Economia | Interview

“Wir können nicht ohneeinander”

Leo Tiefenthaler wird der nächste Präsident des Südtiroler Wirtschaftsrings. Der SBB-Obmann spricht über Herausforderungen, Interessenkonflikte und das Image der Bauern.

Es ist eine Premiere für die heimischen Bauern und die Südtiroler Wirtschaft insgesamt. Zum ersten Mal wird ein Vertreter der Landwirtschaft die Präsidentschaft des Südtiroler Wirtschaftsrings übernehmen. Um 17.30 Uhr findet am heutigen Montag, 26. September, die Generalversammlung des SWR-EA statt, auf der Leo Tiefenthaler offiziell zum Nachfolger von Philipp Moser gekürt wird. Eine Stunde später wird der Obmann des Südtiroler Bauernbundes seine Antrittsrede halten. Wie vom Statut vorgesehen wird Tiefenthaler die kommenden zwei Jahre die Stimme der Südtiroler Wirtschaft sein.

salto.bz: Herr Tiefenthaler, der SWR feiert heuer sein 40-jähriges Bestehen. Der Bauernbund wurde erst 2004 als vollwertiges Mitglied aufgenommen. Nun übernimmt erstmals ein SBB-Vertreter die Rolle des Präsidenten. Eine einfache Aufgabe?
Leo Tiefenthaler: Es ist sehr wichtig, dass die Landwirtschaft auch im Wirtschaftsring mit vertreten ist, weil ja schon in der Bezeichnung Landwirtschaft das Wort “Wirtschaft” mit drin ist. Das heißt, wir sind beispielgebend für die Wirtschaft in Südtirol. Und natürlich hängt die Landwirtschaft mit sehr vielen anderen Sektoren zusammen: mit dem Tourismus, auch mit der Industrie, dem Handel, dem Handwerk, den Dienstleistern; und nicht zuletzt mit den Freiberuflern. Natürlich ist es eine Herausforderung. Aber es ist auch ein sehr interessante und wichtige Tätigkeit, bei der es darum geht, imstande zu sein, innerhalb der Wirtschaft Lösungen zu suchen bevor man irgendwo miteinander Schwierigkeiten bekommt.

Der Bauernbund wurde erst 2004 als vollwertiges Mitglied in den Wirtschaftsring aufgenommen. Warum?
Der Wirtschaftsring wurde 1976 vonseiten des Tourismus, der Industrie, des Handwerks und des Handels gegründet. Später kamen dann die Freiberufler dazu. Und mit dem Beitritt des SBB 2004 war die Wirtschaft dann komplett. Denn ohne Landwirtschaft, die getrost als eine der ältesten Wirtschaften weltweit bezeichnet werden kann, würde man salopp gesagt nicht überleben.

Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam viel weiter kommen als wenn wir uns gegenseitig auf die Füße treten.

Gab es Vorbehalte in den anderen Sektoren, die Landwirtschaft als Mitglied in den SWR aufzunehmen?
Früher wurde die Wirtschaft immer als etwas Separates gesehen, auch im Bezug auf die Landwirtschaft. Inzwischen ist man draufgekommen, dass alles sehr stark zusammenhängt. Ich glaube, dass es ganz ganz wichtig ist, diese Zusammenhänge auch nach außen zu kolportieren. Ein Beispiel: Wir sind froh, dass es Industrie gibt, weil viele Bauern, vor allem in Berggebieten, Teilzeit in Industriegebieten arbeiten – oder im Tourismus: Viele Bauern arbeiten im Winter an den Skiliften. Mit den Betrieben wird häufig nicht genug erwirtschaftet, um die Familien nur von der Landwirtschaft zu ernähren. Mit diesem Zu- und Nebenerwerb haben sie natürlich die Möglichkeit, ihren Betrieb daheim zu erhalten und gleichzeitig auch die Landschaft zu pflegen – was einerseits dem Tourismus zugute kommt, aber auch uns als Bewohner Südtirols. All diese Zusammenhänge sind gewachsen und damit ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Arbeit im Rahmen des Wirtschaftsrings immer dringender geworden. Denn kein Wirtschaftssektor kann alleine überleben.

Fühlen Sie sich als Bauer in der Lage, für die gesamte Wirtschaft des Landes zu sprechen?
Es ist schon so, dass manchmal kontroverse Diskussionen geführt werden. Und ich glaube, dass es auch wichtig ist, zusammen zu kommen um auch die Problematiken des anderen zu sehen. Dadurch, dass jeder Beruf und jeder Bereich der Wirtschaft speziell seine Mitglieder betreut, ist es so, dass man sich eigentlich auf die anderen Berufe weniger konzentriert. Aber genau im Wirtschaftsring ist man imstande, vielleicht auch Vorurteile abzubauen.

Ein Teil der Südtiroler Bauernschaft gerät immer wieder in das Kreuzfeuer der Kritik. Zuletzt etwa erneut wegen der Ausbringung von Pestiziden, über die auch in überregionalen Medien berichtet wird. Befürchtet wird ein Imageschaden für das Land, der sich vor allem dem Tourismus negativ auswirken könnte. Sind die Bedenken, dass sich einzelne Wirtschaftssektoren aufgrund unterschiedlicher Interessen und Notwendigkeiten – denken wir an den Flughafen – gegenseitig benachteiligen können, gerechtfertigt?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn, so glaube ich, können wir nur uns gegenseitig unterstützen und gegenseitig weiterhelfen. Wie gesagt, die gesamte Wirtschaft in Südtirol hängt zusammen. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam viel weiter kommen als wenn wir uns gegenseitig auf die Füße treten. Und das ist ja die eigentliche Aufgabe des Südtiroler Wirtschaftsringes. Ich denke, dass dieser Zusammenschluss von großem Vorteil ist.

Die Arbeit der Bauern wird oftmals als selbstverständlich hingenommen.

Sehen Sie es als Chance, dass ein Vertreter des Bauernbundes die Präsidentschaft übernimmt?
Sicherlich. In diesem Zusammenhang muss man sich auch bei den anderen Sektoren bedanken. Das Statut wurde erst vor wenigen Monaten diesbezüglich verändert, dass der SBB als Vollmitglied die Präsidentschaft übernehmen kann. In zwei Jahren ist dann der lvh wieder am Zug.

Gibt es konkrete Themen, die Sie als SWR-Präsident angehen wollen?
Ein ganz wichtiger Punkt ist das neue Urbanistik-Gesetz, das derzeit in aller Munde ist und schon seit einigen Monaten diskutiert wird. Diese Neuregelung betrifft die gesamte Wirtschaft, aber nicht nur. Auch die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft in Südtirol ist davon betroffen. Da müssen wir uns als Wirtschaftsring, aber auch als einzelne Verbände einbringen. Das ist bisher passiert und ist auch weiterhin zu verfolgen. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch das Breitband. Die letzte Meile muss unbedingt so schnell als möglich realisiert werden. Als Gesamt-Südtiroler Wirtschaft drängen wir darauf, weil die Verbindung zwischen einzelnen Betrieben, aber auch ins Ausland natürlich sehr sehr wichtig ist. Hier sind die Gemeinden und das Land gefordert, denn in diesem Bereich ist Südtirol sicherlich kein Musterknabe – im Gegenteil. Im Vergleich zum restlichen Italien und anderen EU-Ländern hinken wir hinterher. Daher ist es wichtig, dass von allen Seiten Druck gemacht wird, damit das schnelle Internet rasch umgesetzt wird.

Gibt es weitere Bereiche, in denen etwas passieren muss?
Wichtig ist auch, dass man den Kontakt zur Politik, sei es auf Landesebene, sei es auf römischer aber auch auf Brüsseler Ebene vorantreibt. In Brüssel werden die Rahmenbedingungen für bestimmte Gesetze geschaffen, die dann auf staatlicher und Provinz-Ebene umgesetzt werden. Ein Beispiel: die Arbeitssicherheit – ein ganz wichtiges Thema für die Arbeitgeber, aber auch die Arbeitnehmer. Unser Wunsch ist es, dass sie nicht übertrieben bürokratisch abläuft. Damit haben wir momentan wirklich ein Problem. Der Riesen-Bürokratismus, der im Bereich Arbeitssicherheit aufgebaut worden ist, ist nicht sonderlich behilflich, um Unfälle zu vermeiden.

Als Bauernvertreter haben Sie Landesrat Arnold Schuler als Ansprechpartner in der Landesregierung. Für die Wirtschaft ist hingegen Arno Kompatscher zuständig. Wie sind die Beziehungen zur den beiden?
Wir pflegen eine sehr gute Beziehung, sowohl mit Landesrat Schuler als auch mit Landeshauptmann Kompatscher. Mit Schuler, der ja auch kooptiertes Mitglied im Landesbauernrat ist, finden regelmäßige Treffen zu verschiedenen Themen statt. Kompatscher hingegen ist zwei, drei Mal im Jahr offiziell bei den Sitzungen des Wirtschaftsringes dabei. Und ich muss sagen, dass wir ein sehr offenes und gutes Verhältnis haben.

Wir müssen imstande sein, innerhalb der Wirtschaft Lösungen zu suchen bevor man irgendwo miteinander Schwierigkeiten bekommt.

Während viele Bauern bei Teilen der Bevölkerung einen schweren Stand zu haben scheinen. Sind Sie der Meinung, dass die Arbeit der Landwirte oftmals zu wenig wahrgenommen und dadurch zu wenig wertgeschätzt wird?
Ja, hier kann man wirklich sagen, dass vieles als selbstverständlich hingenommen wird. Man muss zwar sagen, dass es viele Leute gibt, die unsere Arbeit schätzen. Aber großteils ist es schon so – wobei ich sagen muss, dass es einem ja selbst so geht –, dass wenn ich zum Beispiel eine gepflegte Landschaft jeden Tag sehe, es immer selbstverständlicher wird. Aber wir brauchen nicht weit gehen, um zu sehen, dass dem nicht so ist. Wir brauchen nur in die Nachbarprovinzen zu blicken. Im Belluno, aber auch im Trentino sind sehr viele Landwirtschaftsbetriebe, vor allem in der Peripherie, aufgelassen worden. Das Land verwildert, wächst zu und damit gibt es auch keine Möglichkeit mehr, dort Tourismus zu betreiben. Denn der Tourist kommt ja, um eine schöne Landschaft, und vor allem eine gepflegte Kulturlandschaft zu erleben; um heimische Produkte zu genießen. Und das kann man in anderen Regionen und Provinzen nicht mehr. Dort hat es in den 50er, 60er und 70er Jahren eine große Landflucht gegeben, weil es die Arbeit draußen am Hof nicht mehr erlaubte, die Familie zu ernähren. Bei uns in Südtirol ist das zum Glück nicht passiert.

Wie wurde das verhindert?
Die Politik in den vergangenen Jahrzehnten, bereits unter der Führung von Landeshauptmann Magnago, aber auch unter Durnwalder und jetzt mit Arno Kompatscher, darauf geachtet hat, dass der ländliche Raum immer belebt bleibt. In der Peripherie wurden Infrastrukturen geschaffen, Zufahrten, Trink- und Abwasserleitungen, Strom- und Telefonverbindungen, aber auch Handwerker- und Gewerbezonen – damit die Leute draußen eine Arbeit haben. Auch Wohnbauzonen und touristische Entwicklung nehmen dabei eine wichtige Rolle ein. In diesem Sinne können wir uns in Südtirol glücklich schätzen, dass wir das haben. Und es ist unsere Aufgabe jetzt, gemeinsam als Wirtschaftsring, aber auch mit der gesamten Bevölkerung Südtirols, diese Vielfalt zu erhalten.