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RAMMSTEIN gastierte im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion in Wien. Ein Konzert der Superlativen.
Rammstein
Foto: Rammstein

50.000 zumeist schwarz gekleidete Gestalten fanden am Donnerstag Abend den Weg in das Wiener Ernst-Happel-Stadion. Denn: Die deutsche Industrial-Metal-Band Rammstein hatte geladen. Im Rahmen ihrer ersten Stadiontour bildete die österreichische Hauptstadt den Abschluss. Bei all den wahnwitzigen Einfällen der Band mutet es beinahe bescheiden an, dass man sich über 25 Jahre Zeit ließ, bevor man den Schritt ins Stadion wagte. Gleichzeitig ist dies auch die erste richtige Tour seit einigen Jahren. Der Anlass dazu war vermutlich das im Mai erschiene, unbetitelte siebte Studioalbum. So traten Rammstein 2019 mit neuen Liedern im Gepäck in 27 europäischen Städten auf und brachten das Blut der in Massen angereisten Fans zum Kochen. So auch in Wien. Nachdem die Vorband, ein Pianistinnen-Duo aus Frankreich, die einige Rammstein-Lieder in Klavierform interpretierten, bereits auf das bevorstehende Konzert eingestimmt hatten, begann das Hauptprogramm pünktlich um 20.30. Typisch deutsch eben. Doch abgesehen von der Pünktlichkeit nehmen es Rammstein nicht sonderlich ernst mit den Tugenden ihrer Nation. Doch noch bevor der erste Ton erklingt, darf man bereits über die 37 Meter hohe, eigens designte Bühne staunen, die mit ihren expressionistisch anmutenden Ecken und Kanten an teutonische, totalitäre Bauten erinnert. Ein Augenzwinkern. Unzählige Lichter warten darauf, in Aktion zu treten, und dazwischen vermutet man bereits vor Beginn des Konzerts die ein oder andere Sprengladung. Denn: Dafür sind Rammstein und ihre legendären Live-Shows bekannt. Maßlose Überinszenierung, viel Feuer, viel Rauch. Doch man beginnt überraschend klassisch. Die Feuerwerksmusik von Händel wird eingespielt und hallt von den Stadionrängen. Die Akustik ist erstaunlich gut, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass der Ton nicht nur von den Boxen auf der Bühne, sondern auch von den fünf inmitten der Arena stehenden Türme tönt. Wozu die außerdem gut sind, wird später im Konzert noch deutlich werden. Endet Händel, beginnen Rammstein. Schlagzeuger Christoph „Doom“ Schneider betritt die Bühne und holt zum ersten Schlag auf das Drum-Set aus. Im selben Moment explodiert die Front der Bühne und taucht sie in dichte Rauchschwaden. Die restliche Band tritt unter tosendem Applaus aus der grauen Nebelwand und stimmt zum ersten Lied an. Es ist vom aktuellen Album, der Song „Was ich liebe“. An diesem Abend springen Rammstein zwischen neuen und alten Klassikern hin und her, das Programm ist angenehm ausgewogen und lässt auch Platz für die ein oder andere ruhigere Ballade („Ohne dich“, „Diamant“). Doch in erster Linie feuert Rammstein ein loderndes Inferno an Pyrotechnik und zuckenden Lichtinstallationen ab. Sänger Till Lindemann verschwendet keine Energie darauf, das Publikum zum Mitsingen zu Animieren, das tut es sowieso. Die Lieder und ihre Texte sind gewohnt martialisch und makaber, auf eine poetische Art und Weise, wie es nur Rammstein können.

„Sehnsucht“, „Du riechst so gut“, „Du hast“ - wer die Band kennt und liebt, wird vor Glück brennen – wortwörtlich. In den vorderen Reihen, dort wo der Autor dieser Zeilen stand, wird es bedrohlich heiß, wenn die Flammenwände wenige Meter vor den Zuschauern in die Höhe schießen und die pulsierenden Rhythmen der schrammenden Gitarren begleiten. Zurückhaltung ist ein Wort, das Rammstein nicht kennt – zum Glück muss man sagen. Die Übertreibung und das bewusste Überspitzen ist seit jeher Markenzeichen der sechs Musiker aus der DDR. Da wird schon mal ein Flammenwerfer in Größe eines Flakgeschützes auf die Bühne geschoben, nur um bei „Mein Teil“ Keyboarder Christan „Flake“ Lorenz, in einem riesigen Kochtopf sitzend, in Brand zu setzen. Oder aber wenn bei „Du hast“ Raketen von der Bühne durch das gesamte Stadion fliegen, nur um kehrt zu wenden, unter krachendem Getöse zurück zur Bühne zu sausen und dort in Rauch und Explosionen zu verenden. Bei „Sonne“ spucken die Türme in der Mitte der Arena Flammen, man fühlt sich in einem Mad Max-Film gefangen. Ein weiteres Highlight, und bereits seit langer Zeit fester Bestandteil jeder Show: Der überdimensionale Penis, auf dem Lindemann reitet und mit dem er seine treuen Fans, nun, vollspritzt. Ein ungewöhnliches Vergnügen.

Abseits dessen wissen Rammstein aber auch mit politischen Statements nicht zu sparen. Da wäre natürlich die deutliche Links-Positionierung („Links 2-3-4“), aber auch der Kuss der beiden Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers, den die Band bei ihrem Auftritt in Moskau in diesem Jahr zum ersten Mal gezeigt haben. Was als Statement gegen die in Russland landläufig akzeptierte Homophobie begann, setzte sich bei den folgenden Auftritten fort. Das stärkste politische Zeichen dürfte aber das „Willkommen“-Schild sein, das Lindemann seinen Band-Kollegen entgegenhält, wenn die in Schlauchboten über die Zuschauer-Menge „schwimmen“. Auch das kontroverse Lied „Deutschland“ wird gespielt, trotz, oder gerade wegen der Zeile „Übermächtig/überflüssig/Übermenschen/überdrüssig/Wer hoch steigt/Der wird tief fallen/Deutschland, Deutschland über allen“.

Der Trailer zur Tour 2020.

Ganze zweieinhalb Stunden dauert das Konzert – inklusive vierzig Minuten Zugaben. Am Ende bleibt mehr als Schall und Rauch, und der Eindruck, ein ganz besonderes Metal-Konzert erlebt zu haben. Denn Rammstein heben sich durch ihre ungewöhnliche Inszenierung, die bis ins kleinste Detail geplant ist, von vielen ihrer Artgenossen ab. Gewohnt düster und makaber sind die sechs Musiker Schreckensgestalten. Deutsche Schreckensgestalten, die einem Märchen ihrer eigenen Kultur entsprungen sein könnten, ebenso wie die Geschichten und Melodien, die sie von sich geben. Man liefert die perfekte Show, die selbst jene begeistern könnte, die mit den martialischen Klängen nichts anfangen können. Am Ende bleibt die Frage, wie ernst Rammstein all das nimmt. Denn egal wie düster oder grausam die Texte und die Riffs auch sind – überall trieft es vor Ironie und schwarzem Humor. Wagner, Bach, Händel, Beethoven gibt es nicht mehr. Rammstein haben sie abgelöst. Denn so schwer es manchen fällt, muss man doch zugeben: Rammstein sind die neue deutsche Hochkultur. Und ihr Konzert nicht ein solches, sondern eine moderne, überbordende Inszenierung zeitgenössischer Musik. Eine Oper.