Cultura | Salto Afternoon

Rund- und Spitzköpfe

Ein Textbeitrag von Elga Reiter zur Hausbesetzung für ein Kulturzentrum 1979 in Bozen und einer legendären Theateraufführung im Jänner 1980.
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Foto: Cristallo

SCHATTEN der ERINNERUNG

Rund, spitz oder auch anders geartete Köpfe? Was soll das? Eigentlich geht es um Macht, einmal Besatzungsmacht, einmal um sprachliche Unterwerfung und zum anderen? Hat man/frau die Wahl? Ein Spiel von Macht : Ohnmacht.
Das aufgelassene staatliche Monopolgebäude in Bozen wurde von verschiedensprachigen Jugendlichen und kulturell interessierten Bürgern und Bürgerinnen besetzt. Ein gemeinsames Kulturzentrum sollte entstehen und das Gebäude war noch da. Das Südtiroler Kulturzentrum gab es bereits mit vielen Aktiven und in den verschiedenen Städten, Lesungen, Theater, Filmreihen, Diskussionen wurden organisiert und durchgeführt und besonders wollte man/frau den noch als verschieden betrachteten Sprachen und Kulturen gerecht werden, gemeinsam.
Tandem das Radio gab es, Tandem die Zeitschrift, das Theater in der Klemme und eine neue Partei, die Neue Linke. Allen war das GEMEINSAME wichtig, ja jede einzelne Sprache, jeder Kultur wollte man/frau sich nähern, in deren Spannbreite, und dem Neuen dem bereits „Gemischten“, „Vermischten“, > Multikulti - wie man heute gerne sagt.


Eine große Aufgabe noch dazu zu einer Zeit als sich schmerzvolles jährte und das sogenannte Südtirol Paket zum Abschluss gelangte, dem ein Etwas inne war das gar nicht mehr der Zeit entsprach. Nämlich die Dreiteilung, die Sprachenzugehörigkeitserklärung. Da wollte man/frau etwas tun, etwas erreichen, ok der Proporz hatte seine Berechtigung, doch was mit denen die sich nicht einer Sprache, einer Kultur allein zugehörig, nicht vertreten fühlen? Es ist ja wirklich schwierig, jeder/jede lernt zwei Sprachen, mehrere Kulturen kennen, ist gar dreien verpflichtet? Was könnte da eine Lösung ein eventueller Kompromiss sein? Eine vierte Abgrenzung, Spaltung? Nein, nicht wirklich.
Nicht nur in den verschiedenen Orten wurde diskutiert, informiert, soll es ähnlich anmutende Entscheidungen geben wie 1939? -  von Option 1981 war jetzt die Rede und wer wohl die Oberhand gewinne? Man war taub für unsere Argumente diesen Abschluss noch Mal zu überdenken, oder gar zu verhindern.
Im besetzten Monopolgebäude gab es viele Workshops und auch immer mehr Interessierte, Unterstützung, doch die Obrigkeit ließ nichts zu. Eines Morgens war ausgeträumt, Baumaschinenlärm durchfuhr das Gelände und die Glieder der Anwesenden. In wenigen Momenten war Alles niedergerammt, die Hoffnung der jungen Leute auch. 


Ein Parkplatz war vorgesehen…

Dennoch kam das Ganze nicht zum Schweigen, es wurde weiter agiert, aufgeführt, um Zwei- und Dreisprachiges gerungen und demonstriert.
Ein Theaterstück, sollte mehr Leute erreichen. Es wurden Interviews mit 1939 Betroffenen, heute würde man Zeitzeugen sagen, geführt. Diese aufgezeichnet, ausgewertet, Lieder geschrieben, Vergleiche gezogen, doch die Zeit war knapp. Später werden diese Recherchen an Felix Mitterer weitergegeben werden und daraus der Film „Verkaufte Heimat“ von Karin Brandauer entstehen.
Die Zeit drängte also wurde auf Bertolt Brecht zurückgegriffen, ein Stück das gerade wieder entdeckt worden war: „ Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ –  Brecht erarbeitete in den Jahren 1932/33 bzw. 1938 zwei Fassungen des Parabelstücks von den »Rundköpfen und den Spitzköpfen«, das er selbst als »Greuelmärchen« betitelte. Es spiegelt Aufstieg, Herrschaft und Machtmechanismen von Diktaturen im Allgemeinen und des Hitlerregimes im Besonderen aus Sicht dieser Jahre.  – Ein renommierter Theatermann, Regisseur aus Wien – Götz Fritsch – wurde hierfür vom Südtiroler Kulturzentrum engagiert. Das Stück wurde adaptiert, auch sprachlich, entgegen dem Willen der damaligen Brecht-Gesellschaft, da diese auf die Originalsprache Wert legte. Rollen wurden teilweise doppelt besetzt, verschiedensprachige Schauspieler/Schauspielerinnen aus allen Orten des Landes waren beteiligt und es kam zur Aufführung. Teils als Diskussionsgrundlage akzeptiert, teils scharf kritisiert. Es handelt schließlich von Maßnahmen zur vermeintlichen Beseitigung sozialer Ungleichheit, Verfolgung, kleinbürgerlichen Gefilden, Absprachen, Tätern : Opfern.
Hut ab! Kopf-Kontrolle!  Heißt es am Schauspiel Essen – auf Seite 27 des Programmheftes der Spielzeit 2019/2020. „ Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und Reich gesellt sich gern – ein Greuelmärchen von Bertolt Brecht, Musik von Hanns Eisler“ Das Stück ist wieder aktuell  …

Und wie steht es bei uns?
Die Sprachzugehörigkeitserklärung wurde durchgesetzt für: DREI, und mit dieser die offizielle „Doppelsprachigkeitsprüfung“, immer und immer wieder fragte ich mich ob es nicht wichtiger sei mit Liebe im Kindergarten zu kochen als mit Karotten in zwei Sprachen sprechen zu können, und dies auf einem zertifizierten Niveau.
Alle zehn Jahre kann man die einmal erklärte Zugehörigkeit ändern, häufig wird unbedacht erklärt oder wie es gerade als nützlich erscheint doch: was wenn man keine der DREI wählen kann? Ja, dann halt nicht, einiges an Chancen, Reichtum des Landes wird/ist dadurch nicht zugänglich. – Über Nichterklärte wird allgemein geschwiegen. Ein Tabu?
Worum ging es damals? Um das Gemeinsame und um die Freiheit sich innerhalb dieser Kulturen zu bewegen, dass jeder/jede das was in ihm/ihr ist entwickeln kann und leben, in Respekt und Achtsamkeit, jedem, jeder, allem gegenüber.
Dieses Recht wurde verwehrt – einteilen war wichtig, Rundköpfe und Spitzköpfe, doch auch das stimmte schon nicht mehr, es waren keine zwei Nationen im Konflikt, es war Anderes entstanden, nichts plakativ klares mehr, viele Nuancen und Schattierungen, vieles hat sich gewandelt. Eindrucksvoll, am Bozner Bahnhof der Fahrkartenautomat – selbst arabisch kann genutzt werden, und …

 

…heute steht am Ort des früheren Monopolgeländes ein Museum, ein kultureller Ort.                         
…kein Parkplatz mehr wie Damals.