Politica | Wahlen/elezioni 23

„Die Leute schmeißen einfach hin“

Das Chaos in der Sanität muss ein Ende haben, sagt der praktizierende Hausarzt Eugen Sleiter, der für das Team K kandidiert. Unter anderem will er die Bezirksdirektionen abschaffen.
Eugen Sleiter
Foto: Team K
  • SALTO: Herr Sleiter, Sie haben kürzlich erklärt, dass Sie nicht in die Politik gehen würden, wenn die Sanität funktionieren würde. Wie würden Sie den Lesern erklären, wo es hapert?

    Eugen Sleiter: Ich war früher Gewerkschaftsvertreter der Hausärzte und habe mich damals schon für machbare und leicht umsetzbare Vorschläge eingesetzt. Ein Beispiel: Ein multifragiler Patient nimmt einen Termin bei mir wahr und ich verschreibe ihm bestimmte Facharztvisiten. Wenn ich die Möglichkeit hätte, Einsicht in den einheitlichen Vormerkkalender (CUPP) zu nehmen, dann wüsste ich augenblicklich, an welchen Facharzt ich ihn verweisen könnte und wann der nächste Termin frei ist. Ich könnte dem Patienten sozusagen einen Rundum-Service bieten. 

    Was wurde aus Ihren Vorschlägen?

    Ich habe versucht, die Vorteile eines solchen Systems sowohl Landesrätin Martha Stocker wie auch ihrem Nachfolger Thomas Widmann zu erklären. Es wäre eine einfache Lösung. Stattdessen hat man eine einheitliche Vormerkstelle geschaffen ungefähr nach dem Motto „einheitliche Nummer leichtgemacht und die Wartezeiten schwergemacht“. Weshalb muss man Unsummen ausgeben, um für diese neue Stelle Werbung zu machen. Die einheitliche Nummer mag für viele Bürger leicht handhabbar sein, aber nicht für Rentner, die nicht wissen, welche weiterführenden Nummern sie drücken müssen und dann entnervt auflegen. Zudem funktioniert das Vormerksystem derzeit nur für programmierte Visiten, weshalb ich, wenn es notwendig ist, so Termine für meine Patienten vormerken kann – allerdings ist der Ablauf sehr umständlich. Für differierte und priorisierte bzw. dringende Visiten funktioniert dieses System allerdings nicht. 

  • „Die Situation hat sich verschlechtert, weil jeder versucht, für seinen Patienten das Beste zu tun.“

  • Braucht der Patient eine dringende Visiten, die innerhalb von acht Tagen zu erfolgen hat, muss man das über einen Telefonanruf erledigen. Nachdem die Wartezeiten sich aber verlängert haben, sind viele Hausärzte dazu übergegangen, dringende Visiten zu verschreiben, was dazu geführt hat, dass es auch hier zu immer längeren Wartezeiten kommt. Aus acht Tagen ist mittlerweile ein Monat geworden und wenn tatsächlich ein Patient dringend Hilfe benötigt, dann schickt man ihn in die Erste Hilfe. Die Situation hat sich verschlechtert, weil jeder versucht, für seinen Patienten das Beste zu tun. 

  • Eugen Sleiter: „Die Verantwortlichen können gerne einmal in meiner Praxis vorbeikommen und kontrollieren, ob ich tatsächlich zu viel aufschreibe.“ Foto: SALTO

    Angeblich verschreiben die Hausärzte zu viel und das Falsche obendrein.

    Das habe ich auch erst vor Kurzem im Alto Adige gelesen, wo Landeshauptmann Arno Kompatscher dahingehend zitiert wurde. Die Verantwortlichen können gerne einmal in meiner Praxis vorbeikommen und kontrollieren, ob ich tatsächlich zu viel aufschreibe. Viele Patienten konsultieren mittlerweile Privatärzte, die zwar eine Untersuchung machen, aber keine weiteren Maßnahmen verschreiben können. Das heißt, dass sie wieder zu uns Hausärzten kommen müssen und in der Regel geschieht das mit einer ganzen Liste von Untersuchungen, die angeblich notwendig sind und die wir „umschreiben“ sollen. Zu allem Überfluss kommt noch, dass wir untereinander nicht vernetzt sind und es dann tatsächlich vorkommen kann, dass beispielsweise Thorax-CT’s doppelt gemacht werden, weil ich eben keine Einsicht in die Unterlagen habe. Die Patienten werden von einer Stelle zur nächsten geschickt und die Wartezeiten werden dadurch künstlich nach oben geschraubt. Im Vergleich zu vor zehn Jahren sehe ich heute – das kann ich auch belegen – die Patienten doppelt so oft. Und so passieren dann auch Fehler, wenn niemand vom anderen weiß, was erledigt wurde und was noch ansteht.

    Hat irgendjemand einen Überblick über dieses Chaos?

    Nein.

  • Die Gesundheitsversorgung besteht darin, sich planlos von einem Tag zum nächsten zu retten?

    Ich verstehe es selbst nicht.

    An und für sich sollte das digitale Vormerksystem, so wie in der Nachbarregion Trient, doch eigentlich eine Erleichterung sein. 

    Ja, wenn unser System funktionieren würde, wäre es tatsächlich hilfreich. Zusätzlich ist geplant, mit dem digitalen Sanitätsausweis den nächsten Schritt zu vollziehen. Allerdings gibt es hier erhebliche Probleme mit der Privacy bzw. ist das System noch nicht ausgereift. Wir müssen anscheinend als Versuchskaninchen herhalten, weshalb ich diese Software derzeit auch nicht nutze. Wenn alles gut laufen würde, würde ich ja niemals kandidieren. Nur sehe ich halt unzählige Baustellen und ich verstehe die dafür zuständigen Politiker nicht. Wahrscheinlich brauchen sie zwei bis drei Jahre, bis sie sich in die Thematik eingearbeitet  haben und wenn sie sie verstanden haben, werden sie durch die nächsten Wahlen wieder abgelöst. 

  • „Wenn alles gut laufen würde, würde ich ja niemals kandidieren.“

  • Eugen Sleiter: „Über die Partei-Räson hinaus, sollte man nach den Wahlen zusammenarbeiten und es sollte keine Rolle spielen, ob man Mitglied der SVP oder des Team K ist.“ Foto: SALTO

    Was passiert Ihrer Meinung nach auf der politischen Ebene?

    Der ehemalige Sanitätslandesrat Thomas Widmann erklärt zwar, dass unter seiner Führung viel vorangebracht wurde, tatsächlich hat es einen Stillstand gegeben. Im Hintergrund wiederum trat vor allem Hubert Messner als Berater auf, der zwar vom Krankenhaussystem viel Ahnung hat, jedoch nicht vom Territorium. Über die Partei-Räson hinaus, sollte man nach den Wahlen zusammenarbeiten und es sollte keine Rolle spielen, ob man Mitglied der SVP oder des Team K ist. Viele Entscheidungen werden anscheinend nur aus einem politischen Kalkül heraus getroffen, ob die Bürger davon profitieren, ist nur von zweitrangiger Bedeutung. Angeblich haben auch die Verantwortlichen verstanden, dass es ein Problem gibt, nur frage ich mich, weshalb keine Lösungen vorgeschlagen und umgesetzt werden. 

    Woran liegt es? An der Beamtenschaft? Der Verwaltung?

    Ich denke, es braucht mehr Führungskraft von oben. Wir brauchen eine klare Ausrichtung, die von einem Assessor an den nächsten weitergegeben wird. Wir haben dagegen ein „Alpha-Tier-Verhalten“, wo jeder Landesrat diesem Ressort seinen Stempel aufdrücken möchte. Theiner wollte unbedingt die Medical School, Martha Stocker wollte die kleinen Krankenhäuser dicht machen und Thomas Widmann wollte ein Riesen-Paket mit unzähligen Konventionierungen schnüren. Durch diese Fokussierung ist offensichtlich der Blick auf das Wesentliche und das Große Ganze verloren gegangen. Mein Rat wäre: kleine Schritte, die aber umgesetzt werden sollen. 

    Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Assessorat und Sanitätsbetrieb?

    Es ist in meinen Augen ein Machtkampf. Unter Widmann traf das auf alle Fälle zu. Er war jemand, der seine Anliegen umsetzen wollte und weniger auf die Mitarbeiter gehört hat. Wie ich vor Kurzem erfahren hat, hat er auch an wichtigen Sitzungen nicht teilgenommen, obwohl er sich nach außen hin als Macher präsentiert und als jemand, der anderen Feuer unterm Hintern macht. Das trifft aber überhaupt nicht zu. 

    Innerhalb kurzer Zeit haben 17 Fachärzte das Krankenhaus Meran verlassen. Weshalb? 

    Der letzte, der gekündigt hat, ist der bekannte Urologe Christoph Gamper. Es gibt  nun niemanden mehr, der noch Blasen-Tumore operieren kann. Wir stehen nun vor einem großen Problem. Anscheinend weiß auch Landeshauptmann Kompatscher, dass im Krankenhaus von Meran eine, wie er es nannte, betrübte Stimmung herrscht. Die Stimmung ist aber weit mehr als betrübt: Die Leute schmeißen einfach hin und gehen, weil der Betrieb nicht in der Lage ist, diese Leute zu motivieren. Und es ist die Aufgabe des Generaldirektors und des dafür zuständigen Landesrats, zu den Leuten zu gehen und mit ihnen zu reden. Das passiert aber nicht. 

  • Welche Rolle spielt der Direktor des Sanitätsbezirkes Meran Umberto Tait?

    Er hat sich bis zuletzt geweigert, von Bozen nach Meran zu wechseln und wollte ursprünglich den Bezirk von seinem Büro in Bozen aus leiten. Den Rest kann man sich denken. Das Problem ist aber auch, dass wir einen aufgeblähten Verwaltungsapparat haben, sprich nicht nur einen Sanitätsbetrieb, sondern gleich fünf: die vier Verwaltungsbezirke und eine zusätzliche übergeordnete Ebene. Weitaus sinnvoller wäre es zu rationalisieren, und zwar indem die politische Richtung von oben vorgegeben wird, jedes Krankenhaus vorort aber autonom entscheiden kann. 

    Sie plädieren dafür, die Bezirksdirektionen abzuschaffen?

    Es wird nur ein Generaldirektor benötigt, die Bezirksverwaltungen sollten abgeschafft und in der Folge die Primare vorort wieder ins Boot geholt werden. Aufgrund der verschiedenen Gegebenheiten ist es vernünftig, wenn das Krankenhaus Schlanders andere Entscheidungen treffen kann als beispielsweise Innichen. Jedenfalls kann man sich heute nicht mehr den Luxus leisten, die Fachkräfte einfach zu ignorieren. Sie wissen ja, wie man es macht, also sollte man sie auch arbeiten lassen. 

  • „Es wird nur ein Generaldirektor benötigt, die Bezirksverwaltungen sollten abgeschafft und in der Folge die Primare vorort wieder ins Boot geholt werden.“

  • Wenn in einem Betrieb einmal der Wurm drin ist, dann …

    Man wird die Probleme aber nicht los, wenn man sie nicht an der Wurzel packt. Mit der Einrichtung von Fitness-Räumen wird es nicht getan sein. Man kann, nachdem zehn Jahre alles kaputt gemacht worden ist, nicht auf glückliche Familie machen.

    Wann hat dieser Niedergang eingesetzt?

    Vor der Reorganisation im Jahr 2007 hat das Gesundheitswesen sicher besser funktioniert als heute. Die Primare haben sich um ihre Häuser, um ihr Team und auch um den Nachwuchs gekümmert. Damals hatten wir keine Probleme, geeignete Leute zu finden. Den Numerus Clausus sprich die Zugangsbeschränkungen zum Medizin-Studium gibt es schließlich nicht erst seit gestern und die Unterschiede in den Verdienstmöglichkeit im Vergleich zu den anderen Ländern waren auch immer schon da. Die Leute würden gerne zurückkommen, wenn sie eine Möglichkeit bekommen würden, sich hier weiter zu entwickeln. 

  • „Die Leute würden gerne zurückkommen, wenn sie eine Möglichkeit bekommen würden, sich hier weiter zu entwickeln.“

  • Bei der Vorstellung des 10-Punkte-Plans des Team K zur Sanität haben sie mit ihrer Kritik zur Ärzte-Ausbildung in Südtirol nicht hinterm Berg gehalten. 

    Es wird nicht funktionieren. Die Studenten werden trotzdem versuchen, im Ausland einen Studienplatz zu bekommen. Man muss die verschiedenen Realitäten berücksichtigen und man kann nun einmal nicht alles in Südtirol machen. Entscheidend sind hier die Fallzahlen und dazu braucht ein Arzt eine bestimmte Menge an Patienten. Wenn man bestimmte Krankheiten nicht studieren kann, wird man sie im Alltag übersehen. Ich selbst habe an verschiedenen Einrichtungen in Österreich studiert und auch praktiziert. Man braucht einfach diese Vielfältigkeit, um später gut im Beruf zu sein. Die jungen Leute werden sich nicht für ein Medizin-Studium entscheiden, wo sie am Ende ihres Studiums ein Serie B-Abschluss in den Händen halten. Wir können Teil-Ausbildungen machen, aber grundsätzlich müssen wir interregional denken und handeln. Die Euregio könnte hier eine zentrale Rolle spielen. Warum arbeiten wir nicht mit Feldkirch oder Innsbruck zusammen? Warum müssen wir ständig das Rad neu erfinden? Die Medical School wird einen Haufen Geld kosten und wir dürfen uns nicht einbilden, dass die Universitäten uns ihre besten Professoren schicken werden. Es fehlen die Professoren, die Dozenten und die Praktikums-Ausbildungsmöglichkeiten. Eine gute Universität stampft man nicht in einem Jahr aus dem Boden. 

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Stereo Typ Gio, 10/12/2023 - 13:19

Wenn der Respekt für die Bürger und die Beschäftigten da ist, dann kann auch nicht so ein großes Schlamassel entstehen, wie das Gesundheitswesen in Südtirol heute ist. Die Sanität ist kein Futtertrog und eignet sich auch nicht zur Imageaufbesserung des jeweiligen Politikers oder der Führungskraft. Wir benötigen einen Generaldirektor, der auch einmal unabhängig von der Politik agieren kann, immer mit Blick auf die Bedürfnisse der Bürger. Sollte diese Figur in Südtirol nicht zu finden sein, dann eben jemand von auswärts, ohne ihn gleich in die Wüste zu schicken, sollte es unangenehm werden.
Träumen wird man wohl noch dürfen.

Gio, 10/12/2023 - 13:19 Collegamento permanente