Ambiente | Interview

Sich mit dem Wandel versöhnen

Was der Klimawandel mit dem Planeten macht ist klar. Doch was macht er mit unserer Seele? Psychologe Richard Stiegler über die innere Dimension von Veränderung.
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Richard Stiegler
Foto: @web

Herr Stiegler, Als Psychotherapeut leiten Sie Ausbildungsgruppen in Transpersonaler Prozessarbeit und Meditationsgruppen. Belastet der Klimawandel die Menschen?
Richard Stiegler: Ich bekomme immer wieder mit, wie die ökologische Krise ein Thema ist, das die Menschen umtreibt. Manche fühlen eine diffuse Bedrohung, andere reagieren mit Ärger auf die laschen Maßnahmen der Regierungen und wieder andere engagieren sich in ökologischen Bewegungen. Die Begründerin von „Omas for future“, Cordula Weimann, ist zum Beispiel auch eine Teilnehmerin meiner Kurse, die Enkelkinder hat. Sie spricht die Generation 50 plus an und motiviert sie dazu, aktiv den notwendigen Wandel zu gestalten. Ein wunderbares Beispiel dafür, wieviel man bewegen kann, wenn man sich bewegt.
 

Sie raten zu einer seelischen bzw. einer inneren Auseinandersetzung mit dem Klimawandel. Wie sieht die aus und warum ist sie wichtig?


Der Klimawandel ist eine riesige Welle der Veränderung, die auf uns zurollt. Diese wird unsere Gesellschaft und das Leben jedes einzelnen Menschen, ob wir das wollen oder nicht, verändern.

Das ist nicht nur eine äußere Aufgabe, sondern fordert uns auch innerlich heraus. Veränderungen macht uns Angst oder lösen Verlustgefühle von liebgewonnenen Gewohnheiten aus. Manchmal reagieren wir mit Wut oder Rebellion. Wenn wir uns nicht den inneren Prozessen in Krisen widmen, können sich Gefühlsreaktionen wie Angst oder Wut verhärten und wir bleiben in Abwehrreaktionen stecken. Das kostet uns eine Menge Lebensenergie und kann zu Depressionen, Süchten und destruktiven Verhaltensmustern führen. Daher ist es ungeheuer wichtig, dass diese sehr menschlichen inneren Reaktionen begleitet werden, damit wir uns mit dem notwendigen Wandel versöhnen können. Wenn wir wieder innerlich im Einklang sind, haben wir auch die Kraft, eigenverantwortlich und selbstwirksam zu handeln. Wir sind dann nicht mehr das Opfer der Umstände.

Trotzdem findet diese psychische Dimension der bevorstehenden Umbrüche kaum Platz im öffentlichen Diskurs. Warum sprich niemand darüber?
In der Öffentlichkeit wird grundsätzlich wenig über innere Prozesse gesprochen. Man sieht das gerade in der Corona-Pandemie. Diskutiert wird über Meinungen, ob Impfung sinnvoll ist oder nicht. Aber niemand spricht darüber, welche Gefühle die einzelnen Personen zum Impfen oder zur Krankheit haben. Solange aber die Erfahrungen und Gefühle, die eine Person zu einem Thema hat, nicht bewusst werden, und solange sie nicht mitgeteilt werden, können wir diese Person nicht wirklich verstehen. Daher sind all die oberflächlichen Diskussionen über das Impfen zurzeit so fruchtlos und manchmal sogar spaltend.

Viele Menschen leben so, als gäbe es Klimawandel nicht. Manche leugnen ihn ganz, andere erkennen ihn zwar an, aber werden nicht aktiv oder belächeln Klimaaktivismus als übertrieben. Wie erklärt sich dieses Verhalten?
Wir lesen zwar in unseren Zeitungen über den Klimawandel und sehen betroffen, wie die Gletscher verschwinden, aber uns selbst betrifft er meistens noch nicht. Das liegt daran, dass wir immer noch nicht für Konsumprodukte oder für unsere Mobilität den tatsächlichen Preis zahlen, um die ökologischen Folgen auszugleichen. „Die Natur stellt nämlich keine Rechnung,“ wie Cordula Weimann von „Omas for future“ immer wieder sagt. Diesen Preis werden dann unsere Kinder und Enkel zahlen müssen. Die meisten Menschen machen sich immer noch nicht bewusst, welche dramatischen Auswirkungen unsere jetzige Lebensführung für das Leben der nachfolgenden Generationen haben wird. Die andere Seite der Verdrängung ist der Aktivismus.

Klimaaktivismus ist also im Grunde genauso sinnlos wie Resignation?
Auch der Aktivismus, der aus einer Verzweiflung entsteht, ist eine Art der Kompensation und genauso wenig hilfreich wie eine Haltung, bei der wir den Kopf in den Sand stecken. Aktivismus neigt immer dazu, mit aller Macht Veränderungen herbeiführen zu wollen und entsprechend gegenüber sich selbst oder anderen Menschen mit großer Härte vorzugehen. Daher ist der Aktivismus selbstgerecht und vom Wesen her narzisstisch. Das kann sehr schnell in Resignation oder in Hass umkippen, wenn man merkt, das man die Welt nicht verändern kann.

Warum ist es für Leute so schwer, ihre Gewohnheiten nachhaltiger zu gestalten?
Grundsätzlich sind Gewohnheiten hartnäckig und sehr schwer zu ändern, da sie zu automatischen Mustern werden und entsprechend einrasten. Das gilt für gesellschaftliche Systeme genauso, wie für das eigene Leben. Solange ein Muster eingerastet ist und funktioniert, braucht es sehr wenig Energie und kaum Aufmerksamkeit. Veränderungen jedoch kosten uns viel Aufmerksamkeit und sind entsprechend kraftraubend. Daher finden Veränderungen erst statt, wenn das bestehende System zusammenbricht oder wenn die Bedrohungslage so groß ist, dass wir sie nicht mehr verdrängen können. Das ist leider bei der Klimakrise ein großes Problem, da es um langfristige Wirkungen geht, die unser jetziges System erst viel später zusammenbrechen lässt. Dann ist es allerdings zu spät, denn dann werden die Kipppunkte bereits ausgelöst sein und der Klimawandel unumgänglich. Wir müssen uns also aus eigener Kraft und eigener Einsicht verändern. Das ist möglich. Es ist aber eine wirklich große Herausforderung für uns Menschen.

Wie kann man dieses Gefühl der Ohnmacht in eine konstruktive Kraft umwandeln?
Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass wir Ohnmachtsgefühle grundsätzlich in unserem Leben abwehren, aber dass sie nicht die eigentliche Bedrohung darstellen. Im Gegenteil, wenn wir Ohnmacht zulassen, können wir dadurch innerlich verwandelt werden. Wir bekommen dann einen tiefen Kontakt zu uns selbst – zu unserer Seele und dem, was uns wirklich wesentlich im Leben ist. Diese Erfahrung machen Menschen immer wieder, wenn sie mit existentiellen Grenzen, also mit Tod, mit Krankheit oder mit Lebensumbrüchen konfrontiert werden, die sie nicht ändern können.

Wie motivieren wir Menschen dazu, ihre Gewohnheiten nachhaltiger zu gestalten?
Nur die Liebe hat die Kraft, freiwillig zu verzichten. Was tun Eltern nicht alles für ihre Kinder? Nur wenn wir die Verbundenheit mit der Schöpfung empfinden und die Kostbarkeit der Natur spüren, werden wir bereit sein, unser Leben so zu verändern, dass wir nicht weiter auf Kosten der Natur und unserer Kinder leben.

Oft herrscht dieses frustrierende Gefühl, als Einzelner sowieso nichts bewirken zu können. Was antworten Sie darauf?


Wir müssen nicht die Welt retten. Wir müssen nicht die Gesellschaft oder die Wirtschaft verändern. Es genügt, wenn wir unser persönliches Leben so leben, dass wir nicht die Erde und unsere Kinder belasten.

Das ist der erste und wichtigste Schritt, da wir dann kongruent mit dem sind, was für uns kostbar ist. Dann sind wir auch glaubwürdig und unser Beispiel wird über unser persönliches Leben hinauswirken. Tatsächlich hat jeder Mensch die Möglichkeit, ab heute klimaneutral zu leben. Wir müssen nicht auf die Zukunft warten und auch nicht auf die Politik. Wir können in unserem Leben Verantwortung übernehmen und so leben, dass wir mit dem im Einklang sind, was uns wichtig ist. Ist das nicht zutiefst hoffnungsvoll?

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Dieser Blog wird von der Autonomen Provinz Bozen und vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.