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Sterne unter der Stadt

Um als Liebesfilm im Jahr 2023 noch aufzufallen, muss man bewusst neue, oder sagen wir, ungewohnte Töne anschlagen. Der Filmemacher Chris Raiber gibt sich Mühe.
Sterne unter der Stadt
Foto: Filmladen

Wenn man dem österreichischen, aber auch deutschen Film der jüngeren Geschichte etwas ankreiden könnte, unabhängig von der eigentlichen Qualität der Filme, so ist es eine fast schon zwanghafte Fokussierung auf das Rationale. Diese Filme spielen in der Gegenwart, der Vergangenheit, selten einmal in der Zukunft, doch den meisten gemein ist der Anspruch, die uns bekannte Welt filmisch zu imitieren. Die Illusion, die dem Kino als Kerneigenschaft seit den Brüdern Lumiere anhaftet, wird dazu genutzt, alles Illusorische auszulöschen. Die Fantasie wird von der Leinwand verbannt, nach vorne gestellt die Rationalität, denn nur sie, so scheint es, bietet Raum für das Wahrhaftige.

 

Warum diese Einleitung? Nun, sieht man sich den Film „Sterne unter der Stadt“ von Chris Raiber an, oder wagt auch nur einen Blick auf den Trailer, so fällt auf: Von der Kühle anderer österreichischer Filme ist hier nichts zu sehen. Assoziationen, die von Seiten der Presse bemüht werden, ziehen Verbindungen zu internationalen Filmemachern wie Wes Anderson oder Jean-Pierre Jeunet. Nach Sichtung lässt sich sagen, ja, die Assoziationen sind nicht falsch, den Stil des Regisseurs aber völlig auf leicht gefundene Vorbilder abzuwälzen, ist dennoch nicht richtig. Damit reduziert man den Film auf seinen visuellen Stil, den nur darauf bezieht sich der Vergleich. Viel interessanter ist doch die Frage, was Regisseur Raiber erzählt, wozu er die farbenfrohen Pastelltöne, die ausgefallene, in gewisser Weise strenge Inszenierung nutzt.

 

Raibers Protagonist heißt Alexander, ein junger Mann, den wir zu Anfang als Kind erleben, später dann, als Mitte Zwanzig-jährigen. Er wird gespielt vom Südtiroler Thomas Prenn, hierzulande vor allem bekannt geworden durch seine Hauptrolle in Evi Romens „Hochwald“. Seitdem war er unter anderem in „Große Freiheit“ von Sebastian Meise zu sehen. Diese neue Rolle enthält eine Leichtigkeit, an die man sich erst gewöhnen muss. Prenn fühlt sich sichtlich wohl, die Last vergangener Figuren abzulegen, und sich federleicht (im wahrsten Sinne des Wortes) durch die märchenhafte Welt der Erzählung zu bewegen. Stichwort Märchen: Genau als solches lässt sich „Sterne unter der Stadt“ definieren, ist man bemüht, einen Genre-Begriff herbeizuholen. Der Film ist ein Großstadtmärchen, spielt im Wien der Gegenwart, doch nicht auf den Prachtstraßen am Ring oder im ersten Bezirk, sondern zu großen Teilen in den Zwischenräumen. Sehr prominent wird etwa die U-Bahnstation am Wiener Schottentor in Szene gesetzt. Dort nämlich arbeitet Alexander in einem Fundbüro der Wiener Linien, um seinem Vater und seiner verstorbenen Mutter näher zu sein, die beide unterhalb der Oberfläche leben, respektive ruhen. Am Bahnsteig trifft er schließlich Caro (Verena Altenberger), eine junge Frau, die ihn sogleich beeindruckt, gegen deren Anziehung er sich aber wehrt. Als Kind hat er versprochen, sich niemals zu verlieben, in der Gegenwart fällt das Halten von Versprechen weiterhin schwer, auch jenes, das ihm Caro abverlangt, und das lautet: Versprich mir, dich nicht in mich zu verlieben.

 

 

Warum und weshalb Caro das so wichtig ist, soll nicht verraten werden. Der Film unternimmt ab etwa der Hälfte seiner Laufzeit einen Richtungswechsel, der der harmoniesüchtigen Gestaltung und Erzählung den Rücken kehrt, und ungewöhnlich düster wird. Vielleicht ist es der österreichische Ernst, der an dieser Stelle dann doch etwas in das Geschehen eingreift. Die Leichtigkeit der Inszenierung verliert der Film aber bis zum Schluss nicht, ist ungewöhnlich konsequent in der Auflösung der Geschichte, jedenfalls für das Genre, in dem er sich bewegt. Thomas Prenn und Verena Altenberger, aber auch das illustre Ensemble schrulliger Nebenfiguren zeigen eine große Spielfreude. Vor allem die beiden Hauptdarsteller*innen beweisen, dass großes Schauspiel nicht auf ernste Genres beschränkt sein muss. Sie geben der Tragikomödie einen Teil ihres Anspruchs zurück.

 

„Sterne unter der Stadt“ ist ein kurzweiliger Film, der gut unterhält, träumen lässt, und am Ende Wehmut hervorruft. Man erhält den Eindruck, dass der Film sich genügt, mehr will er nicht sein, mehr ist er auch nicht. Ungewöhnlich ist er nur mit Hinblick auf die nationale Konkurrenz. Er traut sich, einen neuen Blick zu wagen, ein Wien in neuem Gewand zu zeigen. Wo eine blaue Feder durch die U-Bahnstation schwebt, und in der Not der Sommer zum Winter wird.

 

Sterne unter der Stadt - Trailer