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Koalition der (Un)willigen

Flüchtlinge aus dem Mittelmeer sollen unter EU Staaten freiwillig verteilt werden. Wie Horst Seehofer plötzlich ein Herz für Asylsuchende bekam
Flüchtlingsboot
Foto: Pixabay

Der Name dieser neuen Idee zur Lösung der Flüchtlingsfrage scheint unangebracht. „Koalition der Willigen“ erinnert an die Irak Invasion 2003, an jene Länder, die sich der Allianz der USA im Angriff auf den Irak anschlossen. Es war eine Koalition, die die Europäische Union spaltete zwischen den Befürwortern der Invasion, wie Großbritannien und Italien, und den Ländern, die dagegen waren, darunter Deutschland und Frankreich. Diese Koalition der Willigen von 2019 aber soll Europa einen, indem es schrittweise einer Lösung zu einem Problem näherkommt, das die Union so oft spaltet: Das Dublin Abkommen.

Bei der Koalition der Willingen geht es darum, Flüchtlinge, die auf Italien und Malta aus dem Mittelmeer ankommen, unter jene Länder zu verteilen, die sich der Koalition anschließen. Der Pakt lautet also: Italien und Malta, bitte lasst ihr die Leute nicht im Meer ersaufen, wir nehmen euch dafür die Asylsuchenden ab, prüfen sie innerhalb von vier Wochen, durchziehen sie einem Sicherheitschek und wenn alles passt, verteilen wir sie untereinander.

Der Ansatz klingt erfreulich, erfährt man aber von wem diese Idee stammt, wird sie so skurril, wie sie hoffentlich am Ende nicht aufhört. Ins Leben rief die Koalition niemand anders als Horst Seehofer, deutscher Innenminister und konservativer Politiker der bayrischen CSU. Jener Seehofer, der Slogans wie „Bayern zuerst“ rief, Merkels „bedingungslose Willkommenskultur“ kritisierte, Obergrenzen für Flüchtlinge forderte und dabei mit Victor Orban liebäugelte. Derselbe Mann antwortete auf die Kritik seiner Partei zu dem Verteilungsmechanismus: „Ich finde es unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“ Als hätte sich Dr. Abschottung über Nacht in Mr. Willkommen verwandelt. 

 

Italien und Malta, bitte lasst ihr die Leute nicht im Meer ersaufen, wir nehmen euch dafür die Asylsuchenden ab, und wenn alles passt, verteilen wir sie untereinander

 

Natürlich hat der Plan einen Hacken, denn das Bündnis wäre freiwillig, temporär und ermöglichte jederzeit einen Austritt. Es bezieht sich ausschließlich auf Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, ignoriert also Menschen, die vom Osten her flüchten, oder in Griechenland ankommen, und legt nicht fest, was mit jenen Menschen passiert, denen nach der Kontrolle kein Asyl gewährt wird. Doch den Vertrag freiwillig, auf Raum und Zeit beschränkt und mit Ausgangstür zu gestalten, ist vielleicht gar keine schlechte Idee. 

 

Ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ wird häufig kritisiert. Bedenkt man aber, wie oft ein paar Spielverderber mit ihrem Veto Lösungsansätze blockiert haben, scheint eine zweigleisige und schrittweise Integration der Migrations-und Asylpolitik der einzige Weg zu sein, eine einheitliche Gesetzgebung zu erreichen, die regelt, wann und wie Menschen aus Drittstaaten in der EU arbeiten dürfen oder Asyl gewährt bekommen.

Noch liegt der Bereich Migration im intergouvernementalen Bereich, d.h. um ein Gesetz zu erlassen, bedarf es der Zustimmung jedes einzelnen Mitglieds. Eine ganzheitliche Reform des Dublin-Abkommens, ein gemeinsames Asylsystem, mit Koordination im Umgang mit illegaler Migration, sowie mit ausreichenden legalen Einreisemöglichkeiten, stehen noch in den Sternen. Doch pauschale Aussagen à la Usrula von der Leyen ( „we need a comon asylum system“) und abstrakte Argumente wie Solidarität oder Gemeinschaft ziehen bei Migration nicht. Das zeigt die Tatsache, dass die EU seit 1997 erfolglos versucht, diesen Politikbereich zu vergemeinschaften. Zu groß wäre der Schritt, zu schwer, ihn im eigenen Land zu verkaufen. 

 

Seehofer, der Slogans wie „Bayern zuerst“ rief, antwortet nun zu dem Verteilungsmechanismus: „Ich finde es unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss“. Als hätte sich Dr. Abschottung über Nacht in Mr. Willkommen verwandelt. 

 

Eine pragmatische Kooperation in bestimmten technischen Bereichen hingegen, beschränkt auf einige freiwillige Staaten, wie es die Koalition der Willigen vorsieht, hat in der Geschichte der europäischen Integration größere Wirkung gezeigt. Der Schengen-Raum etwa betrifft bis heute nicht alle Teile der Union, und nicht alle Mitglieder des Schengen-Raums waren von Anfang an mit dabei. Auch wuchs die Koordination schrittweise. Anfangs kooperierte die EU bei der Migrationspolitik nur im Bereich der Visapolitik, nach den Bürgerkriegen in Jugoslawien, wurde die Zusammenarbeit auf die Kontrolle von Außengrenzen ausgeweitet. Schritt für Schritt kam es also zu Entwicklungen, die mehr Kooperation erforderten, diese Kooperation musste dann wiederum aus pragmatischen Gründen auf weitere Bereiche ausgeweitet werden. 

Die Geschichte kann also zuversichtlich stimmen, dass ein erster Schritt der sehr lockeren Koordination von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer auf andere Bereiche überschwappt, etwa gemeinsame Rückführungen, Verteilung auch von Flüchtlingen aus dem Osten usw. Der Skeptizismus gegenüber einer „Union der zwei Geschwindigkeiten“ überrascht angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder der EU immer schon auf unterschiedlichen Autospuren fuhren, und es bis heute noch tun. Doch jeder Vorsprung lässt sich aufholen, und bemerken die übrigen Mitgliedstaaten die Vorteile einer Koordination im Asylverfahren, wird der Pragmatismus sie dazu bringen, aufs Gaspedal zu drücken, und sich der „Koalition der Willigen“ anzuschließen. So wie Großbritannien die Vorteile erkannte, die der Binnenmarkt mit sich brachte, und schließlich 1997 doch noch der Europäischen Wirtschaftsunion beitrat (Ok, ist vielleicht ein schlechtes Beispiel aus heutiger Perspektive, es kann schon passieren, dass einer mal zu rechts ranfährt und auf der Strecke bleibt). 

Der Skeptizismus gegenüber einer „Union der zwei Geschwindigkeiten“ überrascht angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder der EU immer schon auf unterschiedlichen Autospuren fuhren

 

Bis jetzt unterschrieben vier Länder das Abkommen. Horst Seehofer sagte zu, 25 Prozent der Flüchtlinge aufzunehmen. Weitere 25 Prozent will Frankreich aufnehmen, der Rest müsse noch, je nach Anzahl der Willigen, verteilt werden. Die Koalition der Vier, Deutschland, Frankreich, Malta und Italien, versuchten beim Treffen der EU- Innenminister am 8. Oktober weitere Länder mit ins Boot zu holen. Doch laut Medienberichten fielen dabei mehr Unwillige ins Auge, wie Mitstreiter der Koalition: Nur Portugal, Irland und Luxemburg gaben an, sich am Verteilungsmechanismus zu beteiligen.

Dennoch sollte man die Tatsache, dass die Koalition der Willigen sich im Wesentlichen auf vier Länder beschränkt, nicht schwarzmalen. Am 18. Oktober wird der Vorschlag dem EU Rat vorgelegt. Und wie die Erfahrung zeigt, kann sich bis dahin noch viel ändern. Wenn ein Mann plötzlich seinen politischen Kurs radikal umkrempelt, der noch vor zwei Jahren betonte: „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um das zu sein, was andere von mir erwarten. Ich bin und bleibe der Horst Seehofer mit seinem eigenen politischen Weg“, dann sollten wir uns nicht wundern, falls Victor Orban in zwei Wochen plötzlich die Koalition der Willigen anführt, zur Rettung ertrinkender, nicht-christlicher Menschen aus Drittstaaten.