Politica | Österreich Wahlkampf

Sittenverfall total

Wie Wahlkampfsöldner die Traditionsparteien per Fake-News in die Schlammschlacht treiben. Ein Geschenk für die FPÖ
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Foto: Facebook
Erinnert sich noch jemand an Werner Faymann? Ja, das war Österreichs Bundeskanzler, acht Jahre lang, bis Mai 2016. Er trat zurück, weil seine SPÖ bei den Wahlen zum Bundespräsidenten nur 11% der Stimmen erhielt, ähnlich der ÖVP. Als neuer Hoffnungsträger der gedemütigten Sozialdemokraten wurde Christian Kern auf den Schild gehoben. Auch ein SPÖ-Mann, aber kein Politiker, sondern ein Quereinsteiger, erfolgreicher Chef des mehrheitlich staatlichen Eisenbahnriesen ÖBB. Gleich bei seinem ersten Auftritt vor den Medien, rechnete Kern erstaunlich hart mit der etablierten Politik ab, auch mit jener seiner eigenen Partei. 
 

„Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“

 
Diese Rituale, diese Sprache, dieses Erscheinungsbild, diese Inhalte oder diese Inhaltlosigkeit, die wir in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben, waren für mich genau der Antrieb“ in die Politik zu gehen, sagte Christian Kern. „Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall (…) Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden. Und wahrscheinlich völlig zu Recht.
 
Man muss an diesen radikalen Einstieg Kerns in die Politik erinnern, um ermessen und nachempfinden zu können, wie groß heute, die Enttäuschung über diesen Mann aus einfachen Verhältnissen, dem modernen Manager mit sozialem Gewissen trotz Slim-Fit-Anzügen, ist. Dabei hat Kern mit seinem Partner in der großen Koalition, dem ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, gar nicht so schlecht regiert, obwohl dieser von bedeutenden Kräften innerhalb der ÖVP mit allen Mitteln behindert und schließlich vom strebsamen Aufsteiger Sebastian Kurz „weggeputscht“ wurde. 
 

Kerns Sündenfall

 
Natürlich war den Sozialdemokraten nicht entgangen, dass die Koalition brüchig und gefährdet war. Sie bereiteten ebenfalls zügig den Wahlkampf vor. Im Jänner stellte Kern seinen „Plan A für Österreich“ in einer medial gelungenen Inszenierung in Linz vor. Das befeuerte innerhalb der ÖVP die Manöver zur Ablöse Mitterlehners und zur Inthronisierung des jugendlichen Erneuerers Sebastian Kurz, bis es im Mai dann soweit war.
Wie sich jetzt allerdings herausstellt, hatte Christian Kern schon im Herbst vergangenen Jahres den angeblichen „Wahlkampfmagier“ Tal Silberstein als Berater engagiert, empfohlen vom ehemaligen SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer. Diesem hatte Silberstein 2006 zu einem damals als aussichtslos gegoltenen Wahlsieg über Wolfgang Schüssel verholfen. Und schon damals galt die Negativ-Campagning-Methode: die Fehler und Schwächen des Rivalen aufzeigen und in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen. 
 

Tal Silberstein – Wahlkampf nach USA-Vorbild

 
Wer jemals einen Wahlkampf in den USA verfolgt hat, weiß was „Negativ-Campaigning“ heißt. Täglich werden in sämtlichen TV- und Radiosendern plumpe, aber aufwändig gestaltete Werbeclips gesendet, die einzig und allein die Schwächen, Fehler oder kritisierte politische Haltungen des Rivalen anklagen, bis an die Grenze der Diffamierung. Das ist dort ebenso erlaubt, wie die Bewerbung eines kommerziellen Produktes – von der Zahnpasta bis zum Auto – indem die angeblichen Vorteile des eigenen gegenüber einem namentlich genannten Produkt der Konkurrenzfirma gepriesen werden. Das heißt dort „vergleichende Werbung“ und hat eine lange Tradition.
 
Tal Silberstein ist Israeli, hat in den USA mit namhaften PR- und Politikberatern gearbeitet und international reichlich Erfahrung gesammelt. In Israel hat er  prominente und verfeindete Premierminister verschiedenster Couleur beraten: Ehud Barak, Ehud Olmert, Ariel Sharon ebenso wie Benjamin Netanjahu. In der Ukraine Julia Timoschenko und in Bolivien den ehemaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada. In einem Dokumentarfilm über den im amerikanischen Exil lebenden Sánchez de Lozada sieht und hört man Tal Silberstein bei der Darlegung seiner Wahlkampftaktik gegen den Rivalen, den derzeitigen Präsidenten Evo Morales: "Wir müssen eine negative Kampagne gegen ihn starten. Wir müssen ihn von einem sauberen in einen beschmutzten Kandidaten verwandeln. Ich hatte eine vertrauliche Unterhaltung mit Carlos Sánchez darüber. Er hat einige Infos über ihn. Er wird das außerhalb der Partei machen, damit die Attacken nicht von uns kommen. Ich habe ihm gesagt, dass nichts von dem, was er macht, auf uns zurückfallen darf."
 

Silberstein: vom Negativ- zum Dirty-Campaigning

 
Vor knapp acht Wochen wurde Tal Silberstein in Israel vorübergehend verhaftet. Er wird verdächtigt gemeinsam mit dem Milliardär Beny Steinmetz Geldwäsche (in Rumänien) und Bestechung (für Erz-Schürfrechte in Guinea) in Millionenhöhe betrieben zu haben. Christian Kern und die SPÖ kündigten sofort den Beratervertrag. Doch in der Folge kamen die unglaublichen Praktiken Silbersteins im österreichischen Wahlkampf erst zutage.
Die Wochenzeitschrift Profil und die Tageszeitung Die Presse enthüllten, dass Silberstein ein eigenes Team gebildet und damit zwei anonyme Facebook-Seiten betrieben hat:Wir für Sebastian Kurz“ und „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ – beide wurden inzwischen gelöscht. Die erste Seite war als Fan-Seite des ÖVP-Kandidaten angelegt. Allerdings wurden erfundene Texte – vor allem in Migrationsfragen - derart populistisch zugespitzt, dass Kurz und die „neue“ ÖVP öffentlich heftigen Protest ernteten.
 
„Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ ging noch weiter. Sie stellte Sebastian Kurz als Marionette alter ÖVP-Granden wie Wolfgang Schüssel oder des jüdischen Milliardärs, Philanthrops und Unterstützers von Menschenrechtsorganisationen George Soros dar. Gerade die antisemitischen Attacken und der Vorwurf, Kurz sei gar nicht wirklich gegen Zuwanderung, sollte den Verdacht erwecken, dass hier rechte und FPÖ-nahe Kräfte am Werk seien, nach dem Motto „Zwei Fliegen auf einen Schlag“ treffen. Alle Versuche der ÖVP, die Seiten schließen zu lassen, waren vergebens.
 

Politsöldner und Intrigenkarussell

 
Christian Kern war glaubhaft empört, der Wahlkampfleiter und SPÖ-Geschäftsführer Niedermühlbichler trat zurück, weil es zumindest einen Mitarbeiter im Wahlkampfteam gab, der von den Parallel-Aktivitäten Silbersteins gewusst hat. Die parteiinternen Untersuchungen und die Recherchen der Medien haben so gut wie täglich neue Steine des Silberstein-Puzzles an den Tag gefördert. Für seine Schmutzkübel-Kampagne hat Silberstein ein Dutzend Mitarbeiter angeheuert, darunter etliche Personen, die in der Vergangenheit schon für die verschiedensten Parteien – vor allem die ÖVP und die vom Unternehmer Hans Peter Haselsteiner finanzkräftig unterstützen NEOS – gearbeitet hatten. Leitende Schlüsselfigur und Chef dieser Truppe war der Politsöldner Peter Puller, eine schillernde Person. 
 
In der Steiermark hat Puller vor längerem für die ÖVP gearbeitet und schon damals in einem Wahlkampf für Aufsehen gesorgt, weil er empfohlen hatte, den sozialdemokratischen Landeshauptmann und Rivalen Franz Voves gezielt als „Faulpelz“ zu verunglimpfen. Dann arbeitete er für den ÖVP-Bundespresse-dienst und für die ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl als Kabinettschef und Pressesprecher. Unter anderem beriet er in Wien auch die NEOS. Und erst heuer schloss er einen Vertrag, um den kürzlich spektakulär von den Grünen auf Platz 5 der Liste Sebastian Kurz gewechselten Afgani Dönmez beim Betrieb einer Plattform zum Kampf gegen den politischen Islam zu beraten. 
 

Hat die Kurz-ÖVP 100.000.- Euro für Spitzeldienste geboten?

 
Peter Puller, dessen Firma insolvent ist, hat nicht nur sämtliche Aktivitäten bei der Leitung der beiden Fake-Facebook-Seiten im Auftrag Silbersteins öffentlich zugegeben. Er behauptet jetzt auch, dass niemand geringerer als der Presseprecher von Sebastian Kurz ihm einhunderttausend Euro geboten habe, wenn er die Seite wechsle und quasi undercover der ÖVP Informationen liefere. 
Die ÖVP gibt zu, dass es mit Puller Gespräche gegeben hat, dementiert aber empört, dass es dabei um Spitzeldienste gegangen sei, man habe ja gar nicht gewusst, dass Puller für Silberstein arbeite. Puller will die Bestechungs- und Anheuerungsversuche jedoch vor Gericht beweisen.
 
Die SPÖ sieht sich als Opfer und darin bestätigt, dass die ÖVP gezielt „Maulwürfe“ ins eigene Wahlkampfteam eingeschleust habe. Wie glaubhaft die jüngsten Aussagen des Politsöldners Puller sind, bleibt allerdings fraglich.
 

House-of-Cards  -  Ansehen der Politik weiter angeschlagen

 

Dass bis zur Nationalratswahl am 15. Oktober sämtliche Tricks und Verantwortlichkeiten dieser österreichischen „House-of-Cards“-Farce aufgeklärt werden, ist höchst unwahrscheinlich. Christian Kerns Image ist jedenfalls im Keller, das seiner Partei schwer beschädigt. Auch wenn der Kanzler und SPÖ-Parteichef von den Silberstein-Aktivitäten nichts gewusst haben sollte, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, naiv auf die „magischen“ Kräfte eines seit langem für zweifelhafte Praktiken bekannten und umstrittenen Spin-Doktors gesetzt zu haben. Dass die Kurz-ÖVP und ihr gerade neu gewonnener Star-Kandidat Dönmez ambivalente Beziehungen zu einem notorisch zwielichtigen Ex-ÖVP-Möchtegern-Spin-Doktor und Politsöldner pflegen, wirft auch auf sie kein gutes Licht. 
Fraglich ist, inwieweit die Normalbürger die so vertrackten Winkelzüge in diesem Wahlkampf verfolgen, nachvollziehen, geschweige denn verstehen oder bewerten können. Sicher ist, dass der ohnehin seit Jahren stattgefundene Vertrauensverlust in die Politiker einen weiteren Schub erhalten hat. Dementsprechend schwer ist abzuschätzen, wer bei der kommenden Wahl davon profitieren wird. Wie viele Leute werden einfach nicht zu den Urnen gehen? Welche Oppositionspartei könnte enttäuschte Proteststimmen von den beiden Traditionsparteien erhalten? Vermutlich die meisten die FPÖ Heinz-Christian Straches. Sie hat schon seit Jörg Haider die populistische Dauer-Hetze gegen den „korrupten Politiker-Intrigantenstadel“ in ihrer DNA. Und eines der drei berüchtigten Revolver-Blätter stellt schon in großen Lettern die Frage: „Strache am Weg ins Kanzleramt?“

 
Der Autor: Lorenz Gallmetzer, geboren 1952 in Bozen, war viele Jahre als ORF-Korrespondent in Washington und Paris, leitete den „Club 2“ und hat im vergangenen Jahr mit dem Buch "Süchtig" einen Bestseller vorgelegt. Gallmetzer, der in Wien lebt, schriebt regelmäßig für Salto.bz über Österreich und die Welt.
 
 
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Harald Knoflach Sab, 10/07/2017 - 15:25

Sehr gute Analyse. Die Niederträchtigkeit ist offenbar grenzenlos.

"Ist das, was Sie da beide seit Tagen auf offener Bühne aufführen, inklusive dieser Pressekonferenzen, diese Vorwürfe, diese Klagen wegen Wiederbetätigung oder wegen Verstoß gegen das Verbotsgesetz, diese Rücktrittsaufforderung an Kurz – ist das nicht in Wahrheit eine gemeinsame Aktion von Ihnen beiden zur Senkung der Wahlbeteiligung und zur Förderung der FPÖ? "

Armin Wolf in der ZIB (https://www.facebook.com/ZeitimBild/videos/10155639844636878/)

Das Problem: Gerade die FPÖ hat im Kabinett Schüssel bewiesen, dass sie im Stande ist, obiger Niederträchtigkeit noch eines draufzusetzen.

Sab, 10/07/2017 - 15:25 Collegamento permanente