Cultura | Salto Afternoon

Brixner Kunst-Besetzer*innen

Mit dem Projekt „Verbieten Verboten“ zeigt die Stadt Brixen, dass Kunst sich nicht (mehr) verbieten lässt, sondern den öffentlichen Raum einnimmt.
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Foto: Stadtgalerie Brixen

Von 27. November 2021 bis 23. Januar 2022 können im Zentrum von Brixen die Arbeiten von sieben Künstler*innen bewundert werden. Hier ein Überblick der beteiligten Künstler*innen:

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Leonhard Angerer weiß, dass das Private politisch ist. Er will mit seinen Aktionen und Arbeiten Stellung nehmen und seine Meinung ausdrücken. In den 70er und 80er Jahren machte er dies auf sehr viel plakativere Art und Weise wie heute. Für „verbieten verboten" präsentiert der Künstler eine für ihn typische Fotografie einer alpinen Gletscherlandschaft, welche einen sehr tristen Anblick hat, um ein Gletscher zu sein. Im Zentrum des Bildes gibt es einen weißen Fleck, der nicht, wie zu erwarten wäre, Schnee zeigt, sondern einen Stoff, der wie beim Leichenbestatter über den Toten gelegt wird. Der Tote ist in diesem Fall der Gletscher, welchen man im oberen rechten Eck erkennen kann. Es ist eigentlich nicht ganz korrekt hier von Tod zu sprechen, schon gar nicht von Leichenbestatter*innen. Immerhin repräsentiert der Stoff den hoffnungslosen Versuch das Schmelzen des Eises aufzuhalten oder zumindest zu bremsen. Leonhard Angerer weiß um die Tragödie dieser verzweifelten Geste. Er ist ständig in den Bergen unterwegs und hat daher auch leider nicht nur einen dahinschmelzenden Gletscher abgelichtet, sondern unzählige. Auch wenn man von Fotografie stets als Momentaufnahme spricht, so sind diese Bilder doch Aufnahmen eines ganzen Zeitalters von dahinschmelzender Zukunft kommender Generationen.


2

Marlies Baumgartner hat ein soziales Anliegen. Sie beschäftigt sich mit dem Zustand unserer Gesellschaft als Gemeinschaft und stellt sich die Frage, ob es Zeit dafür ist ein neues „wir" zu definieren. Verbote, Vorschriften, vor allem aber wir Menschen selbst haben es zu verantworten, dass sich die Gesellschaft immer mehr spaltet. Der Mensch isoliert sich, flüchtet vor der Realität in den virtuellen Raum und trifft in einem Meer von einzigartig gleichen Individuen auf trostlose Einsamkeit. Diese isolierte Identität zeigt die Künstlerin indem sie sechs Portraits ihrer Generation mit farbigen Punkten verhüllt, welche eine analoge Brücke zum digitalen Pixel darstellen. Ein Pixel ist ein Bildpunkt, der einem Farbwert in einer digitalen Rastergrafik entspricht. Die Pixel eines Bildschirms bestehen normalerweise aus Flächen jeweils einer der Grundfarben rot, grün oder blau. Die Übertragung dieser Farben in Form von Punkten/Strichen auf die handgemalten Portraits zeigt nicht nur die Unmöglichkeit die Realität einer Person in die digitale Welt zu verlegen. Sie ist vor allem eine Metapher dafür, dass kein Raster der Welt die Vollkommenheit eines menschlichen Wesens darstellen kann. Um Betrachtende an die Wichtigkeit wahrhaftiger menschlicher Nähe zu erinnern bietet Marlies Baumgartner einen Weg aus dem Tunnel. Sie versieht die sechs Portraits jeweils mit den Buchstaben, die zusammengesetzt die Wörter WIR bzw. NOI ergeben. Den suchenden Betrachtenden ist damit die Möglichkeit gegeben die Identität des WIR/ NOI zu erkennen und der Gemeinschaft ihre Wichtigkeit wieder zu schenken.

 

3

Clemens Tschurtschenthaler besinnt sich beim Slogan „verbieten verboten" schmunzelnd seiner Schulzeit und transformiert eine Anekdote in die Arbeit für dieses Projekt. Als Schüler wurde der Künstler wohl des Öfteren als störend empfunden und vom Lehrer vor die Türe geschickt. Nicht besonders beeindruckt und geplagt von der auferlegten Strafe machte sich der junge Tschurtschenthaler die Zeit vor der Tür gemütlich und schlenderte vielleicht sogar ein wenig umher. Dies bemerkte der Lehrer irgendwann, weshalb er den bestraften Schüler von nun an dazu zwang die Türklinke von außen nach unten zu drücken um sich zu versichern, dass dieser auch brav vor der Türe warten würde. Die Formwerdung dieser Geschichte installiert der Künstler an einer Wand in einem unterirdischen Durchgang der Stadt. Eine statische Tür, die eingeklemmt in einer galgenähnlichen Holzkonstruktion verweilt und nirgendwo hinführt. Die Arbeit ist kein Versuch der Trauma¬Überwindung und auch kein Anzeigen des berüchtigten Lehrers. Clemens Tschurtschenthaler sieht darin vielmehr die Vergegenwärtigung einer Situation, in der Reglement und Verstoß aufeinandertreffen und die daraus resultierende Kausalität bedingen - Die Strafe.

4

Paul Thuile hat seine ganz eigene Art mit Verboten umzugehen. In einer (Kunst)Welt der Provokation, lässt er es sich nicht nehmen seinen Fokus auf die Schönheit des Unspektakulären zu legen. „Mich interessiert das Normale" ist die Entfremdung einer ehemaligen Zeichnung des Künstlers, welche das Innenleben eines chaotischen Dachbodens zeigt. Seine Zeichnungen fertigt Paul Thuile üblicherweise direkt in den vorgefundenen Räumen an. Eine Art Momentaufnahme von allem und ausschließlich jenem, was sich in seinem Blickwinkel befindet, schafft es in die ganz subjektive Verewigung seiner Raumwahrnehmung. Oft entsteht die Zeichnung direkt auf einer Wand im selben Raum, weshalb sie einer verzerrten Perspektive unterliegt und an den Blick eins Insektes auf seine Umwelt erinnert. Im Falle von „Mich interessiert das Normale" bringt der Künstler, wie so oft, einen Raum, der nur Wenigen bis Niemandem zugänglich ist, ans Licht und schafft dabei vielleicht mehr Spektakel als geplant. Die Besonderheit dieser Arbeit ist neben der typischen Vorgehensweise des Künstlers und der Zurschaustellung des unzugänglichen Raums vor allem die Readaptierung der eigenen Arbeit: Der ehemalige Bleistiftstrich wird von neuen Linien umrahmt und somit entfremdet, die Anpassung im öffentlichen Raum mit den umrahmenden Linien ist eine doppelte Abstraktion des Originals, welches dazu führt, dass der „verbotene" Raum zum Greifen nahe scheint.

5

Sophie Lazari füllt für ihre Arbeit die breite Fassade des Hotel Pupp mit einer Anreihung an bunten Körpern. Das Zusammenspiel macht zunächst durch die lebendigen Farben und die einzigartige Strichführung der Künstlerin auf sich aufmerksam. Bald fällt das Auge der Betrachtenden jedoch auf die Zensur im Bild. Die Brustwarzen der dargestellten Personen sind mit einem schwarzen Balken verdeckt. Ihre Existenz ist erkennbar und dennoch scheint es nötig sie zu verdecken. Sophie Lazari macht damit auf die Zensur weiblich gelesener Personen vor allem auf Social Media aufmerksam. Während die Brustwarzen männlich gelesener Personen ohne Weiteres ihren Platz im Netz haben können, wird dieser spezifische Teil von Frauenkörpern blockiert. Die schwarzen Balken in Lazaris Grafik wirken störend für die Betrachtenden und sollen gerade damit auf die patriarchale Machstruktur hinter diesem Phänomen der Zensur hinweisen. Die Künstlerin setzt sich damit nicht nur für eine Gleichberechtigung der Geschlechter ein, sondern spricht auch die Objektifizierung des weiblichen Körpers an. Seit der Antike stellen Künstlerinnen den menschlichen Körper dar, für lange Zeit galt dessen „perfekte" Darstellung und die Suche nach dem goldenen Schnitt sogar als höchstes Ziel der Kunst. Es ist an der Zeit menschliche Körper einfach nur als Körper zu betrachten und das Netz sowie die Kunst von dieser völlig überholten Zensur zu befreien.

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Karin Schmuck lässt sechs Fotografien von den Brücken der Stadt wehen, welche allesamt zu ihrer Serie „Dreamers" gehören und sich jeweils im Paar präsentieren: Flaniert man den Fluss entlang Richtung Norden, so hängen an den beiden Seiten der Widmannbrücke und an der Adlerbrücke drei Fotografien in sanftem Schwarz-Weiß. Sie zeigen Schlafende in einem Bett. Ein älterer Herr, eine Frau und ein Baby wurden jeweils von der Künstlerin kurz vor Ihrem Erwachen fotografiert. Dieser intime Moment, in welchem die Menschen für ein paar Stunden die Kontrolle abgeben und sich träumend auf eine Reise durch ihr Unbewusstes begeben, steht in „Dreamers" im Mittelpunkt. Die große Besonderheit dieses Moments und seine Einzigartigkeit wird jedoch erst durch den zweiten Teil der Paar-Serie klar. Blickt man von Süden auf die genannten Brücken, so wehen blaue Muster, die an zerknittertes Geschenkpapier erinnern über dem Fluss. Die sich ergebenden Bilder sind das Resultat der Bettlaken, in denen die abgelichteten Menschen übernachtet haben. Karin Schmuck verwendet hier ein traditionelles Fotodruckverfahren namens Eisenblaudruck (Cyanotypie) indem sie den Stoff in eine fotosensible Mischung tunkt und dann trocknen lässt. Mit den ersten Sonnenstrahlen oder einzelnen Lichtquellen nachtsüber nimmt das Laken die Form der Nacht der Schlafenden an. Die Verwendung dieser originellen Technik erlaubt es Karin Schmuck somit über den „Moment" einer Fotografie hinauszugehen und eine ganze Nacht in ein einzigartiges Bild zu fassen, welches außerdem wortwörtlich ans Licht bringt, was den Augen sonst verwehrt ist und auf der Gefühlsebene rezipiert wird. Selten wurde uns ein derart intimer Einblick in den Schlaf der Menschen gewährt. Die Brücken und der Fluss unter ihnen scheinen dabei der fließende und magische Übergang vom Wachen zum Träumenden Zustand zu sein.

 

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Hans Knapp will mit seiner Arbeit einen Diskurs über unseren Diskurs zum Thema Klimawandel führen. Der Titel „jaja aber" bezieht sich auf die Trägheit, mit welcher der Mensch auf die enormen Gefahren reagiert, die aufgrund der Erderwärmung schier täglich an allen Ecken der Welt lauern. Es ist auch eine Haltung wohlfeiler Betroffenheit, eine scheinheilige Beteiligung. Wir wissen Bescheid, wir kennen die Gefahr, schlussendlich gibt es jedoch immer ein „aber". Und dieses scheint nach wie vor wichtiger zu sein als die Gefahr. „Ich will ja verzichten, aber...". Dabei ist diese Einstellung keineswegs nur in Bezug auf die „Problematik" Klima anzutreffen. Meistens reagieren Personen bei einer Konfrontation, die irgendein sozialpolitisch unangenehmes Thema betrifft, mit dieser sich rechtfertigenden Art. Deshalb setzt Hans Knapp auf Fakten und zeigt seine Arbeit an den bestehenden Info Stelen an der Widmannbrücke, welche von öffentlichen Trägern im Rahmen des Projektes „StadtLandFluss" installiert wurden. Das Projekt wurde 2009 ins Leben gerufen, um den Talboden von Brixen sicherer und lebenswerter zu gestalten und den Flussraum im mittleren Eisacktal ökologisch aufzuwerten. Seitdem sind einige Jahre vergangen und die lobenswerten Pläne, welche anhand der Grafiken an den Info Stelen erläutert werden, scheinen angesichts der immer häufigeren und schlimmeren Katastrophen eine fragile Hoffnung. Dies beweist der Künstler mit einem Screenshot einer aktuellen und alarmierenden Meldung der Vereinten Nationen und einem Foto, welches er mit seinem Handy während des Hochwassers im August 2020 an der Mozartbrücke, nur einige hundert Meter flussabwärts vom Standort der Kunstwerke, gemacht hat.