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Gezwitscher aus Rom

Der SVP-Parteiausschuss hat eine klare Bedingung für eine Stimmenthaltung zur Meloni-Regierung beschlossen. Es braucht einen Autonomie-Passus im Regierungsprogramm.
SVP Sitz
Foto: Othmar Seehauser
Spätestens seit Donald Trump macht man Weltpolitik nicht mehr in den Parlamenten oder in den Verhandlungszimmern, sondern auf Twitter. Genau das passiert derzeit auch in der kleinen Südtiroler Welt.
Es ist eine Twitter-Nachricht des neuen italienischen Außenministers und Vizepremiers Antonio Tajani, die für die Meloni-Bewunderer in Brüssel, Pfalzen und dem Weinbergweg die langersehnte Erlösungsbotschaft ist. Perfekt getimt und verkündet vom Medienhaus Athesia. Ganzseitig am Montagmorgen vor der entscheidenden Sitzung des SVP-Parteiausschusses.
Der Auslöser ist ein Tweet des österreichischen Außenministers Alexander Schallenberg, mit dem er am vergangenen Samstag Vormittag dem „großen Europäer“ Antonio Tajani zu seinem neuen Amt gratuliert und sich gleichzeitig beim scheidenden Außenminister Luigi Di Maio bedankt. „Mille grazie, Luigi e sinceri auguri a Te, Antonio!“, schließt Schallenberg seine Kurzbotschaft.
 
 
 
Es dauert über einen Tag, bevor Tajani antwortet. Dann schreibt der Forza-Italia-Politiker einen Retweet:
 
„Grazie caro Alexander. Continueremo a collaborare con l’Austria.Anche per quanto riguarda gli standard di autonomia che nel 1992 hanno portato al rilascio della quietanza liberatoria all‘ONU.“
 
Dreieinhalb Zeilen auf Twitter, 191 Anschläge, aus denen hervorgehen soll, dass die neue italienische Regierung minderheiten- und südtirolfreundlich sei. Die für manche logische Konsequenz daraus: Die SVP kann in Rom bei den heute und morgen im Parlament anstehenden Vertrauensabstimmungen nicht gegen die Meloni-Regierung stimmen. Stimmenthaltung soll die Devise heißen. So wie es Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner per Leitartikel bereits vor Wochen verordnet hatte.
 

Tajanis Retweet

 
Die große Frage ist derzeit, warum der neue Vizepremier diese Botschaft gerade jetzt lanciert hat.
Denn Tajanis Zeilen sind wohlüberlegt und mit der Farnesina - dem Außenministerium - abgesprochen. Das macht allein die Tatsache deutlich, dass sich der Vizepremier über 24 Stunden Zeit für den Retweet gelassen hat. Das ist kein Schnellschuss, sondern eine Art Freistoß, der Tajani aufgelegt worden ist.
Wer aber steckt dahinter?
Die üblichen Verdächtigen sind schnell ausgemacht. Herbert Dorfmann, der beste persönliche Kontakte zu seinem Brüsseler Banknachbarn und langjährigen Fraktionspräsidenten der Europäischen Volkspartei hat. Oder der Pusterer SVP-Senator Meinhard Durnwalder, der in Rom der Lega sehr nahe steht.  Beide gelten als offene Verfechter der Stimmenthaltung. Ihre Argumentation: Man soll sich durch eine Nein-Stimme doch nicht eine zukünftige Zusammenarbeit verbauen.
Sicher ist: In den vergangenen Tagen wurden alle möglichen Kanäle genutzt, um ein Signal aus Rom zu erreichen, das in diese Richtung geht.
 
 
 
Ausschlaggebend für diesen Tajani-Tweet dürfte aber eine Verbindung sein, die nicht so im Vordergrund steht. Der SVP-Abgeordnete Manfred Schullian steht seit längerem in Kontakt mit Francesco Lollobrigida, Schwager von Giorgia Meloni und Fraktionssprecher der Regierungspartei Fratelli D’Italia.
Nach Informationen von Salto.bz gab es in den vergangenen Wochen und Tagen über diese Schiene ein Reihe von Gesprächen, Anrufen und WhatsApp-Nachrichten. Mit dabei auch Landeshauptmann Arno Kompatscher.
Zudem hat man auch mit Maurizio Lupi verhandelt. Der frühere Infrastruktur- und Verkehrsminister in den Regierungen Letta und Renzi, der bei diesen Wahlen für das Rechtsbündnis angetreten ist und gewählt wurde, hat sich der SVP als Mittelsmann angeboten.
Bei diesem Meinungsaustausch kam dann auch dieser Vorschlag auf den Tisch. Fast wörtlich so, wie ihn Antonio Tajani später gezwitschert hat. Das Wording ist auch mit SVP-Obmann Philipp Achammer abgestimmt.
Dass diese Öffnung für jenen Teil der SVP, der Meloni und ihrer Regierung äußerst kritisch gegenübersteht, aber nur ein erster Schritt sein soll, wurde am Montagabend auf der Sitzung des SVP-Parteiausschusses deutlich.
 

Ein klares Bekenntnis

 
Der SVP-Ausschuss tagte am Montag nur online. Auch deshalb dauert die Sitzung am Ende fast drei Stunden. Dabei ging es im Edelweiss-Netz ordentlich zu Sache. „Es war eine gute und vernünftige Sitzung“, sagt ein Mitglied des Parteiausschusses. „denn es wurde inhaltlich sehr offen und fair diskutiert“. Beide Seiten, sowohl die regierungsfreundliche als auch die regierungskritische Gruppe, legten dabei ihre Argumente dar.
 
 
 
Es waren SVP-Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher, die am Ende einen gemeinsamen Vorschlag zur Abstimmung brachten. Zur Stimmenthaltung muss im Regierungsprogramm ein klares Bekenntnis zum Schutz oder zur Wiederherstellung der Südtiroler Autonomie (wie im Tajani-Tweet angedeutet) stehen. Nur dann werde man nicht gegen die neue Regierung stimmen. Gleichzeitig will man sich aber auch das restliche Programm Melonis anschauen und prüfen, ob es der Wertehaltung der Volkspartei entspricht.
Auch deshalb will die SVP die Regierungserklärung Melonis am Dienstag in der Abgeordnetenkammer abwarten, um eine endgültige Entscheidung zu treffen.
59 Mitglieder des Parteiausschusses sprachen sich für diesen Vorschlag aus. Es gab eine Gegenstimme und vier prominente Enthaltungen.
 
Nur wenn im Regierungsprogramm ein klares Bekenntnis zum Schutz oder zur Wiederherstellung der Südtiroler Autonomie steht, wird sich die SVP der Stimme enthalten.
 
Damit steht der politische Fahrplan. Giorgia Meloni wird am Dienstag ab 11 Uhr in der Kammer ihr Regierungsprogramm vorstellen. Am späten Nachmittag kommt es in der Abgeordnetenkammer zur Vertrauensabstimmung, am Mittwoch folgt dasselbe im Senat.
Im Parteiausschuss wurde entschieden, dass es nach Melonis Regierungserklärung heute eine weitere Online-Sitzung des SVP-Obmannes und des Landeshauptmannes mit den SVP-Parlamentariern geben wird. Dabei wird sich das Stimmverhalten entscheiden.
Es geht sicher nicht nur darum, dass etwas Bestimmtes im Regierungsprogramm steht“, sagt ein Mitglied der SVP-Parteileitung, „sondern was dort insgesamt steht“.
Mit einem seichten Gezwitscher aus Rom wird es diesmal nicht getan sein.
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M A Mar, 10/25/2022 - 07:29

Wann, wenn nicht jetzt, will die SVP Nein zu einer neuen Regierung sagen?
Die Stimmenthaltung für diese Rechtsregierung ist reiner Opportunismus, dieses Wort sollten sie vielleicht noch in die Parteistatuten einfügen...
Und am besten gefallen mir die 4 Pfeifen, die sich zu einer möglichen Stimmenthaltung der Stimme enthalten... haben die gar keine Meinung???
Wir müssen nicht nur auf Rom aufpassen, Bozen liegt viel näher!

Mar, 10/25/2022 - 07:29 Collegamento permanente
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G. P. Mar, 10/25/2022 - 09:11

Ja, dann ist ja gut. Bei den ganzen Südtirol-Freunden in der Regierung könnte man doch gleich mit Ja stimmen. Ich warte eigentlich nur noch darauf, bis jemand Meloni als Südtirol-Freundin bezeichnet.
Und auch ohne Autonomie-Passus im Regierungsprogramm wird die SVP sich der Stimme enthalten, wetten ...?

Mar, 10/25/2022 - 09:11 Collegamento permanente
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△rtim post Mar, 10/25/2022 - 10:41

Es gilt die Zeichen der Beruhigung nun im Vorfeld der Vertrauensabstimmungen nicht überzubewerten. Eine Gratwanderung. Die Geschichte mahnt, sich nicht durch taktische Manöver, Maskeraden der Freundlichkeit ... täuschen zu lassen.
Als Vertretung einer Minderheitenbevölkerung in Italien wird man auch die Zukunft Südtirols betreffenden Aussagen Melonis zu endlösender Zwangsaustreibung für Südtiroler-innen und zur Autonomie: «Un’autonomia non ha bisogno di essere tutelata all’interno di una struttura statale.« (2022) gleichermaßen zur Kenntnis zu nehmen haben. Zumal die aktuelle Regierung Italiens von Meloni und nicht von Calderoli, Tajani ... geleitet wird. Bislang hat es jedenfalls für eine Zurücknahme der Aussagen, eine Entschuldigung nicht gereicht. Geschweige denn für ein Wort der Entschuldigung für die Zwangs- und Terrorherrschaft bzw. Ethnozid in der Vergangenheit.
Nichtsdestotrotz gilt es wohl auch unter diesen politischen Vorzeichen pragmatisch zu bleiben — mit Mut zum aufrechten Gang.

Mar, 10/25/2022 - 10:41 Collegamento permanente