Ambiente | Katastrophenhilfe

Einsatz beendet

66 Helfer aus Südtirol haben mit dem heutigen Donnerstag ihren Einsatz in Mittelitalien beendet. Eindrücke aus dem Katastrophengebiet.
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Foto: LFV/Feuerwehren Abschnitt Kaltern

Den Beginn hatten am vergangenen Mittwoch sechs Männer der Berufsfeuerwehr gemacht. Am Tag darauf folgte ihnen ein Hilfszug mit 21 Männern. Insgesamt waren in der vergangenen Woche 66 Helfer aus Südtirol in Schichten mit schwerem Schneeräumgerät in 18 verschiedenen Ortschaften der Provinzen Ascoli Piceno und Pescara im Einsatz – von der Berufsfeuerwehr und der Wildbachverbauung, dem Straßendienst des Landes, der Bergrettung Süd- und Osttirol sowie den Freiwilligen Feuerwehren aus den Bezirken Bozen und Brixen. Am heutigen Donnertag heißt es auch für die letzten von ihnen: „Einsatz beendet“. 

So auch für den Kalterer Abschnittsinspektor Richard Petermair, der am gestrigen Mittwoch von einem dreitägigen Einsatz als Einsatzleiter eines Trupps aus zehn Männern der Freiwilligen Feuerwehren von Kaltern und Bozen zurückkam. Sie wurden vor allem aufgrund ihrer Erfahrung im Umgang mit Motorsägen angefragt, um die großen Fräsen von Berufsfeuerwehr und Wildbachverbauung zu begleiten. „Man muss sich vorstellen, dass bei der Räumung alle 20 Meter ein großer Baumstamm im Weg lag“, erzählt der Feuerwehrmann. Haupteinsatzgebiet des Südtiroler Trupps waren kleine Fraktionen in einem größeren Umkreis von Ascoli Piceno, die durch die zweieinhalb bis drei Meter hohen Schneemassen komplett von der Außenwelt abgeschnitten waren. So zum Beispiel viele der insgesamt 47 Fraktionen der Gemeinde Aquasanta. Kleine Bergdörfer auf einer Höhe zwischen 800 und 1000 Metern, die vielfach nur über steile Serpetinenstraßen erreichbar sind. Auch aufgrund der steigenden Temperaturen war dort die Lawinengefahr extrem hoch. „Bei einer Rückfahrt hatten wir extremes Glück, weil ungefähr zwei Minuten davor eine Lawine auf die Straße abgegangen war“, erzählt der Kalterer.

Was die Südtiroler in den kleinen Bergdörfern erwartet, war auch für sie als Bergmenschen immer wieder überraschend. Denn nicht nur die Zerstörung durch die schweren Erdbeben vom Vorjahr macht aus den Weilern und Dörfern oft Geisterorte, in denen ein großer Teil der meist aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammenden alten Gebäude beschädigt oder fast gänzlich zerstört ist. Auch die Abwanderung der vergangenen Jahrzehnte habe die kleinen Dörfer quasi menschenleer zurückgelassen, erzählt der Feuerwehrmann. Dort wo vor 20 bis 30 Jahren noch 100 bis 300 Einwohner gezählt wurden, seien meist nur mehr ein Dutzend oder noch weniger Menschen zurückgeblieben – und fast alle seien über 60 Jahre alt.

„Da sieht man wirklich, wie klein der Mensch ist“

So beispielsweise in der Ortschaft Flano, wo das einzig intakte Gebäude eine bereits vor 40 Jahren geschlossene Schule sei, die von einer wohlhabenden Familie als Sommerfrische genutzt werde. Mehr als die Hälfte der verbliebenen 13 Bewohner sei nach den Schneefällen mit einem Hubschrauber evakuiert worden, der Rest habe sich geweigert, das eigene Zuhause zu verlassen. Die Südtiroler Retter halfen nicht nur die Zufahrtsstraßen zu ihren Häusern zu räumen. Sie schaufelten auch Holzlegen oder Ställe frei, in denen Schweine, Schafe, Ziegen oder Hühner oft bereits eine Woche ohne frisches Futter ausharrten. „Die Menschen haben uns teilweise wirklich auf Knien gedankt, oft wurden wir noch zum Essen eingeladen“, erzählt Petermair. An Vorräten habe es den Menschen im Katastrophengebiet nicht gemangelt. „Die sind auf solche Situationen vorbereitet und hatten Vorräte für ein Monat“, sagt er. Viele der Menschen seien Selbstversorger, wovon auch der selbstgemachte Speck und die Würste zeugten, die den Südtiroler Helfern vorgesetzt wurden.

 

In Tallacane, einem weiteren Dorf, sind die Helfer überhaupt nur mehr auf einen einzigen 81-jährigen Bewohner gestoßen. „Sein Haus ist vom Erdbeben zerstört worden, seitdem hat er sich in einem aufgelassenen Schulzentrum eingerichtet“, erzählt der Einsatzleiter der freiwilligen Feuerwehrmänner. „Sein einziger Wunsch war ein Stromaggregat, damit er seinen Kühlschrank wieder in Gang setzen kann.“

Vermisstensuche am Gran Sasso

Dramatischer verlief der Einsatz der Bergretter, die im Rahmen des Südtiroler Hilfseinsatzes nach Mittelitalien geschickt wurden. Hansjörg Prugg, Geometer und Projektant bei der Wildbachverbauung des Landes, war mit einer Gruppe von insgesamt zehn Bergrettern aus Tirol und Südtirol sowie Männern des Corpo nazionale soccorso alpino e speleologico (CNSAS) bei der Suche nach den Vermissten im verschütteten Hotel Rigopiano am Fuße des Gran Sasso mit dabei. Ein Einsatz, der mit nichts zu vergleichen ist, das der Bergretter bisher erlebt hat, erzählt er. „Einerseits wegen der gewaltigen Schneemassen und andererseits wegen der unglaublichen Gewalt, die diese Lawine hatte“, meint der Jenesier. Ein dreistößiges Hotel, das auf einen Stock zusammengedrückt und verschoben wurde. „Da sieht man wirklich, wie klein der Mensch ist“, sagt der Bergretter.

 

Bei der wundersamen Bergung der letzten Überlebenden war er noch nicht vor Ort. Auch seine Einsatztruppe suchte jedoch noch fieberhaft – wenn auch letztendlich vergeblich – nach möglichen Hohlräumen in dem von gewaltigen Schneemassen verschütteten Resten des Hotels, die Hotelgästen  noch Überlebenschancen bieten hätten können. Die Südtiroler sollten dabei vor allem ihre Tiroler Kollegen unterstützen, die die Suche mit speziellen Dampfsonden beschleunigen wollten, auf denen Kameras montiert wurden. Doch auch die innovativen Geräte aus Tirol erwiesen sich angesichts der massiven Lawine als wenig hilfreich. „Ein Problem war, dass mit den Schneemassen sehr viel Holz heruntergekommen ist“, erzählt Prugg. Vielfach seien sie deshalb mit den Sonden auf Baumstämme mit einem halben Meter Durchmesser gestoßen. „Dieses Schnee-Holz-Gemisch ist beim Unglück bei jeder nur möglichen Öffnung mit vollem Druck eingedrungen“, beschreibt der Bergretter das Bild, das sich ihnen bot.

Auch während ihres Einsatzes war die Angst vor weiteren Lawinen allgegenwärtig; vor allem am ersten Vormittag konnten sie den Einsatz deshalb erst später beginnen. Immer wieder seien während der zwei Tage, die Prugg vor Ort war, auch Leichen geortet worden. Bei der Bergung selbst war sein Trupp jedoch nicht dabei. Dennoch fuhr auch der Jenesier in der Nacht auf Dienstag mit einer Erfahrung nach Hause, die er so schnell nicht vergessen wird. „Live habe ich so etwas noch nie erlebt“, sagt der Mitarbeiter der Wildbachverbauung. „In der Arbeit haben wir zum Beispiel die Bilder vom Unglück in Galtür genau studiert, um daraus zu lernen.“ Doch leider bietet die Realität immer wieder noch bessere Chancen, die Kraft der Natur zu studieren.