Cultura | Salto Afternoon

Die Welt der Seilbahnen

Elmar Dorigatti faszinieren Seilbahnen. Sein Wissen hat er nun mit vielen Bildern und Fakten in ein Buch gepackt. Ein schwindelerregendes Gespräch.
lp1b
Foto: Doppelmayr

salto.bz: „Die Welt der Seilbahnen“ nennt sich Ihr Buch. Es erzählt allerhand Bahngeschichten und serviert Zahlen und beeindruckende Aufnahmen. Welche Seilbahn aus dem Buch ist Ihnen am liebsten?

Elmar Dorigatti: Danke, ja das stimmt! Das Buch ist reich bebildert und gibt einen fundierten Einblick in die Welt dieses fortschrittlichen Transportmittels. Es werden die unterschiedlichsten Seilbahnen vorgestellt, die weltweit im Einsatz sind und eine Faszination auf die Menschen ausüben. Da gibt es zum Bespiel eine Sauna-Gondel oder die Cabrio-Bahn mit offenem Deck. Welche Seilbahn ich am liebsten mag? Ich bin mit der Stoos-Standseilbahn in der Schweiz gefahren – die ist verdammt steil!

Die längste Seilbahn – so dokumentieren Sie in Ihrem Buch – fuhr in Schweden. Sie war 96 km lang, also vergleichbar mit einer Autofahrt von der Stadt Leifers auf den Brennerpass. Was war die Aufgabe dieser Bahn und weshalb wurde sie eingestellt?

Ja, das ist eine sehr spannende Geschichte! Sie beginnt während des Zweiten Weltkriegs: Weil Gummireifen und Benzin zur Neige gingen, konnte das aus dem Bergwerk gewonnene Gold nicht mehr weggebracht werden. So plante man kurzerhand als Ersatz für die LKWs eine Materialseilbahn. 1500 Arbeiter hatten diese fast 100 km lange Seilbahn in nur einem Jahr aus dem Boden gestampft. Die Materialbahn verkehrte bis 1987 und transportierte in dieser Zeit viele Tonnen von Erz. Ab 1988 wurde eine Teilstrecke, die ca. 13 km lang war, für den Personenverkehr genutzt. 2018 wurde auch dieser Teil stillgelegt. Reste der alten Materialbahn sind meines Wissens nach noch heute zu bewundern. Interessantes Detail am Rande: Ich habe im Internet gelesen, dass die Seilbahn, ich nehme an, es handelt sich um die Teilstrecke, zum Verkauf steht. Wer also ein wenig Platz in seinem Garten hat…


Wo fährt gegenwärtig die längste Seilbahn?

Die längste Seilbahn der Welt ist eine Dreiseilumlaufbahn in Vietnam: die „Hòn Thom“ mit 30er Kabinen. Sie ist fast 8 km lang – um genau zu sein: 7.900 m – und verbindet zwei beliebte Ferieninseln im Süden des Landes. Die Strecke verläuft über das Meer, wobei die höchste Stütze auf einer vorgelagerten, kleinen Insel steht und 164 m hoch ist. Die Aussicht muss gigantisch sein. Man schwebt über viele kleine Boote und große Schiffe. Eine Kabine besitzt übrigens auch einen Glasboden – unter deinen Füßen wimmelt es von Booten und Fischen! Acht Kilometer Länge in einer Sektion sind aber sicherlich ein Grenzwert, hier stößt die Technik an ihre physikalischen Grenzen. Man muss sich zum Beispiel das Abbremsen vorstellen: In der Station stoppst du die Bahn; die Gondeln acht Kilometer weiter kommen aber erst zeitverzögert zum Stillstand.

Für Bozen würden sich völlig neue Möglichkeiten ergeben. Bus, Tram oder seilgezogener Zug am Boden – sie können immer nur bestehende Trassen benützen. Mit der Seilbahn fährst du kreuz und quer durch die Stadt.

Können historische Standseilbahnen – wie es sie auch in Südtirol gegeben hat und heute noch gibt – oder auch die Straßenseilbahn „Cable Car“ in San Francisco als Vorläufer zeitnaher Cable Liner Shuttles angesehen werden?

Ja, genau! Cable Liner Shuttles sind einer Standseilbahn sehr ähnlich. Sie verkehren im Pendelbetrieb mit zwei Zügen und werden von einem Zugseil gezogen. Cable Liner Shuttles findet man im urbanen Bereich; sie dienen als Zubringer bei Flughäfen, Messezentren, Sportstadien und Erlebnisparks. Also im Grunde ist es eine Standseilbahn – eben nur mit dem Unterschied, dass sie nicht aufwärtsfährt, sondern in der Ebene. Einen solchen Cable Liner Shuttle gibt es übrigens in Venedig, der zwischen der „Isola del Tronchetto“ und dem „Piazzale Roma“ pendelt. An der Zwischenstation können Passagiere der dort anlegenden Kreuzfahrtschiffe zusteigen.
Die „Cable Cars“ – die Kabelstraßenbahn – in San Francisco funktionieren ein bisschen anders: Da dreht sich das Seil unterirdisch im Boden konstant in einer Endlosschleife. Im Cable Car gibt es den Grip Man, also den Greifer-Mann, und den Bremser. Der erstere klinkt das Fahrzeug über eine Spannklaue im Boden aus und wieder an das laufende Seil; der zweite Mann bremst den Wagen. Der Verschleiß des Seils ist daher riesengroß; es muss alle paar Monate ausgewechselt werden. Cable Cars gibt es deshalb nur mehr als Touristenattraktion.

 

Seilbahnen sind in Südamerika wie in Südtirol attraktive Fortbewegungsmittel. Die Seilbahn von Lana auf das Vigil-Joch und die Seilbahn auf den Zuckerhut in Rio de Janeiro teilen sich sogar das Geburtsjahr. Wo sind Seilbahnen in Südamerika besonders beliebt?

Ja, beide Seilbahnen wurden im Jahre 1912 erbaut. Die erste Bahn auf das Vigiljoch hatte noch sage und schreibe 39 Stützen, denn einige technische Errungenschaften wurden erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt. Ein großer Pionier der Seilbahntechnik ist übrigens ein Südtiroler: Luis Zuegg, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelebt hat. Ihm verdanken wir wegweisende Erfindungen, die noch heute Gültigkeit besitzen.


Südtirol ist ein Land der seilgezogenen Aufstiegsanlagen; es gibt an die 360 Seilbahnen. In Südamerika sind Stadtseilbahnen sehr beliebt. Hervorheben möchte ich den „Mi Teleférico“ in der bolivianischen Hauptstadt La Paz. Dort hat Doppelmayr das weltweite größte urbane Seilbahnnetz der Welt geschaffen: Das Stadtgebiet ist mit 10 Linien vernetzt: mit insgesamt 26 Stationen, 1400 Gondeln und einer Streckenlänge von 33 Kilometern. 300.000 Personen benutzen täglich die Seilbahn. Der Erfolg ist mehr als beeindruckend, die Bevölkerung hat den „Mi Teleférico“ längst in ihr Herz geschlossen.

 

Die Bergbaustadt Tschiatura in Georgien war einst die an Bahnen reichste Stadt der Welt. Warum ist davon heute nichts mehr zu sehen?

Hinter Tschiatura steckt eine richtig spannende Geschichte: Sie liegt im Kaukasus in Georgien und war einst eine blühende Bergbaustadt. Als in den 1950er Jahren das Erz Mangan entdeckt wurde, ließen die Sowjets unzählige Seilbahnen rund um die Stadt errichten. Über 70 Seilbahnen sollen es gewesen sein. Tschiatura wird deshalb die „Stadt der Seilbahnen“ genannt. Heute ist der Erzabbau Geschichte; die Stadt völlig heruntergekommen. Nur noch an die 5 Seilbahnen sind in Betrieb – und sie bilden das einzige öffentliche Verkehrsmittel. Die Einwohner nennen die Gondeln „metallene Särge“. Der Grund: Die Seilbahnen wurden nie erneuert, alles ist völlig verrostet und marode – jede Fahrt eine Mutprobe.
Bei der Fotorecherche zu Tschiatura bin ich übrigens auf zwei Weltenbummler aus Deutschland gestoßen, die wagemutig genug waren… Ich schrieb sie an – und sie haben mir sofort aus Vietnam geantwortet. Deren Fotos sind im Buch zu finden. Ein sehr sympathisches Paar! Generell bin ich überall und immer auf offene Türen gestoßen.


Der Antrieb und das Bremsen: sie beschreiben detailreich und verständlich die verschiedensten Aufstiegsmöglichkeiten. Dennoch fahren Bahnen nicht für die Ewigkeit. Wie alt kann eine Bahn werden?

Generell muss man sagen, dass Seilbahnen nach sehr strengen Normen und Regelwerken geplant und gebaut werden. Auch müssen sie regelmäßigen Kontrollen unterzogen werden, die die Behörde und das Gesetz genauestens vorschreiben. So ist auch bei einer alten Anlage stets die Sicherheit gewährt. Im Zuge der Instandhaltungsarbeiten werden Verschleißteile und alle sicherheitsrelevanten Bauteile ausgetauscht bzw. erneuert. Prinzipiell sind die Bauwerke für eine gewisse Lebensdauer ausgelegt. Es gibt Länder, die die technische Lebensdauer – die sogenannte „vita tecnica“ – definiert haben. Italien gehörte in Vergangenheit zu jenen, bei denen Seilbahnen eine Ablaufzeit hatten. Der Besitzer konnte aber durch Auflagen den Betrieb weiterverlängern.
Man kann sagen, dass eine Seilbahn entweder bewusst lange verkehren kann: Man denke an die hundert Jahre alte Predigtstuhlbahn, die Weltkulturerbe ist, oder an die Bleichert-Seilbahn im Hafen von Barcelona, die 1931 eröffnet wurde. Oder aber für den Betreiber ist es wirtschaftlich interessanter, eine Seilbahn nach relativ kurzer Zeit neu zu bauen, weil Förderleistung oder Komfort nicht mehr dem Bedarf entsprechen. Hierzulande werden auch Sesselbahnen nach 20 Jahren ausgetauscht.


Bahnen für das Mountainbiken und weitere hochmoderne Bahnprojekte weisen den Weg in die Zukunft. Welche utopische Bahnidee würden Sie am liebsten umsetzen?

Mmm – eine gute Frage: In Bozens Industriezone in die Gondelbahn einsteigen und ein paar Minuten später am Obstmarkt oder Grieser Platz aussteigen. Das wäre schon cool. Mit der Seilbahn kannst du schwebend direkt von A nach B kommen und enorme Höhen überwinden. Am Boden bist du immer eingeschränkt und musst dich den baulichen Gegebenheiten anpassen. Für Bozen würden sich völlig neue Möglichkeiten ergeben. Bus, Tram oder seilgezogener Zug am Boden – sie können immer nur bestehende Trassen benützen. Mit der Seilbahn fährst du kreuz und quer durch die Stadt.
Oder mit der Seilbahn das Matterhorn bezwingen – das wäre was. Es gab wohl in Vergangenheit auch so ein Projekt. Aber seien wir ehrlich: Manches ist besser, dass es ein Wunschgedanke bleibt.

 

Nun noch zum wichtigsten – vor 185 Jahren revolutionierte eine Erfindung eines geeigneten Drahtseils die Geschichte. Was macht ein gutes Seil aus?

Es war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als das Drahtseil erfunden wurde. Damit war der Grundstein für die Art von Seilbahn gelegt, wie wir sie heute kennen. Bis dahin gab es nur Seile aus Hanf. Klarerweise konnte man damit weder große Gewichte transportieren noch längere Distanzen zurücklegen. Die Erfindung des Drahtseils im Jahre 1834 ist ein Quantensprung und die Initialzündung für alle weiteren technischen Erfindungen in der Seilbahntechnik. In jener Zeit wurde die Verseilmaschine erfunden, mit der Drähte bzw. Litzen miteinander geflochten werden. Ein Seil besteht nämlich aus mehreren einzelnen Drähten, die um eine Einlage gewickelt sind. Dadurch ist dieses Seil flexibel und biegefähig: Das heißt, es kann auch um eine Seilscheibe laufen, ohne zu knicken. Zudem zeichnet dieses „verwobene“ Drahtseil eine andere positive Eigenschaft auf: Wenn einzelne Litzen brechen oder schadhaft sind, nehmen die anderen Drähte die Last auf. Das Seil hält! Im Unterschied dazu die Kette: Bricht ein Glied, ist die Verbindung durchtrennt. Bei diesen Drahtseilen spricht man von Festigkeit und Bruchlast: Der metallische Querschnitt – also der Seildurchmesser – gibt an, wie viel Last das Seil aufnehmen kann. Durch die Machart des Verseilens, des Ineinanderwickelns der einzelnen Drähte, ist ein bestimmter metallischer Querschnitt gegeben – trotz vieler einzelner Drähte. Man könnte, um diesen metallischen Querschnitt zu erhalten, auch eine Stange nehmen, nur ist die eben nicht biegbar.


Es gibt viele Macharten bei Seilen – je nach Anwendung: Tragseil und Zugseil bei Pendelbahnen und das Förderseil bei Umlaufbahnen. Ein Seil, das sorgfältig gepflegt wird, kann sehr lange halten. Klar muss man hier unterscheiden zwischen bewegtes Seil, das sich ständig dreht – oder das ruhende Tragseil, das fix verankert ist und sich nicht bewegt. Das Tragseil der Predigtstuhlbahn in Deutschland ist seit 1928 in Betrieb – fast hundert Jahre, das muss man sich vorstellen!