Società | Südtirol/Wien

Wien, Wien nur du allein…

…sollst stets die Stadt meiner Träume sein“, sang Peter Alexander. Viele Südtiroler*innen sehen das ähnlich. Was zieht sie dorthin und warum kommen sie wieder oder nicht?
Wien Hofburg
Foto: Pixabay

Die Südtiroler Community in Wien ist groß. Die Stadt zählt 2021 über 2.000 Studierende aus der Autonomen Provinz Bozen. Viele von Ihnen bleiben auch nach dem Studium dort. Verständlich, denn die Lebensqualität in Wien ist top – so das Urteil des aktuellen Expat City Rankings. Insgesamt belegt Wien im "Expat City Ranking 2021" Platz 14 von 57. Trotz der hohen Lebensqualität und weiteren Indikatoren, bei denen die österreichische Hauptstadt fast durchwegs überdurchschnittlich abschneidet, fällt es internationalen Beschäftigten schwer, sich hier einzuleben und Freundschaften zu schließen. In der Kategorie „Eingewöhnung“ zählt Wien effektiv bei Arbeitskräften aus dem Ausland zu den am schlechtesten bewerteten Städten. Ob das dem Wiener Grant zu verdanken ist? Jede*r, die und der einmal in Wien war, wird dazu seine eigene Meinung haben. Und je nach Lebensabschnitt, unterscheiden sich die Erfahrungswerte. So fällt die Eingewöhnung im reiferen Alter und im beruflichen Kontext womöglich schwerer, als in der Jugend und im universitären Kontext. Dass die Lebensqualität in Wien weltspitze ist, darüber lässt sich kaum streiten. Das haben auch andere Rankings in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen.

 

Fehlende Kultur ist fehlende Lebensqualität

 

Im „Global Liveabilty Ranking“ lag Wien drei Jahre in Folge auf Platz 1, bevor es im Juni schlagartig aus den Top 10 flog. Der Grund dafür ist allerdings nicht der Stadt selbst, sondern primär der Pandemie geschuldet. Darunter haben alle europäischen Metropolen gelitten - in der Realität wie auch im Ranking. Durchschnittlich mussten sie für die Lebensqualität fast sieben Punkte seit Beginn des Ausbruchs einbüßen. Das zeitweise inexistente Kulturangebot sowie weitere Auswirkungen in Form von Lockdowns oder Belastungen des Gesundheitswesens waren vergleichsweise größer als anderorts. Konnte man in Südtirol in die Natur flüchten, bot die Stadt wenig Alternativen hinsichtlich Freizeitbeschäftigung. Das kann auch Lisa Amplatz aus Auer, die seit einem Jahr in Wien wohnt, bestätigen. Ihr Start in Wien fiel für die Kunsthistorikerin, die vorher in Innsbruck und Florenz studiert hatte, in eine alles andere als glückliche Zeit. Eine Woche nach ihrer Ankunft im Herbst 2020 kam es zum Terroranschlag bei dem vier Personen starben. Die Stadt stand still. Kurz darauf folgte ein langer Lockdown, der sich, mit kurzen Unterbrechungen, bis ins Frühjahr zog. Das machte das Einleben und das Schließen neuer Freundschaften in der neuen Heimat anfangs schwer, denn "Social Distancing" war oberstes Gebot. Doch als in Pandemiezeiten das Kulturangebot auf Sparflamme lief und die teils inexistente Gastroszene das wahre Großstadtleben nur erahnen ließen, hielt Wien zumindest karrieretechnisch was es versprach. Im Nullkommanix fand Lisa eine Festanstellung im Dorotheum, einem der renommiertesten Auktionshäusern Europas. Ein Erfolgserlebnis, denn sie weiß, in Südtirol sieht es mit Jobs im Kulturbereich dürftig aus. Das war auch einer der Gründe, warum sie sich dazu entschied wegzugehen. Das Ranking hält die Wahlwienerin für gerechtfertigt: „Die Stadt ist sehr grün, bietet irrsinnig viel auf jeglicher Ebene. Es ist als Studien- und Arbeitsort kaum zu überbieten und auch idealer Ausgangspunkt für Reisen nach nah und fern.“ Und das braucht es auch, denn von 300 Sonnentagen wie hierzulande, kann man in Ostösterreich nur träumen.

 

Ob ich mir vorstellen kann in Wien zu bleiben? Da müsste schon die gaaanz, ganz große Liebe kommen.

 

Derzeit lebt Lisa beruflich ihren Traum, auch wenn es sie emotional wieder nach Italien zieht. Auf die Frage, ob sie es sich vorstellen könnte, in Wien zu bleiben antwortet sie lächelnd: „Da müsste schon die gaaanz, ganz große Liebe kommen. Derzeit schlägt mein Herz noch für Italien“. Familie und Freund*innen in der Heimat hoffen, dass das so bleibt. Wie man hierzulande sagen würde „Schau ma mal, nor sech ma schun“ oder „Lo sapremo solo vivendo“.

 

Rückkehr mit Hürden

 

Matthias von Wenzl, der Vorsitzende der Südtiroler Hochschülerschaft weiß: „Viele Südtiroler*innen, die fortgehen, kommen nicht wieder. Das liegt zum einen daran, dass man sich einfach in eine Weltstadt wie Wien verliebt und die Rückkehr in die Provinz oft unattraktiv ist. Zum anderen sind die Gehälter deutlich geringer.“ Für Informatikstudierende oder Mediziner*innen sind die Verdienstmöglichkeiten laut ihm nicht einmal ansatzweise vergleichbar und die Steuererleichterungen, die im Zuge des „Rientro dei cervelli“ Lust auf die Heimat machen sollen, sind schwer zu bekommen. „Trotz des allgemein vorherrschenden Fachkräftemangels stellt sich die Agentur der Einnahmen oft quer und verneint Anfragenden mit zum Teil nicht nachvollziehbaren Argumentationen ihre Ansuchen“, erzählt Matthias. „Damit hat sie zwar in der Vergangenheit einige Rekurse verloren, doch es braucht Mut und Ausdauer sich bis in die letzte Instanz durchzuklagen. Wer will schon zehn Jahre Prozess gegen den Staat führen?“, so der Vorsitzende der Südtiroler Hochschülerschaft.

Auch für Heimkehrwillige, für die das Einkommen nicht die primäre Entscheidungsgrundlage ist, ist es nicht immer leicht. Oftmals ist die Sprache ein Hindernis. Wer eine deutsche Oberschule besucht hat, dann viele Jahre in Österreich gelebt hat und abgesehen von der wöchentlichen „Pizzata“ nicht viel mit Italienisch am Hut hatte, für die und den kann es am zweisprachigen Südtiroler Arbeitsmarkt schwierig werden.

Die Anerkennung der Studientitel von Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen ist ebenso immer noch ein Problem: „Die Prozesse sind unglaublich träge“, sagt Matthias, der sich hierzu zuletzt mit Minister Heinz Fassmann in Wien unterhalten hat. „Ein Beispiel ist das Lehramt Neu. Seit seiner Einführung 2015 war klar, dass es hierfür eine bilaterale Lösung geben müsse. Dennoch hat es bis zu einer Einigung sechs Jahre gedauert. Erst letzten Sommer wurde die letzte Unterschrift gesetzt, sodass nun die Hälfte der Studiengänge anerkannt werden“, beklagt der Vorsitzende der Südtiroler Hochschülerschaft. Auch dies kann also nicht unbedingt als Erfolg verbucht werden. Wer in der Privatwirtschaft eine Anstellung sucht, wird damit kein Problem haben. Im öffentlichen Bereich stößt man aber auf verschlossene Türen, denn der italienische Staat verlangt bei Ausschreibungen stets anerkannte Studientitel. „Dies auf eigene Faust in Rom durchzubringen ist leider ein unglaublicher Aufwand“, so Matthias von Wenzl.

 

Heimweh nach Wärme - klimatisch und menschlich

 

Andreas Verdorfer ist nach seinem Wirtschaftsstudium in Wien nach Südtirol zurückgekommen und arbeitet nun in Bozen. „Das Verhältnis zwischen Lebenshaltungskosten und Einkommen ist in Wien viel besser als in Südtirol“, weiß er. Was ihm am meisten fehlte, waren die Berge, die Sonne und die Freundlichkeit der Menschen, vor allem in der Gastronomie. Sein Empfinden deckt sich mit dem Expat-Ranking. In der Unterkategorie Freundlichkeit liegt Wien hier auf dem letzten Platz. Expats beschreiben die Wiener als allgemein unfreundlich (43 Prozent; weltweit 16 Prozent) und als unfreundlich gegenüber ausländischen Mitbürgern (39 Prozent; weltweit: 18 Prozent). Für Andreas überwiegt dennoch das Positive. Er fühlt sich nach wie vor mit seiner Studienstadt verbunden und kehrt regelmäßig nach Wien zurück, zuletzt um am Wiener Halbmarathon teilzunehmen.

 

Wien ist definitiv eine der besten Städte, in denen ich bisher gelebt habe.

 

Nicole Abler ist seit ihrem Studienende nicht mehr nach Wien zurückgekehrt. Das liegt aber in keiner Weise daran, dass sie die Stadt nicht missen würde, sagt sie. Nach 5 Studienjahren in Wien hatte sie einfach noch weitere europäische Großstädte auf dem Programm, bevor sie in ihre Heimatstadt Meran zurückkehrte. Auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet sie Wien mit einer vollen 10. „Wien ist definitiv eine der besten Städte, in denen ich bisher gelebt habe“, sagt sie. Das Großstadtflair machte für sie vor allem das kulturelle Angebot aus. „Theater, Kino, Oper, Ausstellungen und Museen. Wien bietet alles, was das Kulturherz begehrt“, schwärmt sie. Die Internationalität, die sie dort kennenlernte, und den sich daraus ergebenden Austausch vermisst sie hierzulande. Wäre Wien näher, hätte sie ihrem alten Studienort vielleicht wieder den ein oder anderen Besuch abgestattet.

 

Die kleine Schwester Innsbruck

 

Obwohl Wien mit 1,9 Millionen Einwohnern sechsmal so groß ist wie der gesamte Ballungsraum Innsbruck, fällt die erste Wahl der Südtiroler Hochschüler*innen unter den österreichischen Universitätsstädten weiterhin auf die Landeshauptstadt Nordtirols. Mehr als die Hälfte aller SüdtirolerInnen (57,6 Prozent), die in Österreich studieren, studieren in Innsbruck. Dass dies aber mehr mit der geringen Entfernung zur Heimat als mit anderen Kriterien zu tun hat, haben auch die Nordtiroler*innen verstanden. Können es viele Studierende doch kaum erwarten nach ihrer Anreise Montagfrüh gleich Mittwoch- oder Donnerstagabend wieder nach Südtirol zurückzukehren, weshalb sie wenig liebevoll MoMis oder MoDos genannt werden. Wien positioniert sich laut  ASTAT mit 29,4 Prozent nur auf Platz 2 bei der Studienortwahl. Mit beträchtlichem Abstand folgen Graz (9,0 Prozent) und Salzburg (2,2 Prozent). Die übrigen 1,8 Prozent entfallen auf Linz, Klagenfurt und Leoben.

 

Man ist, was man isst

 

Was alle Südtiroler*innen, die im österreichischen Ausland leben oder gelebt haben, gleichermaßen nachvollziehen können, ist die Sehnsucht nach der italienischen Küche. „Klar kann man auch draußen italienisch essen gehen, aber es ist einfach nicht dasselbe“, erinnert sich Nicole. Lisa sieht das genauso und zaubert sich gerne selbst heimische Gaumenfreuden in der Küche ihrer Wiener Wohnung. Zu sehen, was so manche*r Österreicher*in mittags in die Mikrowelle stellt, stellt ihr nur die Gänsehaut auf. Und Andreas? Der vermisst den Griechen. Mit dem Angebot an ethnischem Essen im Ausland kann Südtirol leider nicht mithalten. Tja, alles kann man eben nicht haben, weder in Südtirol, Wien noch sonst wo.