Politik | Urbanistik

Stadtplanung und Investoren

Interview mit David Chipperfield in der Süddeutschen Zeitung, Magazin 39, Oktober 2015, mit wesentlichen Aussagen über Stadtplanung und Investoren
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Interview mit David Chipperfield in der Süddeutschen Zeitung, Magazin 39, Oktober 2015

Auszüge aus: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43626/Ein-Gebaeude-zu-entwerfen-ist-kinderleicht

Kann uns gute Architektur zu besseren Menschen machen?
Jedes Gebäude suggeriert uns, eine ganz bestimmte Sorte Mensch zu sein. Gelungene Architektur bringt das Beste in uns zum Vorschein: Offenheit, Großzügigkeit, Sanftmut, Ruhe, Harmonie, Freundlichkeit. Umgekehrt kann ein Raum einen Kriechstrom aus Einsamkeit und Sinnlosigkeit in uns erzeugen.

In Ihrer Geburtsstadt London werden in den nächsten Jahren rund 250 neue Hochhäuser entstehen. Gibt es jemanden, der sich um das ästhetische Gesamtbild kümmert?

Nein. Thatcher hat die Stadtplanung zerschlagen. Sie verteufelte es als staatlichen Dirigismus, dass eine Behörde Einfluss auf das Gesicht einer Stadt nimmt. Es gibt deshalb niemanden mehr, der fragt, welchen Nutzen diese Flut neuer Hochhäuser haben soll. Der neue Götze heißt Investition. Investoren scheren sich aber einen Dreck um die Pläne eines Architekten. Er wird zum Komplizen des Kapitals. Es gibt in London Tonnen von Geld, das sich in den Boden bohren will wie ein gefräßiger Wurm, und zeigen Sie mir den Politiker, der den Mut hat zu sagen: Lieber Investor, wir wollen deine vielen Millionen nicht, weil dein Gebäudekomplex so trostlos hässlich ist, dass man lebensmüde wird. Berlin (Bozen*) ist dabei, eine Art Shanghai zu werden.

Was verstehen Sie darunter?

Ein Gebäude ist zynisch, wenn der Architekt seinen ästhetischen Ehrgeiz und die Liebe zu seinem Beruf aufgegeben hat und nur noch an die Profitmaximierung seines Auftraggebers denkt. Nicht schlechter Geschmack ruiniert die Welt, sondern Architekten, die vergessen haben, dass sie als Berufsanfänger die Welt zu einem besseren Ort machen wollten. Ein Gebäude zu entwerfen ist kinderleicht und kostet nicht viel Zeit, eigentlich kann das jeder. Die Herausforderung beginnt, wenn Sie an die Menschen denken, die in diesem Gebäude leben sollen.

Was, wenn Bauinvestoren Berlin (Bozen *) entdecken? Investoren üben Druck auf Politiker aus, mit dem Ziel, die Stadtplaner zu entmachten. Ich hoffe, die Berliner (auch Bozner?*) Politiker werden die Nerven behalten. Paris ist ein interessantes Beispiel, denn dort haben die Politiker die Nerven behalten. Jeder Bauinvestor wird Ihnen sagen, dass Paris der schlimmste Alptraum auf dem Planeten ist. Aus diesem Grund ist Paris immer noch wunderschön. Das Paradoxe ist, dass die Pariser nach London schauen und sagen: Oh Gott, was für eine fantastische Stadt, so viel Energie, so viel Geld, wir wollen das auch! 


Ludwig XIV. brauchte bloß mit der Hand zu winken, um Gebäude wie Legosteine zu verrücken. Bedauern Architekten insgeheim, dass die Tage des Absolutismus vorbei sind?

Es geht nicht darum, Autokraten wie Ludwig XIV. aus dem Grab zu zerren. Die Tragödie ist, dass London gerade zum weltweiten Modellfall wird. Es gibt niemanden, der sagt: Stopp, Leute, bevor wir diese vielen Millionen verbauen, sollten wir ein paar Stunden darüber diskutieren, wo diese Gebäude entstehen sollen und welche soziale Funktion sie erfüllen müssen! Ich bin kein Feind des Kapitalismus, der die Abschaffung des freien Marktes will, aber der Markt muss sich staatliche Interventionen gefallen lassen. Nur, wo ist in Berlin (Bozen*) die Hand, die hochgeht und das Stoppzeichen gibt? 

Was meinen Sie mit Einbürgerung?

Es gibt bei Architekten zwei Mentalitäten. Die einen wollen ein Spektakel schaffen und entwerfen einen Solitär, der so fremd in der Umgebung steht wie ein Raumschiff, das gerade gelandet ist. Die anderen wollen ihren Bau auf so selbstverständliche Weise mit der Umgebung verschmelzen, dass er fast unsichtbar wird. Ich mag keine Architektur, die für Tagestouristen entworfen wird, die mit Fotos exzentrischer Bauwerke nach Hause kommen wollen.

*) Anm. Unsere Stadt