Economia | Justiz

Die Akte Sparkasse

Die Staatsanwaltschaft erhebt gegen die frühere Führungsspitze der Sparkasse Anklage wegen erschwerten Betruges, Kursmanipulation und Irreführung der Aufsichtsbehörden.
Die vier Herren haben eine Gemeinsamkeit.
Sie sind alle nicht mehr für die Südtiroler Sparkasse tätig. Norbert Plattner arbeitet mit 79 Jahren immer noch als Wirtschaftsberater, Peter Lothar Schedl ist als Manager wieder für die Deutsche Bank tätig, Richard Maria Seebacher ist in Rente und Sergio Lovecchio arbeitet inzwischen als Generaldirektor der öffentlichen „Euregio Plus SGR“.
Das Quartett wird jetzt aber von der eigenen beruflichen Vergangenheit eingeholt. Alle vier waren jahrelang an der Spitze der Südtiroler Sparkasse tätig. In dieser Funktion erhebt die Bozner Staatsanwaltschaft gegen sie schwerwiegende Anschuldigungen.
Die Ermittlungen um die Millionenverluste der Sparkasse starteten vor Jahren noch unter dem damaligen Bozner Oberstaatsanwalt Guido Rispoli. Rispolis Nachfolger Giancarlo Bramante und der stellvertretenden Staatsanwalt Igor Secco haben am 12. Februar 2020 den Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens gegen Plattner, Schedl, Seebacher und Lovecchio gestellt.
Im Antrag werden auf 23 Seiten den vier ehemaligen Sparkasse-Funktionären gleich eine ganze Reihe von mutmaßlichen Straftaten angelastet: Fälschung der Informationsbroschüre für Anleger (falso in prospetto – Art. 173 D.Lgs 58/1998, StGB Art 100, 112), Kursmanipulation (Aggiotaggio – ZGB Art. 2637, StGB 61, 81, 110), wahrheitswidrige Mitteilungen an die Aufsichtsbehörde (false communicazioni all´autorità di pubblica vigilanza – StGB Art. 61, 81, 110, 112, sowie ZGB Art. 2638 und 2639) und vor allem schwerer Betrug (truffa agravata - StGB Art. 640).
Noch vor der Corona-Krise hat Richterin Carla Scheidle die Vorverhandlung für den 6. Mai 2020 festgesetzt. An diesem Tag wird sich entscheiden, ob es zu Einleitung des Hauptverfahrens gegen das Kleeblatt kommt.

Die Ermittlung

 
Der Ermittlungsakt 319/17 ist über 1.000 Seiten stark. Fünf Jahre lang ermittelten die Carabinierisondereinheit ROS und die Bozner Finanzwache. Es wurden dabei Dokumente und mehrere Terabyte an Daten am Hauptsitz der Sparkasse beschlagnahmt. Neben Dutzenden Zeugenbefragungen griffen die Ermittler dabei auch auf Lauschangriffe zurück. So wurden Beschuldigte zum Beispiel bei einem Essen in einem Bozner Restaurant abgehört.
Zusätzlichen Schub erhielten die Ermittlungen durch die Eingabe der Verbraucherzentrale Südtirol. Dort legte Rechtsanwalt Massimo Cerniglia über 50 konkrete Fälle von geprellten Kleinaktionären vor, die in der Ermittlung der Staatsanwaltschaft als Geschädigte zugelassen wurden. 
 
 
Mehrmals wurden im Laufe der Ermittlungen nicht nur Kreis der Personen gegen die ermittelt wurde eingeengt, sondern auch die strafrechtlichen Ermittlungshypothesen geändert. Nach Informationen von Salto.bz waren sich die Ermittler dabei nicht immer einig, in welche Richtung die Ermittlung gehen sollte.
Das Duo Giancarlo Bramante und Igor Secco hat sich am Ende für eine wasserdichte Anklage entschieden. Der Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens beruht vor allem auf die Erhebungen und Schlussfolgerungen in den vertraulichen Inspektionsberichten der Banca D' Italia und der Börsenaufsicht (CONSOB), sowie auf das Gutachten des von der Staatsanwaltschaft eingesetzten Sachverständigen Maurizio Silvi. Silvi langjähriger Vizedirektor der Bozner Niederlassung der Banca D’Italia und bereits bei Bankenermittlungen in Norditalien als Experte verschiedener Staatsanwaltschaften tätig, hat in einem 86 Seiten langen Bericht schon vor dreieinhalb Jahren haarsträubende Details über die Arbeit der frühere Sparkassen-Führung um den damaligen Präsidenten Norbert Plattner herausgearbeitet.

Der Aktienverkauf

 
Im Zentrum der Anklage steht die Kapitalerhöhung der Sparkasse im Jahr 2012. Die Sparkasse legte damals 450.000 neue Aktien auf. Der Preis pro Aktie: 210 Euro. Die Stiftung Sparkasse zeichnete 178.471 Aktien. Das war deutlich wenig als bei allen Kapitalerhöhungen davor und danach. In den Ermittlungsakten liegt auch der Grund dafür.
In einem „vertraulichen Schreiben“ des damaligen Stiftungspräsidenten Gerhard Brandstätter an den damaligen Sparkassen-Generaldirektor Peter Schedl, äußert Brandstätter offen Bedenken wegen der geringen Ertragsfähigkeit der Bank und Zweifel an der strategischen Ausrichtung der Bank. Deshalb würde die Stiftung nur jene Aktien übernehmen, die die Bank nicht anderweitig platzieren kann.
 
 
Die damalige Führung der Sparkasse schlug diesen Zwischenruf aber ganz einfach in den Wind. Man verkaufte den Großteil der Aktien an private Kleinaktionäre. In der Anklageschrift wird dabei auch nachgezeichnet wie die Sparkassenführung das zuständige Personal unter Druck gesetzt hat, die Aktien an den Mann und die Frau zu bringen. Vor allem aber wird dokumentiert mit welchen Tricks und Kunstgriffen man generalstabsmäßig die gesetzlichen Bestimmungen und Auflagen der Aufsichtsbehörden umging. 
Dabei werden als besonderes Beispiel namentlich zehn Fälle von Aktienkäufern zwischen 84 und 94 Jahren angeführt, denen durch den Aktienkauf erheblicher Vermögensschaden entstanden ist. Darunter ein Ehepaar, der Mann 93 Jahre alt und die Frau 83 Jahre alt, die 105.000 Euro investierten. Oder ein 93-jähriger Mann, der sogar um 195.300 Euro Aktien erwarb.
Bramante und Secco kommen zum Schluss, dass diese Machenschaften den Strafbestand des erschwerten Betruges erfüllen.

Vorgetäuschter Gewinn

 
Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Sparkasse-Präsidenten Norbert Plattner, dem Ex-Generaldirektor Peter Schedl und dessen Stellvertreter und Verantwortlichen für den Kreditbereich Richard Seebacher aber auch vor, die Bilanzen der Bank in Hinblick auf die Kapitalerhöhung bewusst geschönt zu haben. Im Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens wird wörtlich von einem „vorgetäuschten Nettogewinn“ in der Halbjahresbilanz 2012 gesprochen.
Zudem hätte es die damalige Bankenführung unterlassen im Informationsprospekt für die Kapitalerhöhung die Kreditausfälle und Verluste rund um die Fondsverwaltungstochter „Reatia SGR AG“ anzugeben, sowie Dutzende namentlich angeführte Kreditpositionen von Unternehmen und Firmen unterschlagen zu haben, die nicht mehr einbringbar waren. Die Ermittler quantifizieren allein diese nicht angegebenen Abwertungen mit über 60 Milllionen Euro.
 
 
Sergio Lovecchio war 2012 einer der Verantwortlichen für die Bilanzerstellung und namentlich auch der Sparkassen-Manager, der für die Zusammenstellung des Informationsprospektes für die Kapitalerhöhung verantwortlich war. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit den anderen drei Angeklagten bewusst und systematisch die Börsenaufsicht CONSOB und auch die Banca D´Italia durch falsche Angaben getäuscht zu haben.
In der Anklageschrift werden aber auch rund ein Dutzend Presseaussendungen und Medienberichte angeführt, in denen die damalige Sparkassenspitze nach Ansicht der Ermittler während der Kapitalerhöhung bewusst falsche Informationen verbreitet hätte, um den Kauf der Aktien anzutreiben. Deshalb auch der Anklagepunkt der Kursmanipulation (aggiotaggio).
 

Der entscheidende Haken

 
Die beiden Staatsanwälte Giancarlo Bramante und Igor Secco haben eine sachliche aber durchaus harte Anklage aufgebaut. Dennoch hat dieser Gerichtsfall einen entscheidenden Haken. Das Ganze wird für die vier mutmaßlichen Angeklagten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit keinerlei strafrechtliche Folgen haben. Auch dann wenn Voruntersuchungsrichterin Carla Scheidle das Hauptverfahren gegen die vier Ex-Sparkassenfunktionäre einleiten sollte.
Der Grund: Die meisten mutmaßlichen Straftaten wurden 2012 verübt, weil die Ermittlungen aber fast fünf Jahre gedauert haben, verjähren die Strafbestände zwischen dem 25. März und dem 9. Oktober 2020. Das heißt es dürfe nicht einmal zur Prozesseröffnung kommen.
Die Strafbestände verjähren zwischen dem 25. März und dem 9. Oktober 2020. Das heißt es wird nicht einmal zur Prozesseröffnung kommen.
Diese absurde Situation kommt indirekt auch der Sparkasse zugute. Sollte es zum Prozess gegen Plattner & Co kommen, zeichnet sich eine öffentliche Schlammschlacht im Gerichtssaal ab. „Man hat uns als Bauernopfer herausgezogen“, sagte einer der vier Angeklagten schon vor Monaten zu Salto.bz. Die Verteidigungsstrategie ist klar. Man will vor Gericht aufzeigen, dass der Kreis der Verantwortlichen weit größer war und ist.
Genau das würde der Bank auf jeden Fall alles andere als positive Schlagzeilen einbringen.

Zwei Fronten


Die amtierende Sparkassen-Führung möchte derzeit die Entwicklungen an der Gerichtsfront nicht kommentieren. „Wir behalten uns vor die Lage dann zu analysieren, wenn wir offiziell alle Informationen zum Stand der Ermittlungen erhalten haben“, ersucht der amtierende Generaldirektor der Sparkasse Nicola Calabró um Nachsicht. 
 
 
Dabei dürfte das Urteil der Voruntersuchungsrichterin gleich an zwei anderen Fronten mitentscheidend sein.
Bereits vor Jahren hat die Sparkasse eine Haftungsklage gegen die frühere Führungsriege eingebracht. Seit gut eineinhalb Jahren verhandelt man über einen gerichtlichen Vergleich. Nach Informationen von Salto.bz hat der Verwaltungsrat der Sparkasse ein Vergleichangebot vor kurzem angelehnt.  Die Einleitung des Hauptverfahrens und eine formelle Anklageerhebung würde hier die Position von Brandstätter & Co noch einmal deutlicher stärken. 
Ebenso hoffen die Verbraucherschützer auf die Einleitung des Hauptverfahrens. 53 Aktionäre wurden bereits als Nebenkläger in diesem Strafverfahren zugelassen. Eine Anklageerhebung hätte hier direkte Auswirkungen auf die angekündigten Zivilverfahren.
Das mögliche Ergebnis dabei: Die amtierende Bankenführung müsste dann für die Vergehen ihrer Vorgänger zahlen.