Cultura | Salto Weekend

Normativität und "Neue Ufer"

Gastserie: Pornotopia, Teil 3. Haimo Perkmann wirft im letzten Teil einen Blick in die Zukunft. Die Kunstarbeiten zum Artikel stammen vom Kollektiv Samet Yilamz.
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Foto: Eau&Gaz

Die Wiener Medienpädagogin und Kulturwissenschaftlerin Rosa Danner ist der Sache wirklich auf den Grund gegangen. Der dritte und letzte Teil ist ihrem Essay Wo geht’s hier nach Pornotopia und ihrem Beitrag in Kulturelemente 132 gewidmet. Danner konstatiert, dass sich seit den 1980er Jahren die Pornografie, aber auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit stark gewandelt hat und trotz Mainstream-Pornografie unglaublich divers geworden ist. Sie legt dar, wie in den letzten 30 Jahren eine breite und ausdifferenzierte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen entstanden ist. Trotzdem ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema immer kontrovers, eine Art eine Glaubensfrage, denn sie steht sie in engem Zusammenhang mit widerstreitenden Moral- und Wertvorstellungen, sexualpolitischen Standpunkten und Normen des jeweiligen sozialen und kulturellen Bezugsrahmens. Bei aller Diversifizierung ist nicht abzustreiten, dass das Gros der Produktionen, die normierte Mainstream-Pornografie, sehr rasch langweilig wird. Sie ist geprägt von Genrekonventionen und stereotyp. Es wiederholen sich formelhaft immer wieder die selben Einstellungen. An den Sexszenen als solchen kann es also nicht liegen, dass Milliardenumsätze gemacht werden. Aber woran liegt es dann?

Konventionen der sexuellen Repräsentation
Vor allem auf dem heterosexuellen Feld herrscht eine eigenartige, quasi-rituelle Pornonormativität. Zu sehen ist die Frau, die immer bereit und willig ist; vom Mann steht nur der Penis im Vordergrund, immer einsatzbereit – eine Reminiszenz an die Frühgeschichte und die vielen Fruchtbarkeits- und Phallussymbole. Die Attribute dieser Inszenierung sind die überbordende Potenz, endlose Lust, typenhafte Figuren und stereotype Rollen, normierte Körper und Heteronormativität. Vorhersehbare akrobatische Choreografien und Konventionen der sexuellen Repräsentation machen das Produkt auch nicht erotischer. Viele dieser Konventionen zielen sogar darauf ab, sofort als pornografisch erkannt zu werden. Danner sieht darin ein mediengeschichtliches Bezugssystem: „Diese Konventionen lassen die Rezipient_innen das Gesehene sofort identifizieren. In Abwesenheit von Beziehungszwängen, Verbindlichkeiten und Verantwortungen sind die Darsteller_innen immer bereit und willig zum Sex.

Es gibt keine materiellen Sorgen, keine Krankheiten, kein Versagen der Körper, Begehren und Begehrtheit sind unerschöpflich, mit einem Wort: pornotopisch.

Da Mainstream-Pornos rasch langweilig werden, suchen die Online-Produzent_innen stets neue Ufer. So entstanden und entstehen immer wieder Subgenres, welche die Grenzen erneut weiter nach außen (bzw. innen) verlegen (wie Gonzo, Reality und Amateur). Weil auch diese Subgenres die Performativität, die Zitatförmigkeit und die Wiederholung nicht loswerden, braucht es – so Danner – ein gewisses Level an "suspension of disbelief" durch die Betrachter_innen. Besipiel: The girl next door. Ein neuer, bizarrer Trend versucht dies interaktiv abzudecken: Porno-Amateure im Live-Chat, die man über Tokens und entsprechende Apps live über Vibration erreichen kann.

Der Bestimmungsort von Geschlecht
Pornografie liefert Stoff für feministische Kontroversen, weil sie „nah an den Körper und an sexuelles Handeln als Bestimmungsort von Geschlecht“ geht – eine Art Prototyp der sichtbaren Effekte einer Geschlechterkonstruktion.
Für Judith Butler erweist sich die Idee eines inhärent geschlechtlichen Körpers, die Vorstellung eines 'Originals' von Geschlecht als Fiktion. Dabei realisiert Pornografie nach Butler nicht unmittelbar und ungebrochen das, was sie sagt, sie bezieht ihren Reiz vielmehr "aus dem permanenten Scheitern ihrer Sprechakte".

Die Spirale der Verfügbarkeit
Die ungebrochene Produktion immer neuer pornografischer Bilder speist sich nun gerade aus dem inhärenten Scheitern am eigenen narrativen Anspruch. Im Vermittelten gibt es einen unvermittelbaren Rest. Darum ist dieses Scheitern der pornografischen Bezeugung immanent.
Eine häufig geäußerte Ansicht besagt, Pornographie würde durch die massenmediale Verbreitung und stete Verfügbarkeit immer härter: eine Spirale im kapitalistischen Wettbewerb, getragen vom Wunsch, immer weiter vorzudringen, immer tiefer einzudringen, zu sehen wie weit es gehen kann. Gerade hier aber offenbart die filmische Zurschaustellung, die Obsession der maximalen Sichtbarkeit, ihr notwendiges visuell-narratives Scheitern, sowohl an den Möglichkeiten der Wahrnehmung als auch am ephemeren Charakter des Genres an sich.

Dort, wo die Beine am schönsten werden, hören sie auf.
(Kalauer, aufgeschnappt in einer Berliner Spelunke)

Dort, wo Pornografie exzessiv wird, wo starre Konzepte sich auflösen und das Innerste nach außen gekehrt wird, wird dieses Scheitern an der Darstellung des Unvermittelbaren am deutlichsten. Eine Sackgasse. Das Tiefste ist der Blick von außen, und das nicht Darstellbare ex negativo wesentlich für den Fortgang der Pornoproduktion und ihrer immer wiederkehrenden, formelhaften Wiederholung derselben Handlungen. Der pornografische „Schauplatz“ ist das weibliche Interieur. Dies sichtbar zu machen, ist aber nicht möglich, denn „vor den Toren des geheimen Ortes der Lust der Frau muss auch das bewegte Bild halt machen. Aus dem Mangel heraus, den Ort der Lust nicht zeigen zu können und damit an die Grenzen des Repräsentationssystems zu stoßen, wird versucht, ein visuell befriedigendes Paradies zu produzieren – und immer wieder zu produzieren.“

Ein Genre sui generis
Pornographie funktioniert trotz aller Kritik und Moral marktwirtschaftlich betrachtet nach anderen Kriterien wie die meisten Branchen und Produktionszweige. Ihre Verkaufsprinzipien laufen jenen der herkömmlichen Werbung und Anpreisung zuwider: Nackte Tatsachen, Offenlegung geheimer Phantasien, ausgeleuchtete Abgründe, Entschleierung: Alles ist echt, nichts ist wahr. Welchen Wert und welchen Sinn hätte eine optische Verschönerung von Phantasien, um deren krude Darstellung es als Erfüllung von Begierden gerade geht?

So wird Pornographie auch zu einem politischen und kulturellen Gradmesser. Welche Triebwerke sind hier am Werk? Wenn intellektuelle Größen wie der Autor und Filmtheoretiker Alexander Kluge Pornographie vehement ablehnen, mit der Begründung, dass diese nichts hinterfrage und gesellschaftliche Hierarchien nur reproduziere und sogar verstärke, so ziehen sie nicht in Betracht, dass genau dies einer ihrer interessantesten Aspekte ist. Eine politisch glattgebügelte Pornographie wäre für die User, aber auch als Grundlagenmaterial für Sozialstudien über die multiplen Neigungen und Begierden und über die verschiedenen Stufen von Unbehagen in unserer Gesellschaft gänzlich ungeeignet. Die Pornografie in all ihren heutigen Facetten eröffnet dagegen einen Zugang zum kollektiven und individuellen Unbewussten – ein fruchtbares Terrain zur Erforschung der Neigungen und Begierden, aber auch der ungeklärten Abgründe der menschlichen/vor allem männlichen Bezugssysteme.

Salto in Zusammenarbeit mit: Kulturelemente
Teil 1: Pornotopia – im Sog der Verfügbarkeit
Teil 2: Pornotopia – die entschleierte Lust