Gesellschaft | Sterbehillfe

Hilfe, wenn nichts mehr hilft

Das Referendum für die Legalisierung aktiver Sterbehilfe hat bereits 750.000 Unterschriften beisammen. Ein Aufruf von Mina Schett Welby zum Weitermachen.
Welby, Mina
Foto: vanityfair.it
Ein Erfolg jenseits aller Erwartungen: Das Referendum für die Straffreiheit von Sterbehilfe innerhalb bestimmter Grenzen wird stattfinden. Die erforderlichen 500.000 beglaubigten Unterschriften sind erreicht. Mehr noch: Zusammen mit den On-line-Unterschriften ist bereits die 750.000-Marke übertroffen. Und die Frist, innerhalb derer in ganz Italien unterschrieben werden kann, läuft erst am 30. September ab. Und bis dahin werden die Initiatoren des Vereins „Luca Coscioni“ (benannt nach dem Politiker, der 2006 an Multiple Sklerose gestorben ist und vorher jahrelang um das Recht auf aktive Sterbehilfe gekämpft hat) weiter Unterschriften sammeln. Schon der außerordentliche Erfolg der Unterschriftensammlung kann als Beweis gewertet werden, wie gefühlt das Anliegen bei den Menschen ist.
 
Mit dem Erfolg der Initiative wachen freilich auch deren Gegner auf. Sie beschuldigen uns der Eugenik, was eine Umschreibung der schrecklichen, menschenverachtenden Rassenpolitik der Nazis ist.  Wir führen keinen Krieg gegen Gläubige, und ich möchte Kardinal Paglia und der Italienischen Bischofskonferenz versichern, dass niemand von uns mit der Tötung alter oder schwerkranker Menschen wirtschaftliche Interessen verfolgt. Was wir wollen ist einzig: den Artikel 579 des Strafgesetzbuches abzuschaffen, der er es verbietet, dass Menschen beim Sterben geholfen wird, wenn sie das aus freien Stücken wollen, nicht minderjährig, nicht psychisch krank sind und nicht unter Drogeneinfluss stehen. Nur das wollen wir mit dem Referendum erreichen. Wir wollen nicht länger, dass Sterbehilfe heimlich, „schwarz“ und gegen Bezahlung erfolgt, so wie das leider seit je geschieht.
Mit dem Erfolg der Initiative wachen freilich auch deren Gegner auf.
Der freiwillige Tod muss gesetzlich geregelt werden. Nur so ist er für alle möglich, die ihn brauchen. Wer weiß von den tausend Selbstmorden im Jahr wegen schwerer Krankheiten? Ist es nicht eine große Ungerechtigkeit, den gewünschten Tod im Ausland kaufen zu können? Was ist mit jenen, die das Geld dafür nicht aufbringen? Das Recht auf menschenwürdiges Sterben darf nicht länger eine Frage des Geldes bleiben. Ich bitte inständig, denken wir ans Schicksal der Menschen, die jahrelang leiden und irgendwann an eine Grenze stoßen, an der sie bitten, dass ihnen ihr Leiden beendet wird.
 
 
 
Das Gesetz 219 von 2017 ermöglicht es jeder Bürgerin und jedem Bürger, eine medizinische Behandlung zu verweigern, auch wenn die Folge der Tod ist. Gleiches sieht auch der Katechismus der katholischen Kirche vor. Ja, wir haben Palliativpflege gesetzlich vorgeschrieben, es mangelt aber dramatisch an Ärzten und Fürsorgekräften. Alle kranken Menschen haben ein Recht darauf. Ein Recht, das aus Mangel an Personal und Strukturen, durch Misswirtschaft und unsoziale Politik vielen vorenthalten bleibt. 
Das Recht auf menschenwürdiges Sterben darf nicht länger eine Frage des Geldes bleiben. I
Ich habe 2003 einem Seminar beigewohnt, das Südtirols Ethikkommission zur „Versorgung und Begleitung von Kranken bis ans Lebensende“ veranstaltet hat. Es war zur Zeit des schrecklichen Leidens meines Gemahls Piergiorgio Welby. Bereits 2002 hatte er die Nationale Bioethikkommission gebeten, das Parlament möge ein Gesetz zumindest über die Patientenverfügung beschließen. Auf ein solches Gesetz warteten verzweifelt all jene, die nicht mehr in der Lage sind, sich gegen unerwünschte Behandlungen zu wehren, und mit nutzloser Versorgung auch ihre Angehörigen in  ihr unerträgliches Leid einbezogen, wie im staatsweit bekannten Fall von Eluana Englaro geschehen. Ich war damals begeistert und stolz, dass meine Heimat Südtirol einen ersten Schritt getan hatte, um einem bis zum ende betreuten Leben und Sterben Wert und Würde zu schenken.  
Seine sich verschlimmernde  Krankheit veranlasste meinen Ehemann Piergiorgio im Jahr 2006 das italienische Parlament und Staatspräsident Giorgio Napolitano um ein Gesetz für Sterbehilfe, einen frei gewählten Tod, zu bitten. Piergiorgio starb dann im Dezember jenes Jahres. Warum aber erzähle ich euch das alles? Ganz einfach, weil ich zu den jungen Menschen gehöre, die als Schüerlinnen in den 1950er und -60er Jahren von Lehrern, geprägt vom Krieg, gelernt haben, Europa als zukünftiges Haus der Völker zu betrachten, die sich wohl in ihren Sprachen unterscheiden, aber deren Streben sie in gemeinsamer Heimat vereint.
 
 
 
Eine gemeinsame Heimat hat gemeinsame Regeln. In diesem Geist schloss mein Mann Piergiorgio Welby seinen Brief an den Staatspräsidenten mit den Worten: „Mein Traum, mein Testament, meine Bitte, die ich allerorts stellen möchte, ist mir heute klarer denn je und lautet: Sterbehilfe bekommen. Ich möchte, dass italienischen Staatsbürgern die Möglichkeit gewährt wird, wie sie Schweizer, Belgier und Niederländer haben.“
Von den vielen Tagungen, zu denen ich seit Jahren italienweit eingeladen werde, bleibt mir jene in meinem Innichen von 2008 besonders eingeprägt. 
Von den vielen Tagungen, zu denen ich seit Jahren italienweit eingeladen werde, bleibt mir jene in meinem Innichen von 2008 besonders eingeprägt. Ich sprach dort zusammen mit Professor Karl Golser, dem späteren Bischof von Bozen-Brixen, vor einem großen Publikum über die Behandlung von Sterbenskranken und würdevolles Lebensende. Es gab Wortmeldungen aus dem Publikum, ohne Scheu und Lügen, so wie bodenständige Menschen es eben können.
Wie ist es nun heute? Das Parlament hat sich bisher taub gestellt gegenüber einer klaren Forderung des Verfassungsgerichts. Dieses hat mit dem sogenannten Cappato-Urteil (242 von 2019) verfügt, dass einem Menschen das Recht auf den Tod verschafft werden muss, wenn dieser im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten es wünscht und aufgrund von schwerem körperlichen oder psychischen Leiden infolge einer unheilbaren Krankheit dazu Hilfe braucht. Aus diesem Grundhat der Verein „Luca Coscioni“ den Weg des Referendums eingeschlagen, das weiterhin bei allen Gemeindeämtern sowie online unterschrieben werden kann. Ein Gesetz ist kein Zwang. Es regelt Verhaltensweisen des Menschen, die rechtlich und moralisch vertretbar sind. Ich habe dafür unterschrieben und lade Sie ein, es auch zu tun. Digital ist es am einfachsten über den Link https://referendum.eutansialegale.it/firma-digitale/ .
Herzlichen Dank im Namen derer, die ein solches Gesetz brauchen, jetzt und in Zukunft.
 
* Wilhelmine Schett, 1937 in Innichen geboren, Lehrerin, heiratet den Künstler Piergiorgio Welby, der 2006 stirbt. Mit ihm und nach seinem Tod wird Mina Welby, als die sie seither italienweit bekannt ist, zur Gallionsfigur der Bewegung für die Legalisierung aktiver Sterbehilfe in Italien.

 

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Salto User
Günther Alois … Mo., 30.08.2021 - 06:59

Der Vatikan ,die Kirche und die Bischofskonferenz sollen sich da raushalten,haben schon Unheil genug in unserer Welt angerichtet!!!!
Klärt lieber die Missbrauchsfälle endlich auf,was passiert ausser VERTUSCHUNG-nichts!!!

Mo., 30.08.2021 - 06:59 Permalink
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Profil für Benutzer Georg Mair
Georg Mair Di., 31.08.2021 - 09:55

der Link funktioniert nicht !
Ansonsten: wer sich das System in der Schweiz genauer anschaut, merkt, dass es nicht perfekt ist. Dennoch ist es für viele ein Rettungsanker. Der Verein "Exit" hat ca. 130.000 (lebende und gesunde) Mitglieder. Mich hat die Aussage eines gesunden Promis, der später freiwillig mit Exit aus dem Leben geschieden ist, beeindruckt: "Auf die letzten zwei Monate meines Lebens kann ich verzichten!".
Wenn 2 oder 3 Ärzte unabhängig von einander mir eine unheilbare Krankheit attestieren, dann soll ich das Recht haben, den Zeitpunkt meines Todes selbst zu bestimmen!
Die richtige Frage lautet: Verlängere ich das Leben oder verlängere ich das Sterben?

Di., 31.08.2021 - 09:55 Permalink