Cultura | Salto Afternoon

zeitshift.eu

Ein neues Portal zur Suche in historischen Zeitungsbeständen ist seit heute online. Ein Gespräch mit Johannes Andresen samt Hinweis auf die Tagung "Citizen Science".
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Foto: Landesbibliothek Teßmann

salto.bz: Seit heute gibt es ein neues Portal für historische Zeitungen und Zeitschriften des historischen Raums Tirol ...

Johannes Andresen: Entstanden ist es in einem EU-Projekt unter Beteiligung der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann, der Universitäts- und Landesbibliothek Innsbruck und des Instituts für Angewandte Sprachforschung an der Eurac. Unter zeitshift.eu sind mehr als 80 Zeitungen und Zeitschriften des 18. bis 21. Jahrhunderts im Volltext recherchierbar und, soweit es die Urheberrechte zulassen, einsehbar.

Das Recherchieren in historischen Zeitschriften und Zeitungen unter "tessmann digital" geht nun im neuen Portaldigitalen System der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann einfacher als vorher. Was ist neu?

Neu sind vor allem rund 40 zusätzliche Zeitungen, die wir im Rahmen des Interreg-Projekts digitalisieren konnten und die Funktion, dass nun von allen Zeitungen und Zeitschriften auch der Volltext verfügbar ist, so dass im gesamten Bestand nach Personennamen, Institutionen oder Stichworten gesucht werden kann. Aber Achtung. Die meisten Zeitungen und Zeitschriften sind vor über 100 Jahren entstanden, das Papier ist abgegriffen, die Tinte nicht mehr tiefschwarz und nahezu alle Zeitungen sind Fraktur geschrieben, so dass die automatische Texterkennung und der beste Algorithmus an seine Grenzen stößt.
 

Wenn Sie vor 10 Jahren mit einem Look aus den 80ern herumgelaufen wären, wären Sie vermutlich bemitleidet worden, wenn Sie denselben Look heute tragen, gehören Sie zur Avantgarde.


Wieviel Menschen nutzten das bisherige Portal, um in historischen Zeitschriften oder Tageszeitungen zu lesen? Welche interessanten Statistiken hat die „Teßmann“ diesbezüglich?

Wir haben ja schon viele Jahre Erfahrungen mit unserem Portal Tessmann digital. Aber absolute Zahlen zu erheben ist mit unseren Möglichkeiten nicht ganz einfach. Was man hingegen sicher sagen kann, ist, dass die Zugriffszahlen in der sogenannten Coronazeit stark zugenommen haben und weiter auf diesem Niveau verbleiben. Die meisten Zugriffe kommen aus Südtirol, Italien und Österreich, doch überrascht hat uns, dass ein stetiger Prozentsatz aus den USA kommt. Auch dort scheint man sich für das historische Tirol und seine Bewohner zu interessieren. 

Nach welchen Sachverhalten wird vordergründig in historischen Zeitschriften und Tageszeitungen recherchiert?

Ich denke, das unterscheidet sich von Person zu Person. In vielen Gesprächen habe ich erfahren, dass Privatpersonen die Plattform zur Recherche von Familienangehörigen und Verwandten nutzen, Dorfchronisten erforschen und dokumentieren die Ereignisse ihrer Gemeinde. Und die wissenschaftlichen Fragestellungen haben ein breites Spektrum. Sie reichen von der Auswertung der Wetterberichte über die Fragestellungen der Tourismusgeschichte bis hin zur Auswertung der Werbe- und Kleinanzeigen, um die Alltagswelt der Bürger vor einhundert Jahren greifbar zu machen.
 

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Sprunghafter Versuch: Die Suche nach Salto in historischen Beständen ist alles andere als ergebnislos. 2451 Ergebnisse / Foto: Landesbibliothek Friedrich Teßmann

 

Stichwort Privacy. Es können ja durchaus Vorfälle erneut aufgerollt werden, die die Gesellschaft bereits verdrängt hat oder vergessen will, der digitale Zeitungsbestand vergisst aber nicht. Wie damit umgehen?

Von Arthur Schopenhauer stammt das Bonmot „Zeitungen sind der Sekundenzeiger der Geschichte“ und dementsprechend findet sich tatsächlich nicht nur das große Weltgeschehen mit den Personen der damaligen Öffentlichkeit in den Zeitungen, sondern ebenso der verurteilte Dieb, das arbeitssuchende Dienstmädchen, der eine Wohnung zur Miete suchende Geselle. Jedoch stellen wir uns die Frage nach der Privacy aus unserer Kenntnis des 21. Jahrhunderts, der Datenkraken der großen Social Media-Plattformen und auch unseres heutigen Verständnisses von Privatheit und Öffentlichkeit. Das ist so nicht auf die Zeitung des 19. Jahrhunderts zu übertragen. Im Unterschied zu heute, sind es ja alles Informationen, die auch damals schon bewusst veröffentlicht werden sollten. Die digitalisierte Zeitung vereinfacht uns im Unterschied zur identischen Printausgabe höchstens das Auffinden der bereits öffentlichen Information.

Manchmal, auch wenn nur sehr selten, finden sich entweder einzelne Spalten geschwärzt, oder ein weißes Rechteck markiert eine Auslassung. Gibt es Zensur?

Höchstens unbedarft durch den damaligen Leser! Die geschwärzten oder weißen Fehlstellen gehen auf ausgeschnittene Artikel in der Originalausgabe durch den Leser zurück. Vielleicht war es ein Artikel, der besonders interessierte, eine Romanfortsetzung oder Ähnliches, wobei der Leser dann nicht bedachte, dass damit auch die Rückseite der Seite mit einem gänzlich anderem Artikel auch verschwand. Übrigens haben alle Bibliotheken auch heute noch mit diesem Phänomen zu kämpfen. Beliebt sind Kreuzworträtsel oder Gewinnspiele …
 

Erst mit einem größeren zeitlichen Abstand wird ihr Inhalt gesellschaftlich wieder interessant, weil sich in der Beschäftigung mit der Vergangenheit unser gesellschaftliches kollektives Gedächtnis immer wieder aufs Neue formt.


Weshalb dürfen Zeitungen, die jünger als 70 Jahre sind, nicht online eingesehen werden?

Das hat mit dem geltenden Urheberrecht zu tun. Als Bibliothek dürfen wir zwar eine gedruckte Veröffentlichungsform in eine digitale umwandeln und auch in den Räumen der Bibliothek anbieten, aber außerhalb der Bibliotheksräumlichkeiten dürfen wir sie nur bereitstellen, sofern die Sperrfrist von 70 Jahren abgelaufen ist. Aber wir freuen uns, wenn die Menschen in solchen Fällen zu uns kommen, entsprechende Rechercheplätze haben wir eingerichtet.

Wie sieht es mit der Suche nach Begriffen italienischsprachiger Zeitungen aus? Wie lassen sich Ladinische Zeitschriften digital erforschen?

Die Digitalisierung, Erschließung und Bereitstellung von historischen Zeitungen ist ein enormer Arbeitsauftrag. So haben wir uns mit unseren Kollegen von der italienischen Landesbibliothek Claudia Augusta und der Stadtbibliothek von Bozen abgestimmt, dass sie sich um die italienischsprachigen Publikationen kümmern. Das Portal verfügt dabei über offene Schnittstellen und ist bewusst so gestaltet worden, dass wir in den nächsten Schritten die Digitalisate anderer Einrichtungen integrieren können. Einige ladinische Zeitungen finden sich hingegen bereits im Portal.
 

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Wer sucht, der findet: Es findet sich tatsächlich nicht nur das große Weltgeschehen mit den Personen der damaligen Öffentlichkeit in den Zeitungen, sondern ebenso der verurteilte Dieb, das arbeitssuchende Dienstmädchen, der eine Wohnung zur Miete suchende Geselle / Bildquelle: iMooX


Ist das Medium Zeitung nicht per se schon historisch und bei Nutzerinnen und Nutzern ein Auslaufmodell?

Vielleicht ist es wie mit der Mode. Wenn Sie vor 10 Jahren mit einem Look aus den 80ern herumgelaufen wären, wären Sie vermutlich bemitleidet worden, wenn Sie denselben Look heute tragen, gehören Sie zur Avantgarde. Aber Spaß beiseite, eine Tageszeitung trägt ihr Verfallsdatum ja bereits im Namen und nach wenigen Tagen verschwinden die Seiten zwischen zwei Pappdeckeln in den Archiven der Bibliotheken. Erst mit einem größeren zeitlichen Abstand wird ihr Inhalt gesellschaftlich wieder interessant, weil sich in der Beschäftigung mit der Vergangenheit unser gesellschaftliches kollektives Gedächtnis immer wieder aufs Neue formt, Halbvergessenes an die Oberfläche kommt und Anderes aus unserem Gedächtnis verschwindet.