizielle Zertifizierung dar.
Die Suche nach den Experten dürfte damit begonnen haben.
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Profil für Benutzer Andreas Mozzelin
Andreas Mozzelin Mi., 22.04.2020 - 20:40

Dieser Artikel und das ausführliche, sachliche Interview mit Herrn Heiner Oberrauch in der Tageszeitung vermitteln wieder das Bild einer seriös agierenden Firma. Hoffentlich ziehen Zerzer und Widmann nach, denn die pauschalen, unbegründeten Schuldzuweisungen sind für eine Sanitätsverwaltung und einen Landesrat nicht annehmbar, selbstdiskreditierend und ermüdend.

Mi., 22.04.2020 - 20:40 Permalink