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Ein innerer Dialog

Michael Fliri hat als erster den Martin-Rainer-Preis gewonnen. Im Interview erzählt er, warum Rainer ihn schon als Kind beeindruckt hat und was die beiden heute verbindet
Courtesy der Künstler
Foto: Michael Fliri

salto.bz: Die Familie Rainer und der Südtiroler Künstlerbund haben für das Jahr 2022 erstmals einen Anerkennungspreis für Kunstschaffende ausgeschrieben. Seit 8. April sind Sie der erste Preisträger. Ist es ein anderes Gefühl, wenn man einen Preis gewinnt, den zuvor noch niemand bekommen hat? Gibt es einen Unterschied zu anderen Preisen? Sie haben ja schon einige gewonnen… 

Michael Fliri: Es ist schon ein anderes Gefühl, wenn der Preis neu aufgebaut wird. Man reiht sich nicht ein, man kennt die vorangegangenen GewinnerInnen nicht. Es startet etwas ohne Gedächtnis, so vieles im Leben hat schon eine Vergangenheit, eine Vorgeschichte oder ist bereits geprägt worden. Bekannt war jedoch, dass der Preis in Martin Rainers Namen ausgeschrieben werden sollte. Und da wusste ich sofort, dass ich mitmachen wollte und habe mich dann auch beworben. Nun wird er alle zwei Jahre ausgeschrieben und hat schon eine kleine Geschichte erhalten.

Bei der Bewerbung für den Preis war die Dokumentation dreier Werke, deren Entstehung sich über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren verteilt, einzureichen. War das einfach für Sie, Werke aus der Vergangenheit auszuwählen? Hat sich Ihre Kunst über diese Jahre bzw. im Zeitraum Ihrer Karriere hinweg verändert?

Es ist nicht leicht, eine so knappe Auswahl der eigenen Arbeiten auszuwählen. Man beginnt die Arbeiten zu werten und sogar zu bevorzugen, was mich eigentlich nicht interessiert. Am Ende fiel die Wahl auf die allererste Kunstarbeit, die ich je gemacht habe, die den Namen „Der Schneemann“ trägt. Es ist ein Video und eine Fotoarbeit aus dem Jahre 2001. Damals war ich Kunststudent in München. Sie wurde zwei Jahre später in Bozen bei der Ausstellung „Panorama O3“ gezeigt. Bei der Eröffnung hatte ich das Glück, mit Martin und Clementine Rainer zu sprechen, denen das Werk sehr gefallen hat. Durch dieses persönliche Zusammentreffen hat der Zufall, ja das Schicksal die Auswahl getroffen.
Diese frühen Arbeiten waren Performances, bei denen ich mit meinem Körper gearbeitet habe. Dafür habe ich immer Kostüme und Masken verwendet, bin in neue Rollen geschlüpft, um neue Sichtweisen zu gewinnen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu erfahren. Über die Jahre hinweg hat sich die Performance, also direkt vor Publikum zu arbeiten, mehr und mehr zurückgezogen. Heute verwende ich vor allem die Medien Fotografie, Skulptur und Video.
 


Mit welchen Erwartungen haben Sie sich bei der Ausschreibung des Martin Rainer-Preises angemeldet? War es einfach für Sie, Werke zu finden, von denen Sie das Gefühl hatten, dass sie der Jury gefallen könnten? 

Die Auswahl der anderen zwei Werke fiel auf diejenigen, bei denen ich die größte Verwandtschaft zwischen Martin Rainers Werke und meinen eigenen Arbeiten fühlte. Bei unseren beiden Werken geht es ganz stark um Zwischenräume, darum, was zwischen den Dingen passiert, welche negativen Räume und Spannungen aufgebaut werden. Bei meinen beiden Arbeiten handelt es sich zum Einen um „Where do I end and the world begins“ und um eine Fotoarbeit mit dem Namen „My private Fog“, die nun in der Ausstellung in Brixen, dem letzten bildhauerischen Werk von Martin Rainer, gegenübergestellt ist. Das Zusammentreffen dieser zwei Arbeiten finde ich schon fast magisch, es entsteht ein sehr inniger Dialog. 

Kannten Sie Martin Rainer, vielleicht seine Werke? Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Ihren beiden Kunstwerken? Woran mag das liegen? 

Ja, ich kannte ihn. Martin Rainer hat es geschafft, seine Kunst bis ganz in die Gesellschaft zu tragen. Seine Werke haben eine große Präsenz, wie bei fast keinem anderen Künstler in Südtirol. Das bewundere ich sehr, wenn man es schafft, mit Kunst so nah an die Menschen zu kommen.
Rainers Werke sind schon in meiner Kindheit zu mir vorgedrungen. Ein Grabkreuz in meiner Heimatgemeinde hat damals einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Der Körper, der Mensch und das Sein, steht bei uns beiden im Zentrum. Rainer interessierte das Einfache, das Alltägliche, nicht das Idealisierte, sondern alte, kranke Menschen. Bei mir ist es der eigene Körper: Er steht mir zur Verfügung, ich nutze ihn zum Leben und auch für meine Kunst. 
 


Das Antistatische, das Veränderbare und das sich Verändernde scheint im Zentrum Ihres künstlerischen Interesses zu stehen. Sie behandeln die großen Themen und bleiben dabei immer leise, zart und tiefgründig. Was soll das den BetrachterInnen zeigen/geben? Dass die großen Veränderungen im Kleinen stattfinden? 

„Soll zeigen“ gibts in meinem Künstlerverständnis nicht. Also die Idee, dass direkt irgendetwas transportiert wird, was auf der Betrachterseite aufgenommen wird, liegt mir fern. Die Kunst ist laut mir eine poetische Auseinandersetzung, die das Potenzial haben kann, auf verschiedenen, individuellen Wege gelesen zu werden. Oft bekomme ich vielschichtige Rückmeldungen, an die ich anfangs vielleicht gar nicht gedacht hatte.
Allgemein würde ich sagen, dass das Veränderbare einem leichter entwischt, da es ja in dessen Natur liegt, dass es sich transformiert und sich wieder in einem neuen Gesicht präsentiert.

Sie mögen (wahrscheinlich) Veränderungen, auch vielleicht das Weiterziehen, wenn man sich vor Augen führt, wo Sie überall arbeiten, ausstellen, leben. Was steht als Nächstes an? Wo treibt es Sie hin? Gibt es Gründe, Inspirationen, Sehnsüchte? 

Begonnen hat dieses Weiterziehen bereits im Studium. Ich habe einige Jahre die Wintersemester in München an der Kunstakademie und die Sommersemester an der Accademia di Belle Arti in Bologna absolviert — ein großes Hin und Her. 
Das Dazwischen, das nicht Eindeutige, das, was sich in Bewegung befindet, liegt mir im Leben sowie in meiner Kunst nahe. 
Die Sehnsucht liegt meistens in der Verbindung von zwei Möglichkeiten. Ich liebe die Natur und das Land. Aber gleichzeitig auch die Stadt. In Taufers im Münstertal konnte ich mir den Wunsch nach einem Atelier, das mir in Produktionszeiten zur Verfügung steht, erfüllen.
Ich komme gerade aus Paris zurück, wo ich eine Ausstellung eröffnet habe. Nun bin ich gespannt, welche neuen Wege mir diese eröffnen könnte.