Cronaca | Justiz

Anklage gegen Schulamtsleiter

Die Bozner Staatsanwalt erhebt Anklage gegen den italienischen Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta wegen Falschbeurkundung und Vorteilsannahme. Die Anatomie einer Affäre.
Gullotta, Vincenzo
Foto: LPA
In der offiziellen Hierarchie gehört der italienische Schulamtsleiter zu den höchsten fünf Beamten im Landesdienst. Nicht umsonst, trägt Vincenzo Gullotta den Titel „sovrintendente“, ins Beamtendeutsch übersetzt: Hauptschulamtsleiter. Rein formal steht er deshalb über der deutsche Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner oder den Bildungsdirektoren.
Dass der Bozner Staatsanwalt Andrea Sacchetti jetzt Anklage gegen Vincenzo Gullotta, gegen den Direktor und einen Lehrer einer Bozner Mittelschule erhebt, kommt einem Erbeben in der italienischen Südtiroler Schulwelt gleich.
Was die Affäre aber noch schwerwiegender macht, ist die unglaubliche Geschichte, die hinter diesem Justizfall steht.
 

Operation Noten

 
Ein Sohn des Haupschulamtsleiters Vincenzo Gullotta besucht 2020 die zweite Klasse der Mittelschule „Ugo Foscolo“. Wie an allen übrigen Schulen finden auch dort in der zweiten Juniwoche die Notenkonferenzen statt.
Doch am 12. Juni 2020 passiert etwas Unvorhergesehenes. Es ist der letzte Schultag, die Zeugnisse sind längst ausgestellt. Am Nachmittag dieses Tages treffen sich die Professoren der Klasse 2F zu einer außerordentlichen Notenkonferenz. Die bereits abgeschlossene Bewertungssitzung wird neu eröffnet und das Ergebnis korrigiert. In einer Diskussion, die keine Stunde dauert, werden die Noten eines einzigen Schülers in zwei Fächern angehoben.
Es handelt sich um den Sohn des Schulamtsleiters Vincenzo Gullotta. Korrigiert werden die Note im Fach Technik von 6 auf 8 und die Note im Fach Musik von 7 auf 8. Der Grund dafür: Es sei bei der Errechnung des Notendurchschnittes zu formalen Fehlern gekommen.
 
 
 
 Nach der offiziellen Version war es der Architekt und Technikprofessor Francesco Migliaccio, dem zuhause beim Essen mit seiner Frau - so stellt es Migliaccio anfänglich auch bei den Anhörungen vor der Gerichtspolizei dar - plötzlich aufgefallen war, dass er bei der Errechnung der Note einen Fehler gemacht habe. Migliaccio schickt sofort per Mail eine schriftliche Stellungnahme an den Direktor Franco Lever. Einen ähnlichen Bewertungsfehler habe es dann auch im Fach Musik gegeben.
Direktor Lever beruft noch am selben Nachmittag eine neue Notenkonferenz ein, und die beiden Noten des Gullotta-Sohnes werden korrigiert. Im Fall des Gullotta-Sprösslings betrug der Notdurchschnitt im Fach Technik 6,17 und im Fach Musik 7.
Doch Musikprofessor Michele Di Mauro weigert sich auf der außerordentlichen Sitzung, seine Bewertung zu korrigieren. Trotz offenen Drucks der Schulverantwortlichen. Di Mauro wird schließlich von der Mehrheit im Klassenrat kurzerhand überstimmt. So wird auch die Musiknote des Gullotta-Sohnes angehoben.
 

Das Telefonat


Dann aber kommt heraus, dass es am Vormittag des 12. Juni 2020 ein Telefonat zwischen dem Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta und Direktor Franco Lever gegeben hat. Es ist der Corriere Dell´Alto Adige, der vier Tage nach der Notenkonferenz als erster detailliert über die Geschichte berichtet. Redakteurin Chiara Currò Dossi fragt dabei auch beim Direktor der Schule Franco Lever nach. „Ich bestreite einen solchen Anruf“, wird Lever im Corriere zitiert. Nach Erscheinen des Artikels gibt auch Vincenzo Gullotta eine kurze schriftliche Erklärung ab. Darin heißt es wörtlich: „Dass der Artikel völlig haltlos ist, nicht der Wahrheit entspricht und auf Fakten beruht, die es nie gegeben hat“.
Diese Aussagen werden bereits am nächsten Tag widerlegt. Als Salto.bz einen Auszug aus dem offiziellen Protokoll der außerordentlichen Notenkonferenz veröffentlicht. Laut Protokoll habe es einen Anruf der „Familie Gullotta“ beim Direktor gegeben. Erst danach habe einer der Professoren, dessen Note beanstandet wurde, eine schriftliche Stellungnahme bei Direktor Franco Lever abgeliefert.
 
 
 
Jetzt ändert das Duo Gullotta/Lever seine Version.
Gullotta erklärt, er habe am Morgen des 12. Juni mit Direktor Franco Lever ein Dienstgespräch geführt, bei dem es um andere Dinge gegangen sei. Während des Gesprächs habe er die gerade veröffentlichten Noten seines Sohnes gesehen und daraufhin angemerkt, dass da etwas nicht stimmen könne.
Die Schule sei dann ohne sein Zutun tätig geworden. Gullotta bestreitet vehement, den Direktor unter Druck gesetzt zu haben. Zudem kündigt er in der Stellungnahme Klagen gegen verschiedene Medien an.
Als Kronzeuge wird Technikprofessor Francesco Migliaccio aufgeboten, der dieser Version bis ins letzte Detail bestätigt.
 

Die Ermittlungen


Die Ermittlungen der Gerichtspolizei bringen aber zu Tage, dass davon wenig wahr ist.
Denn die Auswertung der Telefondaten ergeben, dass Direktor Lever nach dem Telefonat mit Schulamtsleiter Gullotta, mehrmals den Meraner Technikprofessor angerufen hat.
Zudem beschlagnahmt die Gerichtspolizei das elektronische Klassenbuch. Dabei wird klar, dass der angebliche „technische Fehler“, der den beiden Professoren unterlaufen ist und der letztlich der Grund für die Notenkorrektur war, ein reine Chimäre ist.
Denn fünf Mitschüler und Mitschülerinnen des Gullotta-Sohnes waren in genau derselben Situation. Hat der Professor einen Fehler gemacht, so auch bei diesen fünf Schülern. Doch angehoben wurde nur die Note des Sohnes des Schulamtsleiters. Über die anderen Fälle hat man nie gesprochen.
Die Ermittlungen haben letztlich die Intervention des höchsten Südtiroler Schulbeamten in allen Facetten bestätigt. Die Staatsanwaltschaft geht sogar davon aus, dass Vincenzo Gullotta gegenüber dem Schuldirektor Franco Lever die Entsendung von Inspektoren in den Raum gestellt habe, um die Neubewertung zu erreichen.
 
 

Das Hauptverfahren

 
Im Mai 2022 hat der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti Vincenzo Gullotta, dem Direktor der Bozner Mittelschule „Ugo Foscolo“, Franco Lever und dem Lehrer Francesco Migliaccio die Benachrichtigung über den Abschluss der Vorermittlungen zugestellt. Dem Trio werden Falschbeurkundung im Amt (Art 479 StGB - Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in atti pubblici) und Anstiftung zur Vorteilsannahme (Art 319 quater StGB - Induzione indebita a dare o promettere utilità) angelastet.
 
 
 
 
Die Anwälte der Beschuldigten verlangten - wie vom Gesetz vorgesehen - daraufhin die Anhörungen von mehreren Personen. Die Anhörungen fanden in den Sommermonaten statt. Nach Informationen von Salto.bz haben diese von der Verteidigung erwünschten Zusatzermittlungen aus der Sicht der Staatsanwaltschaft aber keinerlei entlastende oder ermittlungsrelevante Tatsachen zu Tage gefördert.
Deshalb hat Staatsanwalt Andrea Sacchetti bereits Mitte Oktober beim zuständigen Richter für die Vorerhebungen die Einleitung des Hauptverfahrens gegen Vincenzo Gullotta, Franco Lever und Francesco Migliaccio beantragt.
Man kann davon ausgehen, dass das Hauptverfahren gegen alle drei Beschuldigten Anfang 2023 eingeleitet wird.
Spätestens dann wird sich die Landesregierung aber ernsthaft fragen müssen, ob ein Schulamtsleiter, dem vor dem Landesgericht der Prozess gemacht wird, noch tragbar ist.