Politica | Urbanistikreform

„Die ganzheitliche Betrachtung zählt“

Der scheidende Chefurbanist des Landes Anton Aschbacher über das neue Gesetz, die Frage nach Vereinfachung, die Kritik aus seinem eigenen Haus und seine Pensionierung.
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Foto: LPA
 
salto.bz: Herr Aschbacher, endlich liegt das neue Landesgesetz für Raum und Landschaft vor. Ist es der große Wurf ?
 
Anton Aschbacher: An diesem Entwurf wird seit 2014 gearbeitet. Zunächst mit Leitlinien und Zielsetzungen, die formell beschlossen wurden und dann mit verschiedenen Entwürfen. Wir sind inzwischen beim vierten Entwurf des Textes angelangt. Ich glaube, dass wir eine schöne Arbeit gemacht haben.
 
Der Entwurf ist durchaus umstritten. Selbst in Ihrem Haus. Es gibt einige Fachkräfte, die anfänglich am Gesetz mitgearbeitet haben, sich aber vom Ergebnis jetzt distanzieren?
 
Diese Leseart verstehe ich wirklich nicht. Vor allem habe ich den Verdacht, dass sich diese Kritiker nicht auf den letzten Text beziehen. Wir haben den ersten Entwurf im September 2016 vorgelegt und allen Verbänden und Organisationen, sowie allen Abteilungen im Hause zugestellt. Sie sollten Stellungnahmen vorbringen. Es kam dann ein wirklich großes Paket an Stellungnahmen zurück. Wir haben versucht alle diese Stellungnahmen in einen neuen Text zu integrieren.
 
Daraus entstand die Version von März 2017...
 
Ganz genau. Bis Ende 2016 wurde in einer langen Serie von Informationsveranstaltungen, kleinen Gruppen und in vielen Gesprächen der Entwurf durchdebattiert. Es war eine große Arbeitsgruppe, die diesen Prozess begleitet hat. Daraus wurde der Text vom 16. März 2017. Auch diesen Vorschlag haben wir wiederum nach außen und nach innen verteilt. Mit der Bitte um Stellungnahmen. Auch hier gab es viele Rückmeldungen. Daraus wurde dann der Entwurf vom 28. Juli 2017. Seitdem haben wir diesen Entwurf laufend überarbeitet.
 
Eines der Hauptziele dieser Reform war eine Vereinfachung einer Materie, die außer ein paar Anwälten und Bauspekulanten fast niemand mehr versteht. Dieses Ansinnen scheint aber ordentlich in die Hose gegangen zu sein?
 
Bereits zu Prozessbeginn, in den Diskussionsrunden 2014 und auch bei der Genehmigung der Leitlinien durch die Landesregierung im Juli 2015 wurde klar festgestellt: Eine komplizierte und komplexe Materie kann man nicht einfach regeln, ohne dass man sehr vieles verliert. Und das wollte man auf keinen Fall. Aus bisher 134 Artikeln im Landesraumordnungesetz und 26 im Landschaftsschutzgesetz sind jetzt 104 geworden.
Eine komplizierte und komplexe Materie kann man nicht einfach regeln, ohne dass man sehr vieles verliert.
Ein Gesetz, das ein Bürger nicht verstehen kann, ist doch völliger Unsinn?
 
Das ist genau die Kritik am heutigen Raumordnungsgesetz. Dass der Bauwerber es nicht versteht, dass jeder über Anwälte einen Weg findet, sein Vorhaben umzusetzen und genauso einen Weg finden kann, ein Vorhaben zu verbieten. Hier sind wir bei dem Hauptgrund, warum man dieses neue Gesetz macht. Auch das Verwaltungsgericht hat in seinen Jahresberichten mehrmals darauf hingewiesen, dass es einer Generalrevision der geltenden Urbanistikgesetzgebung bedarf.
 
Und Sie glauben, dass man das mit diesem neuen Gesetz schafft?
 
Nochmals: Die Materie ist komplex. Sie wird ihre Komplexität nicht verlieren. Aber wir haben jetzt erstmals seit langer Zeit einen durchgängigen, organischen Gesetzestext. Aufgrund der schwierigen Materie und auch aufgrund der vielen unterschiedlichen Zielsetzungen ist es sehr schwer zu gewährleisten, dass nicht auch hier wiederum Widersprüche gefunden werden. Aber bin überzeugt, dass dieses Gesetz ein entscheidender Qualitätssprung ist.
 
Mit dem neuen Gesetz delegiert man einen Großteil der Entscheidungen und Kompetenzen an die Gemeinden. Ist das wirklich der richtige Weg?
 
Wenn die Landesverwaltung ihren Aufwand reduzieren will, dann muss sie qualifizierte Mitarbeiter im Territorium haben, die die Materie und ihre Umgebung kennen. Damit können sie Bewertungen vor Ort auch fachlich begründet abgeben. Dafür sind die Gemeinden zu unterstützen. Und das sieht das Gesetz auch vor.
Aufgrund der schwierigen Materie und auch aufgrund der vielen unterschiedlichen Zielsetzungen ist es sehr schwer zu gewährleisten, dass nicht auch hier wiederum Widersprüche gefunden werden.
Es lebe der kommunale Wildwuchs?
 
Natürlich erfordert diese Situation eine qualifizierte Unterstützung und Mitarbeit vonseiten der Landesverwaltung. Das Thema darf nicht in den rechtsfreien Raum abwandern. Auch weil die Bereiche Raumordnung und Landschaft sehr viele und auch starke wirtschaftliche Interessen nach sich ziehen.
 
Es gibt bereits über ein halbes Dutzend verschiedene Pläne. Mit dem Gemeindeentwicklungsprogramm wird im neuen Gesetz jetzt ein weiteres Planungsinstrument eingeführt.
 
Das Gemeindeentwicklungsprogramm gab es auch bisher im Gesetz schon. Nur wurde es noch nie ernst genommen. Dieses Instrument ist seit 1972/73 vorgesehen. Wir wollen, dass es jetzt endlich umgesetzt wird.
 

Das neue Gesetz sieht über 40 Durchführungsverordnungen vor....
 
Nein, das stimmt nicht, meine Zählung kommt auf 29 Positionen. Hier wird jedes Wort, wo im Text Durchführungsverordnung steht, so gelesen als würden dafür noch eigene Durchführungsbestimmungen erlassen. Etwa bei den Durchführungsbestimmungen zu Bauleitplänen oder Durchführungsplänen in den Gemeinden. Und zahlreiche Durchführungsverordnungen bestehen schon längst.
 
Tatsache ist, dass zentrale Punkte in diesem Gesetz von der Landesregierung im Nachhinein per Durchführungsbestimmungen geregelt werden sollen. Damit kauft der Landtag die Katze im Sack und gibt der Landesregierung freie Hand.
 
Das dürfte doch etwas übertrieben sein. Durchführungsverordnungen gehören zum allgemeinen Standard. Das Gesetz gibt den Rahmen vor, Details aber werden mit Durchführungsverordnungen, Richtlinien oder auch nur Mustervorgaben geregelt.
 
Was sagen Sie zur Kritik, dass der Landschaftsschutz im Vergleich zum Baubereich im neuen Gesetz den Kürzeren zieht?
 
Ich finde diese Kritik nicht gerechtfertigt. Das Gesetz regelt den Bereich Landschaftsschutz viel detaillierter als bisher. Natürlich ist das geltende Landschaftsschutzgesetz viel kürzer als das aktuelle Raumordnungsgesetz. Im neuen Gesetz werden beide Bereiche zusammengeführt, an den Seitenzahlen entsteht vielleicht dieser Eindruck. Er stimmt aber nicht. Die ganzheitliche Betrachtung zählt.
 
Zur Erarbeitung des neuen Gesetzes hat man eine ganze Reihe von externen Beratern verpflichtet. Wie viel hat das Ganze gekostet?
 
Das habe ich jetzt in der Summe nicht präsent. Ich erinnere mich aber an eine der ersten Anhörungen, die wir zu dieser Reform gemacht haben. Damals meinte ein Vertreter der Wirtschaft, wenn wir das in Angriff nehmen, dann muss die öffentliche Hand auch entsprechende Mittel für externe Berater einsetzen. Denn nur mit den Beamten käme man aus dieser Situation nicht heraus. Es brauche externe Berater, die eine andere Sichtweise haben.
 
Laut einer Landtagsanfrage von Paul Köllensperger sind es rund 260.000 Euro. Die Frage ist aber, wann man mit der Rechnung beginnt. Bereits im Herbst 2011 hat der damalige Urbanistikassessor Michl Laimer dem Anwalt und Universitätsprofessor Emanuele Boscolo einen Auftrag zur Reform des Landesraumordnungsgesetz erteilt. 
Die Auftragssumme: Über 100.000 Euro.
 
Das stimmt. Professor Boscolo hat einiges an Arbeit geleistet, die für diese Reform grundlegend war. Vor allem die sogenannte „kleine Urbanistikreform“, die der damalige Landesrat Elmar Pichler-Rolle 2013 umgesetzt hat, fußt auf Boscolos Vorarbeit. Darunter auch die Zusammenlegung der zwei Abteilungen Natur und Raumordnung. Boscolo hat aber nicht seinen gesamten Auftrag erfüllt, weil wir ihn gestoppt haben, als klar wurde, dass man die große Reform in Angriff nimmt. Es wurde ihm deshalb auch nicht die gesamte Summe ausbezahlt.
 
Es gibt bei einem solchen Gesetz massiven Druck von allen Seiten. Wer hat sich hier durchgesetzt. Der Bauernbund oder die Baulobby?
 
Keiner kann sagen, er hat sich durchgesetzt. Es war natürlich ein schwieriges Unterfangen zwischen den auch sehr konträren Interessen einen Ausgleich und eine Lösung zu finden. Aber dass sich einer gegen den anderen durchgesetzt hat, das kann man sicher nicht sagen.
Keiner kann sagen, er hat sich durchgesetzt.
Manche in Ihrem Haus sehen das anders?
 
Ich ersuche jeden, der das sagt, doch den Mut zu haben, seinen Namen zu sagen. Und dann zu sagen, was ihm konkret am Gesetzestext nicht gefällt. Denn vieles, was man kritisiert hat, wurde längst geändert.
 

Sie sagen also: Die Grundsatz-Kritik Ihres Nachfolgers Frank Weber vom März 2017 triff nicht mehr zu?
 
Dieses Zitat von Frank Weber war im Laufe der Diskussion eine von vielen Stellungnahmen. Intern hat jedes Amt seine Vorschläge und Bedenken äußern können. Jemand, der im Leitungsteam steht, hat erst recht die Pflicht sich zu Wort zu melden und zu sagen: Achtung, hier geht etwas in die falsche Richtung.
 
Der Direktor des Landesamtes für Landschaftsökologie Peter Kasal sollte im Landtag den Bereich Landschaftsschutz im neuen Gesetzes vorstellen. Er hat seine Teilnahme abgesagt, weil er nicht hinter diesem Gesetz stehen kann.
 
Er soll konkret auf den Punkt bringen, was ihm nicht gefällt und worin er die Schwächen sieht. Dabei muss er sich aber auf den letzten Entwurf beziehen. Also auf jenen Text, der nach den Stellungnahmen gerade aus dem eigenen Hause entstanden ist.
 
Müsste diese Haltung nicht ein Alarmzeichen für Sie sein?
 
Ich könnte ein Alarmzeichen auch in einer ganz anderen Hinsicht sehen. Eine Führungskraft muss auch die eigene Rolle erkennen und erfüllen, eine ganzheitliche Betrachtung ist gefordert.
 
Landesrat Richard Theiner will diesen Gesetzentwurf noch unbedingt vor den Landtagswahlen verabschieden. Sind im Gesetz ein paar Wahlgeschenke versteckt?
 
Nein, das glaube ich nicht. Es ist eher so, dass dieses Gesetz genau das nicht enthält. Deshalb sollte man es auch noch in diesem Jahr verabschieden.

Glauben Sie, dass dieses Gesetz wirklich noch in dieser Legislatur genehmigt wird?
 
Ich bin überzeugt davon.
 
Sie gehen mit 1. Oktober in Rente. Erleichtert diesen Laden endlich los zu sein?
 
Nein, ich habe diese Arbeit immer mit großer Begeisterung gemacht und mit sehr viel Einsatz. Ich bilde mir auch ein, dass ich in allen diesen Jahren viel gestalten und einbringen konnte. Dieser Gesetzentwurf ist nicht meine erste große Reform. Aber es hat noch keinen Prozess gegeben, bei dem es soviel Beteiligung von externer aber auch von interner Seite gegeben hat. Ursprünglich war geplant, dass dieses Gesetz rund ein dreiviertel Jahr vor meiner Pensionierung fertig ist. Dann wäre mein Abgang sicher gemütlicher gewesen.
 
 
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Christoph Gufler Sab, 09/09/2017 - 22:32

Wer selber korrekt und kompetent ist, setzt dies auch bei anderen voraus. Das ist vielleicht der Pferdefuß beim neuen Raumordnungsgesetz. Interessant ist übrigens, dass man im zentralistischen "Staat" Südtirol ausgerecht bei der Raumordunung die Subsidiarität entdeckt.

Sab, 09/09/2017 - 22:32 Collegamento permanente