Umwelt | Risiko Natur

„Lawinen? Das will doch niemand hören“

Wenn die Werbung Lust auf Abenteuer macht und dabei die Natur vergisst, werden Bergführer grantig. So wie Markus Hölzl, vom Landesverband der Südtiroler Bergrettung.

Weicher, sanfter Pulverschnee. Wir fahren ein, herrlich. Es ist Winter und die Natur zu allem bereit. Werbung suggeriert, Werbung macht hungrig und Werbung weckt die Lust.

„Neulich saß ich in einem Bergfilmfestival in Deutschland, der Saal gerammelt voll. Dann die Bilder von Free Ridern, die ins Gelände einfahren. Alles macht Spaß, alles ist ganz einfach. Da hab ich mir schon gedacht: 'Liebe Firma Mammut: Ihr verkauft Lawinensuchgeräte und zeigt gleichzeitig solche Bilder? Wie viele Menschen, die diese Bilder sehen werden sich denken: Geil, mach ich das nächste mal auch.“ Damit nicht genug. Die Firma ABS wirbt mit Airbages, die simpel umgeschnallt, Lawinen zu einer kalkulierbaren Gefahr machen. Spielfeld Natur.

Werbung verführt
Markus Hölzl
ist seit 21 Jahren bei der Bergrettung in Südtirol. Statistiken über die Einsätze kennt er in und auswendig, Vergleiche zu ziehen fällt ihm nicht schwer. Kritisch zu sein auch nicht. Vergleich 1:
„Natürlich haben die Einsätze zugenommen. Aber gab es denn früher Mountainbikes, Paraglider?“ Und gab es früher diese Werbung? Red Bull etwa suggeriert schneller, besser, höher, verrückter. „Die pushen die ganze Abenteuergeschichte extrem auf, heizen die Jugendlichen an“, sagt auch der Pusterer Bergfüher Markus Neumair. „Und dann wundert man sich wenn das die Jugendlichen nachmachen.“

Ist Red Bull für die immer gefährlicheren Stunts verantwortlich? Oder ist es die unersättliche Neugier der Zuschauer? Man kann einerseits sagen: Böses Red Bull. Aber die machen das ja nicht ohne Grund. Wenn ein Anbieter von so einem Spektakel - wie Red Bull hier - auf keine Nachfrage am Markt stoßen würde, dann würde Red Bull das auch nicht machen", so Sportökonom Christoph Breuer.

Verrückte Haudegen gab es wohl schon immer. Kernige, echte Typen halt, die den Kitzel brauchen. Will man da nicht dazugehören? „Wo wir überall runtergefetzt sind“ sagt Hölzl und Neumair stimmt zu: „Wir waren ganz schön verrückt.“  1.100 mal sind die Retter 2013 ausgerückt, Hölzl erklärt: „Die Hot Spots sind nicht in der unberührten Natur, da kommen nur die hinauf, die wirklich das Können und die Erfahrung haben. In der Nähe von Seilbahnen - dort passieren die meisten Unfälle.“ Dass Aufstiegsanlagen „tausende von Menschen täglich ausspucken“, das müsse man endlich zur Kenntnis nehmen. „Jeder kann in eine Gondel steigen und auf den Berg fahren. Plötzlich ist er dann in einem alpinen Gebiet, und kennt sich da absolut nicht aus. Was dort oft abgeht...“

„Jeder kann in eine Gondel steigen und auf den Berg fahren. Plötzlich ist er dann in einem alpinen Gebiet, und kennt sich da absolut nicht aus. Was dort oft abgeht...“

Der gnädige Berg
Doch ohne Makel wollen sich die Skigebiete präsentieren. Fortschrittlich, trendig, spaßig und natürlich sicher treten sie auf. Das Geschäft der Skigebiete ist gleichzeitig ihr ärgster Feind: die Natur. „Wenn ich mit meiner Familie zum Skifahren gehe, da will ich es doch einfach nur fein haben. Von Gefahren will ich nichts hören, von Lawinen schon gar nicht“, führt Hölzl aus, „ja der Speikboden hat natürlich auch keine Freude, dass diese Lawine abgegangen ist. Das macht sich nicht gut.“
Ist das nicht Teil des Deals? In die Natur einbauen, in der Natur arbeiten, und dann? „In Österreich geht die mediale Berichterstattung mittlerweile schon so weit, dass nicht gesagt werden darf in St. Anton ist eine Lawine abgegangen. Nein, es muss heißen im Arlberggebiet", weiß der Bergretter. Über solche Spitzfindigkeiten kann er nur müde lächeln, „Kaprun-Kitzsteinhorn nennt sich mittlerweile Dachsteinregion, zu viele Menschen verbinden mit Kaprun ein schreckliches Kapitel.“ Marke ändern, doch Natur, bleibt Natur.

Vergisst der Menschen in seinem Freizeittreiben auf den wichtigsten Partner – die Natur? Hölzl führt Vergleich zwei aufs Tapet: „Gemessen an dem wie viele Menschen Skifahren, auf den Berg gehen oder rodeln passiert eigentlich wenig. Wir müssen das wirklich sehen: Der Berg ist gnädig.“

Dass Red Bull aggressiv gegen kritische Kommentare vor geht, das sagt Hölzl hinter vorgehaltener Hand. Red Bull Teilnehmer und auch Familienangehörige müssen sich zu absolutem Stillschweigen verpflichten, wenn „etwas daneben geht". "Die ganzen Basejumper, die ins Gelände springen, von denen putzt es jedes Jahr welche. Drei bis vier Tote sind immer darunter“, bemerkt Hölzl verärgert. Berichtet wird darüber nicht. Verboten.

Journalist Helmar Büchel geht in seiner Fernsehreportage "Die dunkle Seite von Red Bull" für die ARD nach. Er skizziert den Tod von sechs Extremsportlern, von denen fünf bei Red Bull unterschrieben hatten. Den ganzen Beitrag lesen Sie hier.

Abenteuerlust kontra Sensibilisierungsstrategien? Seit drei Jahren setzt die Bergrettung Südtirol unter anderem auf sanfte Prävention. Das Projekt nennt sich Notfall Lawine. „Wir gehen raus in die Dörfer, völlig ohne Publicity, das geht alles über Mundpropaganda. Sprechen mit den Leuten vor Ort, zeigen ihnen Bilder, sprechen über Risiken und wie man diese minimieren kann.“ Das ist die Theorie und dann gibt es eine Praxistag, „da machen wir dann zusammen eine Skitour, schauen in der Praxis worauf wirklich Acht gegeben werden muss.“ Prävention auch in den Skigebieten mit dieser Art von sanfter "Propaganda"? "Die Skigebiete sind froh, wenn wir das Thema Lawine nicht ansprechen. Das will doch niemand hören."

Ein Airbag allein reicht nicht, sagt Hölzl. Er will das Bewusstsein schärfen. Dass Lawinen dazugehören. Zum Winter, zur Natur. Unweigerlich. Dass sie gefährlich sind. Immer.

 

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P & A Mi., 15.01.2014 - 15:18

Endlich wird mal die wahre Seite von Redbull beleuchtet!
Trotzdem gilt es nicht zu vergessen, dass auch von Seiten vieler Athleten Red Bull als eine Art Dream-Enabler gesehen wird. Und de facto ist es auch oft so, dass viele Athleten aufgrund von beschränkten Mitteln und beschränkter Zeit sich nicht so verwirklichen können wie sie es gerne tun würden. Trotzdem sollten sie die "riskanten" Dinge auch mit Sponsorvertrag nur machen, wenn sie sie ach für sich selbst - ohne Sponsorenvertrag und anwesendem Filmteam - machen würden. So gesehen darf man Red-Bull nicht die alleinige Schuld an den 6 Todesfällen zuschieben. Jeder Mensch, auch ein Athlet trifft seine eigenen Entscheidungen und muss dafür die Verantwortung tragen. Aber durch die Redbullpropaganda wird das Extreme wie ein Spiel auf dem riesigen Spielplatz Erde verglimpflicht medial vorgeführt. Der Wert des Extremen und des Risikos enorm Gedrückt, das allgemeine Level extrem gepusht. Wer sich im Extremsportbereich proffessinoalisieren will, muss sich extrem in Szene setzen und vermarkten, er muss dafür meist Opfer in Richtung noch größeres Risiko bringen. Alle Leistungen die nicht fürs Redbullevel reichen, werden extrem entwertet und relativiert. So gesehen ist RedBull für den Extremsport und dessen Sponsoring globaler betrachtet mehr ein Dream-Disabler als ein supporter. Wäre interessant zu wissen wie es bei Red-Bull hinter den Kulissen läuft, bei einem Unternehmen das scheinbar soo viel zu verbergen hat... Was versprechen sie den Athleten, was verlangen sie von ihnen? Wie binden sie die Athleten? Was wissen die Mitarbeiter?
Wieder mal ein gutes Beispiel wie alles in den Dreck gezogen wird sobald versucht wird daraus Profit zu schlagen. Warum sollte es im Extremsport anders zugehen wie in der Glühbirnen- oder Farmaindustrie?

Mi., 15.01.2014 - 15:18 Permalink