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Enfant Terrible

Dieses Jahr wäre Rainer Werner Fassbinder 75 Jahre alt geworden. Oskar Roehler verbeugt sich in seinem neuen Werk vor dem großen Regisseur des Neuen Deutschen Films.
Fassbinder
Foto: Roehler

Auf dem Weg zum 75. Geburtstag hat Rainer Werner Fassbinder ab etwa der Hälfte Abschied vom Leben genommen. Der Grund dafür ist mannigfaltig… Alkohol, Drogen, Schlafmangel, und, nicht zuletzt, Überarbeitung. 40 Spielfilme, 24 Theaterstücke, zwei Fernsehserien, vier Hörspiele, drei Kurzfilme. Und das in nur etwa 15 Jahren. Fassbinder war ein Kaliber von ungewöhnlichem Format. Er revolutionierte das Deutsche Kino und legte den Fokus auf jenen Teil der Bevölkerung, der sonst vielleicht nicht thematisiert wird. Seine Figuren waren die Außenseiter der Nation. Gewissermaßen kann man bei Fassbinder von einem Chronisten Deutschlands der 70er und frühen 80er Jahre sprechen. Nun, das ist ja gewiss alles bekannt, nun hat sich ausgerechnet Oskar Roehler dazu berufen gefühlt, einen Film über das Leben und Schaffen eines seiner Vorbilder zu drehen. Denn das ist Fassbinder gewiss – ein Vorbild in vielerlei Hinsicht. Nicht zuletzt die Lust an der Provokation, das Spiel mit heiklen Themen und Ansichten und die radikale Arbeitsweise vereinen Fassbinder und Roehler. Der Titel dieses neuen Films, „Enfant Terrible“ würde auch Roehler gut stehen, wenngleich seine Filme weitaus weniger Wirkung und Gewichtung in der aktuellen Kinolandschaft haben.

Wie nähert sich Roehler also dem Thema an? Nun, zunächst sei gesagt, das Drehbuch vom verstorbenen Auto Klaus Richter beschränkt sich auf die Jahre Fassbinders als Regisseur. Wir erfahren nichts über seine Herkunft, die Kindheit und Jugend, vielmehr steigt der Film inmitten chaotischer Proben des „Actionheaters“ ein. Schon damals fiel der junge Fassbinder durch sein forsches Verhalten und die Kompromisslosigkeit seiner Inszenierungen auf und schaffte es dennoch, einen Clan treuer Mitarbeiter, vornehmlich Schauspieler um sich zu scharen. Mit einigen von ihnen, so etwa Hanna Schygulla, arbeitete Fassbinder beinahe seine gesamte Karriere lang. Ausgerechnet sie taucht in Roehlers Film nicht auf, zumindest nicht namentlich, wohl aus rechtlichen Gründen, trotzdem ist sie in einer Figur deutlich zu erkennen. Das gilt auch für andere Charaktere, Leute wie Kurt Raab werden aber genauso genannt und schauen ihren wahren Vorbildern zum Verwechseln ähnlich. Dasselbe kann man über Rainer Werner selbst sagen, der von Oliver Masucci verkörpert wird. Hitler, Fassbinder, Masucci traut sich in den letzten Jahren an die großen Namen der deutschen Geschichte. Und er präsentiert dem Publikum einen Fassbinder, der in allen Maßen gelungen daherkommt, sowohl was Aussehen, Auftreten, Verhalten und Duktus betrifft. Oft vergisst man die kleinen Unterschiede, die die Illusion von der Perfektion abhalten. Da spielt auch mit rein, dass Roehler sich wenig um historische Akkuratesse schert. Alle Figuren sind von Anfang an eigentlich viel zu alt, Fassbinder sollte 1969 23 Jahre alt sein, sieht aber bereits aus wie mit 35. Roehler zeigt uns den Filmemacher, den wir in Erinnerung behalten werden, schmierig, zottelig, verschwitzt, mit seiner Lederjacke und der Brille, und der omnipräsenten Zigarette.

 

Enfant Terrible | Offizieller Trailer HD | Ab 1. Oktober im Kino

 

Die große Stärke von „Enfant Terrible“ ist das durchweg passend besetzte Ensemble, das wie der Fassbinder Clan, nur eben für Oskar Roehler funktioniert. Es bewegt sich durch theaterartige Kulissen, die keinen Hehl darum machen, dass sie eben das sind. Türen und Fenster, Räume, deren Wände und Mobiliar größtenteils flach und aufgemalt sind. Der komplette Film wurde im Studio gedreht. „Alles ist Film“, sagt Fassbinder irgendwann und meint damit auch jenen, in dem er sich als dramatisierte Figur befindet. Naturalismus ist kein Anspruch, sollte es bei diesem Thema auch nicht sein. Knallige, bunte Farben unterstreichen die Theater-Ästhetik, lange Schatten fallen auf den Boden. „Enfant Terrible“ funktioniert wie ein Spielwiese, ist eine Hommage und eine Verbeugung, scheut jedoch nicht vor der Wahrheit. Letztlich wird Fassbinder nicht nur als das Genie gezeigt, als das er erst spät anerkannt wurde, sondern auch als der Tyrann, der selbstsüchtige, herrische und cholerische Mensch, der er war. Jemand, der sich selbst und seinen Mitarbeitern keine Pause gönnt, der immer weiter arbeitet und einfordert, wonach er verlangt. Wer sich dem verweigert, bleibt auf der Strecke. Ein Künstler wie Fassbinder würde heutigen moralischen Standards unter keinen Umständen standhalten. Vielleicht hat er genau zur richtigen Zeit gelebt und vielleicht war auch der Zeitpunkt seines Todes Teil des Gesamtkunstwerkes. Rainer Werner Fassbinder, durch die Augen von Oskar Roehler: Ein anarchisches Porträt, dessen Existenz in der Kinolandschaft des Jahres 2020 das eigentlich verwunderliche ist.