Politica | Politische Intrigen

Die drohende Regierungskrise

Eine verlorene Abstimmung im Verfassungsausschuss des Senats könnte eine unerwartete Regierungskrise auslösen. Die Hintergründe des politischen Debakels.
Senat
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Die gelbe Karte für Matteo Renzi kam völlig unerwartet und an einem überraschenden Schauplatz: im Verfassungsausschuss des Senats. Dort wurde – vier Monate nach dem Rücktritt der Präsidentin Anna Finocchiaro – endlich deren Nachfolger bestellt. Dabei sorgten am Mittwochabend sechs franchi tiratori für eine handfeste Überraschung. Die Wahl fiel nicht auf den offiziellen PD-Kandidaten Giorgio Pagliari, sondern auf Salvatore Torrisi von Alfanos Partei, die neuerdings den Namen Alternativa popolare trägt. Torrisi hatte Finocchiaro seit ihrer Ernennung zur Ministerin vertreten und sich dabei auch bei der Opposition Anerkennung erworben. 

Doch die Wahl gilt als kräftiger Schuss vor den Bug für einen, der dem Senat gar nicht angehört: Matteo Renzi. Für Torrisi stimmten auch die Senatoren der Fünf-Sterne-Bewegung und die zwei Vertreter aus Bersanis vom PD abgespaltener Linksspartei Democratici e progressisti. Doch nach Spekulationen hat der Sizilianer auch Stimmen aus dem Renzi-feindlichen PD-Lager und aus jenem der Verbündeten erhalten. Was Senatspräsident Piero Grasso als "Sturm im Wasserglas" bezeichnet, stellt für den PD einen Bruch der Koalition dar: "Un vulnus gravissimo ed una violazione del patto di lealtá tra alleati di governo". 

Ein ideales Spielfeld für Verschwörungstheorien. "E'stato un blitz a tavolino", erregt sich Renzi. "E' un fatto enorme". Die missglückte Abstimmung im Senat könnte sich zum politischen Flächenbrand entwickeln und eine Regierungskrise heraufbeschwören.

Torrisi bietet seinen Rücktritt an: "Trovate una soluzione condivisa e mi dimetto".  Doch bei Wiederholung der geheimen Wahl könnte sich dasselbe Debakel ergeben. Eine Regierungskrise wäre dann kaum vermeidbar. Die Vorgänge im Senat werfen ein Schlaglicht auf den von Grabenkämpfen und Intrigen geplagten Partito Democratico.  Zwar hat Renzi bei den parteiinternen Vorwahlen mit fast 70 Prozent deutlich gesiegt, doch die Misstöne waren unüberhörbar – vor allem die massiven Attacken und verbalen Entgleisungen des apulischen Präsidenten Michele Emiliano gegen Renzi. Der PD bietet das Bild einer zerstrittenen Partei ohne Identität und ohne glaubwürdige Führungsmannschaft, in dem sich verfeindete Seilschaften gegenseitig bekriegen. 

Obwohl Matteo Renzi kein politisches Amt bekleidet, mischt er sich täglich massiv in die Regierungsarbeit ein und setzt vor allem Industrieminister Carlo Calenda und Finanzminister Pier Carlo Padoan unter Druck. Beide zeigen sich deutlich genervt und drohen mit Rücktritt. Renzi, der noch immer auf vorgezogene Neuwahlen im September hofft, wendet sich entschieden gegen "unpopuläre Maßnahmen" wie Padoans Privatsierungspaket  und die bereits beschlossene Katasterreform. Der Finanzminister hat auch eine Erhöhung der Steuern auf Benzin und Tabak nicht ausgeschlossen, um die Defizitvorgaben aus Büssel zu erfüllen – für Renzi inakzeptabel. Während Calenda bereits  von Berlusconi umworben wird, zeichnet sich zwischen Renzi und Padoan ein Kraftprobe ab, in der Premier Gentiloni, der alle Formen von Polittheater verabscheut, die gewohnte Vermittlerrolle spielt. Auch Staatspräsident Mattarella dürfte alles unternehmen, um eine Regierungskrise zu verhindern. Auch deshalb, weil Neuwahlen ohne vorherige Verabschiedung eines neuen Wahlrechts unsinnig wären. Dem Verfassungsauschuss des Senats kommt dabei strategische Bedeutung zu.

Renzi kommt offenbar mit seiner Rolle als Normalbürger schlecht zurecht. Am 30. April finden die öffentlichen Vorwahlen für den Parteivorsitz statt. Daran dürfen sich – eine typisch italienische Anomalie – alle Bürger beteiligen. Dass der Ex-Premier diese Wahl gewinnt, steht ausser Zweifel.  Er muss jedoch über 50 Prozent der Stimmen erreichen. Interessant dürfte dabei sein, wieviele Wähler gegen ihn stimmen – und aus welchen Parteien sie kommen.

Matteo Renzi scharrt indessen bereits ungeduldig in den Startlöchern. Wie auch immer – sein erhofftes Comeback ist nicht vergleichbar mit dem Siegeszug des rottamattore vor vier Jahren. Damals war der Bürgermeister von Florenz eine junge, unverbrauchte Erscheinung mit unkonventionellem Auftreten. Heute ist er durch seine deutliche Niederlage beim Referendum und seine missglückten Reformversuche angeschlagen. Dazu gehört etwa die Abschaffung der Lohngutscheine. Was nicht gelitten hat, ist seine Selbstgefälligkeit. Ob er damit Wahlen gewinnen kann, bleibt freilich zweifelhaft.