Erneuerbare Energiequellen

Vor einiger Zeit war ich bei einem Vortrag von Dr. Martin Greiner, einem Physiker, der zur Zeit in der “Aarhus School of Engineering and Institute of Mathematical Sciences” in Dänemark über den Einsatz und die Verteilung von erneuerbaren Energiequellen forscht. Der Vortrag von Dr. Greiner hat sehr nüchtern anhand der gesammelten Daten aufgezeigt, wie es möglich wäre den Energiehunger Europas ausschließlich mit erneuerbaren Energiequellen zu stillen.

Hier versuche ich seinen Vortrag kurz und verständlich zusammenzufassen. Hauptsächlich wird das auf die Veröffentlichung “Seasonal optimal mix of wind and solar power in a future, highly renewable Europe” von Heide et al. basieren.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
#turtelt_öko_logisch
Foto: von Elisabeth Frei

Heide et al. versuchen vor allem jene Frage zu beantworten welchen Mix zwischen Wind- und Solarenergie notwendig wäre, um den europäischen Energiebedarf zu decken. Diese Form der Energiegewinnung, die nur mittels erneuerbaren Energiequellen funktioniert soll, ist klarerweise sehr stark vom Wetter abhängig. Deshalb haben sich die Forscher europäische Wetterdaten angesehen, die sie im Zeitraum zwischen 2000 und 2008 gesammelt haben.

wind-only
Die Autoren nehmen zunächst einmal ein “wind-only” Szenario an, heißt: Windenergie als einzige Energiequelle in Europa. In Bild 1 sieht man, dass die Windenergie (blaue Kurve) vergleichsweise starken saisonalen Schwankungen unterworfen ist. Im Winter sind die Winde stärker als im Sommer. Dies trifft sich gut, denn der Energiebedarf (die rote “load” Kurve) ist mit der Windkurve in Phase, d.h. im Winter wird mehr Energie verbraucht, als im Sommer (es wird mehr geheizt, es wird früher dunkler, etc.). Wenn man die beiden Kurven miteinander vergleicht sieht man außerdem noch, dass im Winter mehr Energie produziert werden kann als nötig, bzw. im Sommer jedoch weniger produziert werden kann, als nötig. In einem “wind-only” Szenario führt dies nun dazu, dass die überschüssige Energie im Winter gespeichert werden muss, damit sie im Sommer zur Verfügung steht. Dies ist mit einem enormen (finanziellen und technischen) Aufwand verbunden, welchen die Autoren später noch beschreiben.

 

Bild 1: Verlauf der Wind- und Solarenergieproduktion in blau und gelb in den Jahren zwischen 2000 und 2008. Die rote Kurve stellt den Energieverbrauch (load) dar. Credit: Heide et al. 2010 Renewable Energy 35 (2010) 2483

solar-only
Stellt man sich ein “solar-only” Szenario vor, d.h. der Energiebedarf würde nur von Solarenergie gedeckt, dann kann man sich mal die gelbe Kurve in Bild 1 ansehen. Hier sieht man ganz schön, dass diese Kurve mit der load Kurve “antikorreliert”, d.h. im Sommer steht mehr Sonne zur Verfügung als im Winter. Gleichzeitig wird aber, wie oben bereits erwähnt, im Winter mehr Energie verbraucht, als im Sommer. Dies führt nun dazu, dass der Aufwand zur Energiespeicherung bzw. das zur Verfügung stellen der gespeicherten Energie noch um einiges aufwändiger wäre als im puren Wind-Szenario.

wind-plus-solar
Der logische Ausweg aus beiderlei Dilemma ist ein Mix beider Energiequellen. Was die Autoren dieser Studie finden ist, dass ein optimaler Mix aus ca. 50%-60% Wind- und 50-40% Sonnenenergie ideal ist, um den Energiebedarf so zu stillen, dass möglichst wenig Energie gespeichert und wieder zur Verfügung gestellt werden muss, sprich: dass die Energie genau dann produziert wird, wann sie auch tatsächlich gebraucht wird (siehe Bild 2).

Bild 2: Kombinierte Energieproduktion mittels 60% Windenergie und 40% Solarenergie. Rote Kurve wie in Bild 1. Credit: Heide et al. 2010 Renewable Energy 35 (2010) 2483

Die Energiespeicherung
Natürlich braucht es nach wie vor eine Energiespeicherung für jene Zeiten, wo gerade keine Sonne scheint und auch kein Wind weht. Die Forscher haben sich den Datensatz der in Bild 1 zu sehen ist genau angesehen und sich folgendes überlegt: Weht mehr Wind oder scheint mehr Sonne als nötig, stecke ich diese überschüssige Energie in einen Energiespeicher. Wird aber gerade zu wenig Energie von meinen Windrädern oder Photovoltaikanlagen produziert, so hole sie wieder aus der Speicherung raus. Man kann sich nun gut vorstellen, dass mal mehr und mal weniger Energie reingesteckt werden kann, bzw. rausgezogen werden muss, je nachdem wie stark gerade der Wind weht, oder wie wolkenlos der Himmel ist.
Das “Fülllevel” meiner Speicherung ist also auch Schwankungen unterworfen, die dem Wetter unterliegen. Um diese Schwankungen monatlich auszugleichen, sodass nie Energieknappheit auftritt, reicht es also nicht nur die “load” Energie zu produzieren, sondern es muss sogar 1.5 mal so viel Energie produziert werden, um die maximale Diskrepanz auszugleichen, welche zwischen 2000 und 2008 aufgetreten ist.
In anderen Worten sollten diese Anlagen also monatlich im Schnitt 1.5 mal mehr Energie produzieren als gebraucht wird.

Was zusätzlich bedacht werden muss: Eine Energiespeicherung bzw. eine Energierückgewinnung aus so einer Speicherung, ist nie perfekt (man spricht von Effizienz). Anders formuliert geht Energie bei jeder Speicherung und auch bei jeder Rückgewinnung verloren. Dies führt unweigerlich dazu, dass noch mehr Energie produziert werden muss, um diese Verluste zu kompensieren. Je nachdem für welche Art der Energiespeicherung man sich entscheidet (angesprochen werden Pumpwasserspeichwerke und Wasserstoffspeicher), bewegt sich dieser Extrabedarf zwischen 5% und 30%.

Angenommen man hätte nun eine solche wind-plus-solar-only Energieversorgung in Europa, kann man sich nun folgendes überlegen. Europa braucht im Jahr ca 3250 TWh an Energie (Energiebdarf im Jahr 2007). 55% davon sind 1780TWh, die mittels Windenergie produziert werden sollten. Dafür braucht es eine Windleistung von 670 GW (wenn man die Effizienz der Windanlage mit 30% angenommen wird). Die restlichen 1460 TWh, welche die Sonnenenergie produzieren soll, verlangen nach Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung ca. 810 GW (angenommen wird eine Effizienz von 21%).
Als Faustregel kann für die Energieproduktion mittels Windräder abgeschätzt werden, dass für die Leistung von 1 MW eine Fläche von 0.07km2 (auf dem Meer) bzw 0.11 km2 (im Landesinneren) gebraucht wird. 670 GW entsprechen damit einer Fläche von 50.000km2 bzw 75.000 km2 (zum Vergleich: Dänemark hat eine Fläche von 43.000 km2). Für die Photovoltaikanlagen berechnet sich die gebrauchte Fläche mittels der mittleren Sonnenstrahlung (169 W/m2) zu 5000 km2 (Die Gesamtfläche aller deutschen Hausdächer entspricht ca. 1330 km2).

Berücksichtigt man nun noch, dass Energie ja auch noch gespeichert werden muss, bedeutet das, dass mindestens 400 TWh im Monat zusätzlich zum “load” produziert werden müssen. Dies sind nicht vernachlässigbare Energiemengen. Deutschland hat im Moment nur die Möglichkeit ca. 0.19 TWh über Pumpwasserspeichwerke zu speichern (die Möglichkeiten der anderen Länder sind den Autoren nicht bekannt). Das ist noch sehr weit von den Anforderungen entfernt. Laut Heide et al., könnte eine mögliche zukünftige Lösung Wasserstoffspeicher sein. Ca. 2.5 km3 große Speicher wären allerdings notwendig, um die zusätzlichen 400 TWh zu speichern. Dies sind zwar große Volumina, aber durchaus realistisch.

Zusammenfassung
Die Arbeit von Heide et al. ist sehr interessant und zeigt auf, dass der Energiebedarf Europas mittels eines idealen Wind-und-Sonne Mix gedeckt werden kann. Sie zeigt weiters auf, dass bei einem “ausschließlich-erneuerbare-Energiequellen” Szenario vergleichsweise viel Energie gespeichert werden muss, um den auftretenden Wetterschwankungen entgegenzuwirken. Im Moment ist die Speicherkapazität in Europa noch sehr limitiert, allerdings könnten Wasserstoffspeicher die Lösung sein.
Im zweiten Teil der Arbeit beschränken sich die Forscher nicht nur auf erneuerbare Energiequellen, sondern nehmen in ihre Berechnungen auch noch fossile und nukleare Energieträger dazu. Was sie dabei finden, werde ich euch in einem 2. Posting erklären.

Quelle: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960148110001291

 

Bild
Profile picture for user Benno Kusstatscher
Benno Kusstatscher Ven, 07/12/2013 - 11:02

Manchmal sieht man vor lauter Zahlen das Problem nicht mehr. Ein modernes Konzept für erneuerbare Energien besteht natürlich aus weit mehr als nur Wind- und Sonnenkraft, und auch zur Zwischenspeicherung gibt es durchaus auch andere Ansätze als Pumpkraftspeicherwerke und Wasserstoff. Energiedaten sind leider mit rein mathematischem Blick nicht vollständig bewertbar. Mensch stelle sich einen Offshore-Windpark in der Nordsee, einen Großverbraucher in Nürnberg und ein kompensierendes Pumpkraftspeicherwerk in den Alpen vor, um sich die ökonomische und ökologische Perversität des Konzeptes zu veranschaulichen, aber auch mathematisch darf nicht unterschlagen werden, dass bei derartigem Energieferntransit auch der Wirkungsgrad der derzeit üblichen 380kV-Wechselspannungs-Überlandleitungen noch einmal kräftig zu Buche schlägt. Gut, dass die Entwicklung der Gleichspannungstransformation enorme Fortschritte macht und somit den effizienteren Gleichspannungs-Überlandleitungen die Wege geebnet werden, was sich aber auf die Akzeptanz von Überlandleitungen bei der Bevölkerung nicht unbedingt linear auswirken dürfte.

Pumpkraftspeicherwerken wird ein Wirkungsgrad von unter 80% nachgesagt. Das ist zwar gar nicht so schlecht, muss aber auch aus Sicht des technischen und ökologischen Aufwandes bewertet werden. Mag ein kombiniertes Sellrain-Silz-Kühtai-Kraftwerk ökonomisch hervorragend dazu geeignet sein, um Tagesspitzen zu glätten, mag der Pumpbetrieb der der Turbinen noch so genial und faszinierend sein, sind die zur Verfügung stehenden Speicherbecken in ihrer Größe aber doch begrenzt und der Temperaturunterschied des gepumpten Wassers ökologisch nicht unproblematisch. Reine Pumpkraftspeicherwerke, wie sie hierzulande gelegentlich unterirdisch angedacht werden, können mit den immerhin ~63.000.000 m³ Nutzinhalt der Finstertal- und Längentalspeicher kaum mithalten. Damit spreche ich ihnen aber keineswegs die Notwendigkeit oder die ökonomische Sinnhaftigkeit ab. Ich sehe nur die Wirksamkeit nicht, wenn es gilt, mehrtägige Wind- und Sonnenflauten zu überbrücken. Trotzdem könnten sie als Tagesspitzenglätter den besten Beitrag darstellen, den die Alpenländer dem europaweiten Energiemix zur Verfügung stellen könnten.

Wasserstoffspeicher scheinen diesbezüglich Potenzial für Vorteile zu bergen. Die beschriebenen 2.5km³ Speicher, um die zitierten 400TWh vorzuhalten, entsprechen gerade einmal dem Speichervolumen von 24 Reschenstauseen. Das sollte europaweit doch zu bewerkstelligen sein. Ein Vorteil liegt darin, dass die Zwischenspeicher genau dort gebaut werden könnten, wo das Stromnetz den größten Schwankungen ausgesetzt ist. Ein weiterer ist, dass Wasserstoff so wie Methan oder Öl sich auch ohne weiteres zur Langzeitspeicherung eignet. Unnötige Leitungen und Transformationen entfallen und auch der Wirkungsgrad liegt tendenziell etwas höher als bei Pumpkraftspeicherwerken.

Schließlich sollte noch erwähnt werden, dass auch das Stromnetz selbst eine Pufferwirkung hat. Sowohl Wind- als auch Sonnenkraft sind lokalen Wettersystemen ausgesetzt. Je großräumiger die Energiequellen verteilt sind, umso weniger Bedarf an tatsächlicher Speicherung gibt es. Zum Beispiel kann eine ~1600km lange Ost/West-Leitung (24.000km / 24h) die Mittagsspitze um eine Stunde kompensieren.

Ven, 07/12/2013 - 11:02 Collegamento permanente