Società | Interview

„Universitätsleben nicht erlebt“

Niklas Klinge vertritt die Studierenden im Universitätsrat der Uni Bozen. Die Wohnungsnot, Sprachkompetenzen und Studieren während der Pandemie sind seine Anliegen.
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Foto: Privat
salto.bz: Welche Anliegen der Studierenden willst du im Universitätsrat der Uni Bozen vertreten?
 
Niklas Klinge: Eines der Themen ist der fehlende Wohnraum für Studierende in Südtirol. Durch die neuen Studiengänge werden noch einmal mehr Menschen kommen. Hier braucht es einen Bewusstseinswandel, denn laut ASTAT haben wir in Südtirol einen Leerstand von 7 Prozent (siehe AFI-Forschungsbericht ‚Wohnen 2030‘, Anmerkung d. R.). Das sind knapp 15.000 Wohnungen, die einfach leer stehen und auch nicht als Ferienwohnungen genutzt werden. Deshalb suchen wir das Gespräch mit der Politik, da der Universitätsrat selbst hier wenig machen kann. Denn wir haben einen zweistelligen Prozentsatz an jungen Menschen, die einen Studienplatz haben, aber wieder absagen, weil sie keine Wohnung finden können.
Machen wir uns nichts vor, ein Bachelor dauert in der Regel drei, ein Master zwei Jahre und wir leben seit zweieinhalb Jahren mit Corona.
Für welche anderen Anliegen kümmerst du dich außerdem?
 
An einer dreisprachigen Universität in einer zweisprachigen (mit Ladinisch theoretisch in einer dreisprachigen) Region wie unserer sind auch Sprachen ein wichtiges Thema, da viele Studierende beispielsweise nicht sehr gut Deutsch oder Italienisch sprechen. Um hier studieren zu können, braucht es entweder in Englisch, Deutsch oder Italienisch C1 und in einer weiteren der drei Sprachen B2. Da ab dem ersten Semester in allen drei Sprachen gelehrt wird, ist es von Vorteil, so schnell wie möglich die Sprache zu lernen, die man am wenigsten beherrscht. Am Anfang muss viel nachbereitet werden, weil man dem Unterricht nicht fließend folgen kann. Am Ende des Studiums sollte dann in zwei Sprachen C1 und in der dritten Sprache B2 erreicht werden. Diese Sprachkompetenzen sind eines der großen Assets, mit denen die Uni wirbt.
 
Wie ist die Lage an der Uni Bozen nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie?
 
Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, wieder eine Gemeinschaft zu bilden. Machen wir uns nichts vor, ein Bachelor dauert in der Regel drei, ein Master zwei Jahre und wir leben seit zweieinhalb Jahren mit Corona. Die meisten Studierenden haben deshalb das Universitätsleben gar nicht erlebt. Nun wollen wir es gemeinsam mit anderen Vereinen wie die sh.asus schaffen, Studierende aus verschiedenen Ländern und aus der Region wieder zusammenzubringen.
 
 
Habt ihr dafür schon erste Schritte gesetzt?
 
In einem ersten Schritt wollen wir mithilfe einer dreisprachigen Umfrage erheben, welche Themen Studierenden wichtig sind. Gerade formulieren wir dazu die Fragen.
Wie kann ich einen sinnvollen Diskurs führen, ohne den anderen zu beleidigen?
Wie stellst du dir die Universität der Zukunft vor? In welche Richtung soll sich die Uni Bozen weiterentwickeln?
 
Was mir im Allgemeinen am deutschen und italienischen Bildungssystem fehlt, ist der Fokus auf Soft Skills. Die Wissensaneignung ist zwar wichtig und richtig, aber es braucht Kompetenzen für die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Wie komme ich in der Arbeitswelt und darüber hinaus mit anderen zurecht? Wie kann ich einen sinnvollen Diskurs führen, ohne den anderen zu beleidigen? Diese Kompetenzen sind besonders auch in Führungspositionen gefragt.
 
Wie beurteilst du die Studiengebühren der Uni Bozen? Im Vergleich zum restlichen Italien sind sie nicht mit der ISEE-Erklärung nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt.
 
Ich bin bei Studiengebühren zwiegespalten. Einerseits sollte Bildung grundsätzlich für jede:n zugänglich sein. Die Studiengebühren stellen deshalb für sozial schwächere Familien eine Hemmschwelle dar. Andererseits belegen genügend Studien aus dem Bereich der Psychologie, dass Menschen etwas mehr wertschätzen, wenn sie dafür auch bezahlen. Dadurch ist man also engagierter und mehr an das Studium gebunden. Deshalb muss man bei der Höhe der Studiengebühren einen Mittelweg finden, der konstant diskutiert werden muss. Wobei auch Studienbeihilfen eine wichtige Rolle spielen, um Bildung für alle zugänglich zu machen.
Sieht man sich die Rankings der Unis an, steht die Freie Universität Bozen auch unglaublich gut da.
Im internationalen Vergleich verdienen Dozierende an der Uni Bozen überdurchschnittlich viel. Dadurch steigen auch die Kosten pro Studentin und Student. Siehst du diese Vorzugsbehandlung als gerechtfertigt an?
 
Im europäischen Vergleich ist Italien bei Gehältern für Dozierende auf Platz fünf, daher sind die Gehälter national gesehen schon sehr hoch. Außerdem gilt an der Uni Bozen für Dozierende die Voraussetzung, dass die Person mindestens zwei Sprachen fließend beherrscht. Dadurch verringert sich der Pool an geeigneten Professor:innen und der Preis für ihre Leistung muss angepasst werden. Wenn man beim internationalen Wettbewerb der Universitäten in Forschung und Lehre mithalten will und wie die Uni Bozen erst 25 Jahre alt ist, ist die Bezahlung der Dozierenden ein wichtiger Faktor. Solange man dann auch Menschen einstellt, die den Qualitätsvoraussetzungen nachkommen, ist es für mich gerechtfertigt. Sieht man sich die Rankings der Unis an, steht die Freie Universität Bozen auch unglaublich gut da.
 
 
Vor deinem Bachelorstudium der Sozialarbeit warst du in Deutschland Bankkaufmann. Wieso hast du jetzt die Branche gewechselt?
 
Ich war irgendwann vor der Frage gestanden, ob ich die nächsten 40 Jahre meines Lebens weiter vor dem Computer verbringen möchte. Ich entschied für mich, dass ich auch mal was anderes machen will und reiste ein Jahr durch Afrika. Danach schaute ich mich nach einem Studium der Sozialarbeit im Ausland um. Obwohl ich fließend Englisch spreche, kamen die englischsprachigen Länder mit ihren hohen Studiengebühren für mich nicht in Frage. Am Ende blieben noch Unis in Malta, Schweden und Italien über und ich entschied mich wegen dem guten Ranking und der Dreisprachigkeit für die Uni Bozen.