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„Qualitätsjournalismus hat eine Zukunft“

Seit Dezember ist ein zweisprachiger Österreicher ohne italienischen Pass Chef der regionalen ANSA: Stefan Wallisch über das Nachrichtenmachen in Zeiten von Fake News.
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Foto: Manuela Tessaro

salto.bz: Stefan Wallisch, gratuliere zum neuen Job, den Sie vergangen Woche von Roberto Tomasi übernommen haben. Wie viele Jahre ANSA waren nötig, um die Leitung der Bozner und Trentiner Redaktion zu übernehmen?
Stefan Wallisch: Auf den Tag genau 22 Jahre. Am 1. Dezember 1995 habe ich hier begonnen, seit  1. Dezember bin ich nun in meinem neuen Amt aktiv.

In 22 Jahren hat sich vieles im Journalismus verändert, nicht zuletzt die Rolle der Nachrichtenagenturen. Lange Zeit waren sie für viele Medien eine der wichtigsten Quellen. Nun gibt es im Internet unendlich viele und vielfach kostenlose Quellen. Was hat das mit Ihrer Arbeit gemacht?
Ich habe dazu ein praktisches Beispiel: Als ich 2012 die Pressekonferenz vom Alex Schwazer nach seiner Disqualifizierung vor London für die ANSA verfolgte, bin ich während der Pressekonferenz immer wieder hinausgegangen, um kleine Eilmeldungen mit den wichtigsten Aussagen durchzugeben. Damals war ich die Primärquelle für viele Medien. 2016, nach der Disqualifikation Schwazers für Rio, war ich dann wieder auf seiner Pressekonferenz, doch nur vier Jahre später war alles anders. Sky machte eine Liveschaltung, andere Medien waren über Facebook live dabei, also ich war bei weitem nicht mehr die Primärquelle. Das hat sich schon sehr stark verändert.

Bedroht diese Entwicklung nicht mittelfristig ihren Job bzw. den Ihrer MitarbeiterInnen?
Nein, ich glaube, die Rolle der Nachrichtenagenturen wird heute sogar fast noch wichtiger als früher. Darüber gibt es derzeit auch eine angeregte Diskussion. Denn wir mögen vielleicht nicht mehr die Primärquelle sein, doch nun sind die Agenturen die sichere Quelle. Und das ist in Zeiten, in denen es  vor allem im Internet immer schwieriger wird zu unterscheiden, was Fake News und was die Wahrheit ist, unheimlich wertvoll.

Kommen Sie überhaupt noch dazu, Nachrichten zu verifizieren? Schließlich beschäftigt auch die regionale ANSA immer weniger Leute.
Es stimmt, dass wir personalmäßig schlanker geworden sind, doch die Überprüfung der Nachrichten steht bei uns nach wie vor an oberster Stelle. Als ANSA haben wir zwar auch ein eigenes News-Portal, wo es noch mehr gilt, schnell zu sein. Doch das wichtigste Grundprinzip bleibt, dass jede Meldung, die von uns verbreitet wird, überprüft ist. Dabei hilft sicher auch, dass wir nicht den Klicks nachlaufen müssen wie es andere große Medien mittlerweile auch schon tun. Und es geht einfach darum, sich die 20 Minuten oder auch oft nur 5 Minuten Zeit zu nehmen, eine Meldung zu verifizieren. Vor einigen Jahren hatte zum Beispiel eine Südtiroler Partei eine Pressemitteilung geschrieben, wonach österreichische Polizisten am Brenner verhaftet wurden.

Und das stimmte nicht?
Ich habe es nachrecherchiert und bin darauf gekommen, dass die Österreicher auf italienischem Staatsgebiet Flüchtlinge, sagen wir, zu überzeugen versucht hatten, gar nicht erst über die Grenze zu kommen. Die italienische Polizei hat ihre Kollegen dann darauf hingewiesen, wo sie sich befinden, und dazu eigenladen ihre Arbeit hinter der Grenze zu machen. Das war die Geschichte. Doch in den 20 Minuten, die ich gebraucht habe, um sie zu verstehen, sind andere Medien bereits mit der Schlagzeile der Verhaftung online gegangen. Und diese Meldungen finden sich auch heute noch im Internet – auch wenn sie nicht wahr sind.

Es geht aber nicht nur um Unwahrheiten, die verbreitet werden. Wenn man sich die Informationen in Sozialen Netzwerken, aber auch auf vielen News-Portalen ansieht, gibt es viel Zuspitzung, Polemik, Junk-News....
Ja, das alles hat sicherlich stark zugenommen. Auch weil viele Medien immer stärker an Klicks, also an Zugriffen orientiert sind. Wir sind auch alle viel schneller darüber informiert, wenn etwas passiert, nicht nur über neue Kanäle wie Facebook oder Twitter, selbst WhatsApp ist mittlerweile ein Nachrichtenkanal geworden. Doch wenn es um die Wertung und Einschätzung der Tragweite von Ereignissen geht, kann ich keine Fortschritte erkennen.

Genau das soll Qualitätsjournalismus aber leisten. Sehen Sie hier schwarz?
Nein, im Gegenteil, ich glaube immer noch, dass Qualitätsjournalismus eine Zukunft hat. Das ist eine Grundsäule der Demokratie und wir gefährden unser System, wenn wir in den Fake-Journalismus abrutschen. Dann schafft sich jede politische Bewegung ihre eigene Realität. Das wäre höchst gefährlich.

Diese Gefahr kann aber nur gebannt werden, wenn Menschen auch bereit sind, sich Information etwas kosten zu lassen. Und die Frage ist, ob die Leute noch bereit sind, für garantiert richtige Nachricht zu zahlen.
Ja, das ist die große Frage, auf die noch niemand eine Antwort hat. Auf der ganzen Welt experimentiert man bei Newsportalen mit Bezahlsystemen, doch keinen Bezahlsystemen... Ich bin jedoch der Überzeugung, dass das Bedürfnis der Nutzer nach Gewissheit derzeit stark steigt. Das ist auch klar zu erkennen, wenn man sich den Relaunch einer Tageszeitung wie La Repubblica ansieht. Da geht es ganz klar in Richtung Orientierung, mit mehr Hintergrundberichterstattung, mehr Kommentar....

Das heißt, der ANSA laufen auch trotz Gratis-News überall nicht die Medien-Abonnenten weg?
Nein, das tun sie nicht. Es wäre schließlich auch eine Riesen-Arbeit aus dem Internet die richtigen Nachrichten herauszufiltern. Und was darüber hinaus für die ANSA spricht ist, dass wir neben der RAI das einzige Medium sind, das in allen Regionen Italiens präsent ist. Das heißt, wenn etwas am Brenner passiert, sind wir vor allem für Medien unterhalb von Salurn eine wichtige Quelle. Noch wichtiger wird das für das Ausland, da immer weniger Medien Auslandskorrespondenten beschäftigen. Doch klar ist es auch eine Herausforderung, wenn sich die Auffassung verbreitet, dass Nachrichten gratis zu sein haben....

Doch diese Herausforderung kann man bestehen? 
Ich zumindest zähle darauf, dass es auch bei den Medien wieder eine Tendenz zurück zu Bezahlmodi geben wird - wie sie auch in der Musikbranche zu beobachten ist. Lieber als in einem Meer an Informationen zu schwimmen, ohne zu wissen, was wahr und was falsch ist, wird man dazu bereit sind, kleine aber konstante Beiträge zu zahlen.

Sie sind erst im Sommer wieder als regionaler Gewerkschaftssekretär bestätigt worden. Kann der Gewerkschafter gleichzeitig Chefredakteur sein?
Theoretisch ja, aber darüber möchte ich mich erst einmal mit der Gewerkschaft abstimmen, bevor ich dazu eine Entscheidung treffe.

Als Gewerkschaftssekretär haben Sie in den vergangenen Jahren miterlebt, wie sich die rasanten Entwicklungen im Medienbereich auf JournalistInnen auswirken.
Ja, hier hat sich vieles verändert. Die prekären Arbeitsverhältnisse in unserem Sektor haben stark zugenommen. Auch in Trentino-Südtirol, aber im restlichen Italien ist die Lage weit schlimmer, teils wirklich dramatisch wie zum Beispiel bei den Privatradios. Man muss nur wissen, dass derzeit italienweit auf zehn Journalisten, die den Beruf verlassen, weil sie pensioniert werden oder die Arbeit verlieren, eine Neueinstellung kommt. Ein solches Verhältnis von 10:1 sagt schon viel aus.

Auch über die Qualitätsentwicklung der Information...
Natürlich wirkt sich das auf die Qualität aus. Nur ein angestellter Journalist bzw. eine Journalistin, die rechtliche und finanzielle Rückendeckung haben, sind freie Journalisten. Ein prekärer Journalist, der riskiert, dass ein möglicher Prozess mit all seinen Folgen an ihm hängen bleibt, ist dagegen weit weniger frei. Doch man muss auch sagen, dass die Situation bei uns in Südtirol bei weitem nicht so schlimm ist wie in anderen Regionen. Nicht zuletzt weil es auch aufgrund der zwei Sprachgruppen ein größeres Bedürfnis der Bevölkerung gibt, sich zu informieren als im restlichen Italien.

Sie sind einer der nicht so vielen perfekt zweisprachigen JournalistInnen im Land – und das obwohl Sie in Österreich, allerdings mit einer italienischen Mutter, aufgewachsen sind. Haben Sie eine Doppelstaatsbürgerschaft?
Meine achtjährige Tochter hat sie. Ich dagegen habe nur die österreichische Staatsbürgerschaft. Ich könnte die italienische zwar seit langem haben. Doch ich bin ein überzeugter Europäer, und deshalb hat das für mich keine Wichtigkeit. Ich bin in Österreich aufgewachsen und bin sehr damit verbunden, aber jetzt lebe ich in Südtirol und fühle mich hier zu Hause. Aber im Grund bin ich einfach ein Europäer, und da spielt es dann nicht wirklich eine Rolle, wo man lebt.

Und wie erlebt ein solcher Europäer die wiederaufgeflammte Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler?
Ich glaube, dass Staatsbürgerschaften in Europa überholt sein sollten. Natürlich hat jeder seine Wurzeln, sein Heimatland und sein Zugehörigkeitsgefühl. Doch ich finde, es ist die Zeit gekommen, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen und das ist für mich Europa. Wenn mich auch hier ein gewisser Pessimismus befällt. Denn als ich 1995 nach Südtirol gekommen bin, musste ich noch an drei Grenzübergängen den Pass rausstrecken, wenn ich von Wien nach Bozen fuhr, also  in Salzburg, Kufstein und am Brenner. Dann gingen die Grenzen auf und schließlich haben sie sogar die Grenzhäuschen abmontiert.  Und jetzt wird wieder kontrolliert an den Grenzen. Das find ich schon sehr bedauerlich.

Was wünschen Sie den SüdtirolerInnen?
Ich fühle mich ja selbst in gewisser Weise als Südtiroler, ich lebe schließlich schon 22 Jahre hier. Also, meine Tochter wird oft gefragt, ob sie sich jetzt mehr zu Österreich oder  Italien zugehörig fühlt. Und darauf antwortet sie immer: „Wir sind weder Österreicher noch Italiener, wir sind Südtiroler.“ Und das hat was, muss ich sagen. Südtiroler zu sein, schließt alles mit ein. Deshalb wünsche ich den Südtirolerin noch mehr Selbstbewusstsein, das so zu leben. Und ein selbstbewusster Südtiroler kann auch mit dem italienischem Pass gut leben, glaube ich.